Die Punkband X tat sich nach 35 Jahren wieder zusammen und veröffentlicht das Album "Alphabetland".

Foto: Fat Possum

Kurzer Atem und Geschwätz gehen nicht zusammen. Dementsprechend zeitigt das eilige Fach des Punk in seinen Resultaten meist knappe Eruptionen. Die Punk-Ballade hat sich nicht durchgesetzt. Es gilt "Hau drauf und Schluss" und natürlich das von den Ramones formulierte "Hey! Ho! Let’s go!". An diese schöne Kunst der Verknappung erinnert das Album Alphabetland der US-Band X. Es ist das erste in Originalbesetzung seit 35 Jahren und umfasst elf Songs. Der kürzeste dauert keine zwei, das ganze Werk keine 30 Minuten.

US-Band X – das ist eine ziemliche Tiefstapelei, denn der aus Los Angeles stammende Vierer ist eine der wichtigsten Gruppen des US-Punk. Ihr Debüt Los Angeles mit dem brennenden "X" am Cover zählt zur Ikonografie des Genres. Es steht auf einer Stufe mit dem Debüt der Sex Pistols oder London Calling von The Clash. Was für die Ostküste die Ramones waren, war X für die Westküste.

Country und Disco

X bestanden und bestehen nun wieder aus John Doe, Exene Cervenka, Billy Zoom und D.J. Bonebraker. Allesamt eifrige Netzwerker, deren Musik sich in den 1980ern in Richtung Country ebenso öffnete wie in Richtung Disco – was beides so gar nicht Punk war, aber darin gerade erst recht. X standen mit allen wichtigen Zeitgenossen auf der Bühne: mit Black Flag, The Gun Club, Fear, den Circle Jerks …

Zudem waren X kommerziell erfolgreich, die Nähe zur Filmindustrie in Hollywood bescherte John Doe noch eine gepflegte Zweitkarriere als Schauspieler, der Rest der Gang war mit diversen Nebenprojekten ebenfalls gut versorgt, irgendwann überwarf man sich dennoch. Nicht irreparabel, aber doch.

Das Paar Cervenka und Doe ließ sich 1985 scheiden, Cervenka heiratet den Schauspieler Viggo Mortensen, wurde Mutter und zog ins Hinterland. Der Legende tat das keinen Abbruch.

X - The Band

Doe veröffentlicht bis heute traditionellere Soloalben, D.J. Bonebrake, der einzige, der unter seinem echten Namen auftritt, spielte mit Rancid oder den Meat Puppets und Billy Zoom wurde ein gefragter Studiomusiker und tourte mit unzähligen Gruppen als so begnadeter wie verlässlicher Leiharbeiter. Dass er mittlerweile 72 Jahre alt ist, hört man Alphabetland nicht an, auch der Rest ist Mitte 60. Da kommt es ihnen natürlich zupass, dass die Songs immer eher kurz waren.

Unbegnadet für das Schöne

Ihre Power beziehen X aus dem Gitarrenspiel Zooms. Dessen immer ein wenig im auffrisierten Rockabilly wurzelnder Sound schiebt prächtig an. Das andere Charakteristikum ist der Gesang: Doe und Cervenka singen, beiden würde man, ohne die Toleranz des Punk, das Mikro wohl entreißen. Doch gerade das Unbegnadete arbeitet dem originären Sound von X zu.

X - The Band

Der Veröffentlichungstermin von Alphabetland wurde wegen Corona hin- und hergeschoben, im Vorjahr tourte X mit Pearl Jam durch die USA, diese Aufmerksamkeit wollte man mit einem Erscheinen im Frühjahr nutzen, dann kam das Virus, dann wurde es Sommer. Digital ist es schon erschienen, physische Tonträger kommen am 21. August in den Handel.

Gepflegte Renitenz

Nach so vielen Jahren ein neues Album zu veröffentlichen, birgt die Gefahr, das eigene Erbe zu besudeln. Diesbezüglich kann Entwarnung gegeben werden. X klingen knackig und frisch, Falten hin, Bandscheibenprobleme her.

X - The Band

Der knallende Sound, die einnehmenden Melodien, sie sind längst in die DNA der Vier übergegangen, wo sie sich mit einer gepflegten Renitenz treffen und ein Leichtbier heben. Ein Song wie Cyrano deBerger’s Back klingt zu Beginn gar ein wenig nach den frühen Talking Heads, das Saxofon lässt an befreundete Bands wie The Blasters oder Los Lobos denken.

Krieger von den Doors

Bei der letzten Nummer ist dann noch ein gewisser Robby Krieger an der Slide-Gitarre zu hören. Auch so ein Revolutionär aus der Nachbarschaft – und als ehemaliges Doors-Mitglied noch älter als seine Gastgeber. Man könnte von Alphabetland als einem würdigen Alterswerk sprechen – wäre das Gewese um das verdammte Altern in Würde nicht viel zu unpunk. Da stehen X natürlich drüber. (Karl Fluch, 8.8.2020)