Das plötzliche Ende der Rechercheplattform Addendum hat nicht nur über 50 Angestellten den Job gekostet, sondern ist generell ein Indikatorereignis in der österreichischen aber auch internationalen Medienlandschaft. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie sich das Mediengebrauchsverhalten in Zukunft verändern wird, denn trotz fachlich fundierter Mitarbeiter ist die gesamte klassische Medienwelt mit neuen Umbrüchen konfrontiert. Das Mateschitz-Projekt ist in der momentanen wirtschaftlichen Situation nur die Spitze eines Medienwandel-Eisberges.

Faktenfokus versus Emotionsjournalismus

Fakt ist, dass die alteingesessenen Player wie öffentlich-rechtliche Anstalten oder renommierte Qualitätsmedien durch die Möglichkeiten des Internets, das Aufkommen von Social Media und wiederum daraus resultierenden “alternativen Medien“ zusehends Konkurrenz bekommen. Der reine Faktenfokus und die Fixierung auf die objektive Wahrheit, soweit diese vorhanden ist, werden in Zukunft nicht mehr ausreichen. Medienmogule wie Rupert Murdoch, Silvio Berlusconi und Leo Kirch haben das Zeitalter des Infotainment eingeleitet und dadurch die öffentlich-rechtlichen Anbieter unter Druck gesetzt. Die enge Verbindung zur Politik bestand einst zwischen Kirch und Helmut Kohl. Berlusconi nutzte sein Medienimperium, um sich in “Bunga Bunga“-Manier gleich selbst an die Spitze Italiens zu katapultieren. US-Präsident Donald Trump und Murdoch dürften in Bezug auf ihre Wertebasis ebenso nicht ganz weit auseinanderliegen. Die medialen Ausformungen der Neuzeit finden sich in den berühmt berüchtigten alternativen Medien und, wie es eine Trump-Beraterin treffend auf den Punkt gebracht hat, in ebensolchen Fakten. Durch YouTube, Facebook und Co und die damit verbundene Informationsinflation wird jeder zum kleinen Medienmogul und erreicht Kraft seiner Kreativität eine enorme Reichweite.

Quo Vadis Veritas

Was die Faktenchecker und Wahrheitssucher außer Acht lassen und Typologien wie Berlusconi, Kirch und Murdoch verstanden haben ist, dass Information für viele Menschen vor allem Emotion ist, sogar für Faktenfreaks. Bei ihnen handelt es sich oft um eine Manifestation des Faktenfetischismus, der eine besondere Form der Sublimierung darstellt. Die richtige Balance aus seriöser Information und stimmiger Emotion schaffen leider nur wenige. Daher liegt die Wahrheit für den einen in Excel-Tabellen und Scientific Papers und für den anderen erschließt sich diese auf einer sozio-emotionalen Basis und der zugrundeliegenden Bauchentscheidung. Das mittlerweile als überholt geltende “Hemisphärenmodell“ zur Lateralisation des Gehirns ging davon aus, dass beide Gehirnhälften (Hemisphären) des Großhirns eine unterschiedliche Funktionsweise haben. Der linken Hemisphäre wurde das rationale, logische und analytische Denken zugeschrieben und der rechten Hemisphäre das fantasievolle, ganzheitliche und intuitiv-emotionale Denken. Neuere Forschungsansätze implizieren, dass eine derart lineare Dichotomie nicht ganz der Fall ist und es sich eher um eine komplexere Verteilung der Denkweisen auf beide Hirnhälften handelt.

Mateschitz hat genug von Addendum. Die Plattform wird aufgelöst.
Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas

Das Medium der Zukunft auf Augenhöhe

Ein zukunftsfähiges Medium sollte nun, so wie unser Gehirn, die feine Wechselwirkung aus Emotion und Information beherrschen. Neben dem faktenbasierten Vorgehen geht es vermehrt um einen journalistisch therapeutisch-pädagogischen Ansatz, denn Belehrungen von oben herab kommen schon in der Schule nicht gut an. Menschen sind Subjekte und keine Objekte und daher ist die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung bewusst und unbewusst emotionsgesteuert und nicht rein objektiv - bei aller Bemühung um Objektivität im Journalismus und anderen Fachgebieten. Niemand kann sich von sich selbst abstrahieren. Realität entsteht durch Kommunikation von Mensch zu Mensch und nicht durch Expertise. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in die "Faktenbasierten" und die "Verschwörungstheoretiker" ist im Sinne einer Weiterentwicklung für genau ebendiese nicht wirklich von strategischem Vorteil. (Daniel Witzeling, 12.8.2020)

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