Dass China das dominierende Thema des amerikanischen Wahlkampfs werden würde, war schon länger klar: Ein äußerer Feind kommt immer gelegen, wenn Wähler und Anhänger mobilisiert werden sollen. Unter der Sperre (oder dem Verkauf an Microsoft, noch ist das nicht klar) der Videoplattform Tiktok leiden hunderte Millionen von Teenagern weltweit, deren ohnehin schon geringe Aufmerksamkeitsspanne durch sinnbefreite Videoschnipsel noch etwas weiter verkürzt wurde. Aber frei von Ironie: Das Verbot trifft nicht nur Tiktok-Nutzer, sondern auch Millionen User der App Wechat. Die Super-App ist allgegenwärtig im chinesischen Alltag und erfüllt zahlreiche Funktionen.

Die App Wechat des Internetkonzerns Tencent ist mittlerweile weit über die Grenzen von China hinaus beliebt
Foto: AFP/GREG BAKER

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es bedeutet, wenn plötzlich das wichtigste Kommunikationsmedium gesperrt wird, stelle man sich vor, ab kommender Woche würden Whatsapp, Twitter, Facebook und Paypal in Österreich nicht mehr funktionieren. Die App des Internetkonzerns Tencent ist mittlerweile weit über die Grenzen von China hinaus beliebt. Vor allem in den USA nutzen sie Millionen von Auslandschinesen. Sie müssen nun andere Wege finden, um mit ihren Freunden und Familien zu kommunizieren. Unter dem Streit der beiden Supermächte leiden vor allem Menschen, die eigentlich Brücken schlagen zwischen China und den USA.

Wie in jedem Konflikt ist auch hier die Frage, wer angefangen hat, nicht zielführend. Aber selbst der glühendste Transatlantiker muss erkennen: Der angeschlagene US-Präsident Donald Trump kann eine Zuspitzung im Zwist mit China gut gebrauchen, um seine schwindenden Chancen auf eine Wiederwahl zu verbessern. Dabei greift er auf Mittel zurück, die eigentlich die Spezialität der Führung in Peking sind: Verbieten, Sperren und Zensieren.

Geopolitische Interessen

Trump zementiert mit seinem Ultimatum an Tencent und Bytedance, ihre Apps entweder innerhalb der kommenden 45 Tage zu verkaufen oder gesperrt zu werden, die Teilung des Internets. Das einst freie und neutrale Netz wird immer mehr zum Spielplatz geopolitischer Interessen, es spaltet sich in ein von westlichen Konzernen dominiertes Internet und in ein chinesisches. Das ist eine traurige Entwicklung. Doch dass sich nun ausgerechnet die staatseigene chinesische Presse über Trump echauffiert, ist scheinheilig.

Denn bei all der Empörung über Trump sollte man nicht vergessen: Niemand kontrolliert das Web so rigoros wie die kommunistische Partei Chinas. Weder Facebook, Twitter, Instagram noch Google sind in China aufrufbar. Zudem wacht eine Heerschar von Zensoren darüber, dass hinter der "Great Firewall" keine Infos veröffentlicht werden, die Peking nicht gefallen. Das hat nicht nur ideologische Gründe: Erst im Schatten von Pekings Zensurmauer konnten chinesische Internetkonzerne jene Größe erreichen, die sie heute haben.

Und hier beginnt das Problem: Tencent, Bytedance und Alibaba unterwerfen sich nicht nur im eigenen Land der Ideologie der KP. Sie sind längst auch außerhalb Chinas wichtige Player. Regierungskritische Posts und Nachrichten werden nicht nur in Chinas zensiert und gelöscht, sondern auch außerhalb des Machtbereichs der Pekinger Führung. Beweise dafür gibt es zahlreiche. Dass man nun ihre Expansion stoppen will, ist – auch wenn das nun aus wahltaktischen Gründen geschieht – richtig. (Philipp Mattheis, 8.8.2020)