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Demonstranten in Beirut verbrennen ein Bild von Staatspräsident Michel Aoun.

Foto: AP/Hussein

Zerstörtes Beirut nach der Bombenexplosion.

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Der libanesische Premier Hassan Diab stellte am Wochenende Neuwahlen in zwei Monaten in Aussicht: Bei den Demonstrantinnen und Demonstranten auf den Straßen Beiruts stieß er damit auf wenig Gehör. Sie haben keinerlei Vertrauen in den Willen der Regierung und der libanesischen Parteien im Allgemeinen, dass sie zu einer echten Erneuerung des politischen Systems bereit sind.

Neuwahlen würden nur immer wieder die gleichen Machtverhältnisse reproduzieren, in denen konfessionelle Parteien die eigene Klientel bedienen, kritisiert die Protestbewegung. Das Grundproblem dabei ist: Das System der konfessionellen Quoten und Postenverteilungen ist in der Verfassung verankert.

Was bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs Mitte der 1970er-Jahre funktionierte und mit dem Frieden von Taif 1989 in reformierter Form wiederaufgenommen wurde, hat mittlerweile zur politischen Selbstblockade geführt. Dafür verantwortlich ist allerdings auch, dass in Taif vorgesehene Reformen des politischen Systems und die Entwaffnung aller Milizen – Stichwort Hisbollah – nie umgesetzt wurden.

Teheran und Riad

Dazu kam die Verschärfung von regionalen Konflikten, deren Akteure ihre Stellvertreter in der libanesischen Politik immer stärker zu steuern versuchen. Am offensichtlichsten ist die Abhängigkeit der schiitischen Hisbollah vom Iran, in dessen Auftrag sie an der Seite von Bashar al-Assad in den Krieg in Syrien gezogen ist. Aber nicht zu vergessen ist auch die vorübergehende Festsetzung des damaligen Premiers Saad Hariri in Riad durch den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman im November 2017.

Die jetzige Regierung unter Hassan Diab ist erst ein halbes Jahr alt. Ende Oktober 2019 war Saad Hariri als Reaktion auf die bereits damals ausgebrochenen Proteste zurückgetreten. Die Kür Diabs – so wie es die Verfassung vorsieht, ein Sunnit– ging von der schiitischen Hisbollah und deren Verbündeten aus. Dazu gehört auch die Partei des maronitischen Präsidenten Michel Aoun (Freie Patriotische Bewegung, FPM). Saad Hariris Zukunftspartei blieb gemeinsam mit anderen Parteien bei der Regierungsbildung Anfang 2019 draußen.

Dem Makel, nur die Hälfte der politischen Landschaft des Libanon zu vertreten, versuchte Diab durch den Anspruch zu begegnen, er habe ein "Expertenkabinett" gebildet. Wahr ist, dass er neue Gesichter suchte und keine Parlamentarier zu Ministern ernannte – die dennoch alles andere als unabhängig sind. Um die Wünsche der an der Regierungsbildung beteiligten Parteien nach Posten zu bedienen, musste Diab sein mit 18 Ministern veranschlagtes Kabinett sogar auf zwanzig aufstocken. Diese sind demnach höchstens nominell unabhängig.

Fortschritte in der Bewältigung der Finanzkrise, die ganze Sektoren zusammenbrechen und den einstmals soliden libanesischen Mittelstand verarmen ließ, machte die Regierung Diab nicht – und sie sind auch nicht für die zwei Monate zu erwarten, die er bis zu den Wahlen noch regulär Premier bleiben will.

Und wer weiß, wie lange danach: Wahlen und Regierungsbildungen sind im Libanon ein schwieriges Thema. Die Libanesinnen und Libanesen haben zuletzt im Mai 2018 gewählt, das war allerdings der erste Urnengang seit 2009: Dreimal waren die Parlamentswahlen verschoben worden, die Lage war aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien, der seine politischen Ausläufer in Beirut hatte, einfach zu instabil. Die Wahlen 2018 bestätigten Hariri – wenngleich geschwächt – im Amt. Er brauchte für die neue Regierungsbildung quälende neun Monate, bis Februar 2019 .

Bis Oktober 2016 hatte es ein fast zweieinhalb Jahre dauerndes präsidentielles Vakuum gegeben: Nach dem regulären Abgang von Präsident Michel Suleiman im Mai 2014 blockierten die Parteien einander, bis Hariri einem Deal zustimmte, der ihn erneut zum Premier einer Einheitsregierung und den von der Hisbollah gestützten ehemaligen Bürgerkriegsgeneral Michel Aoun zum Präsidenten machte. Aoun ist mittlerweile 85.

Streit ums Sondertribunal

Hariri war 2011 vom Koalitionspartner Hisbollah gestürzt worden: Grund war der Streit um das internationale Sondergericht (STL, Special Tribunal for Lebanon), das 2009 eingerichtet worden war, um das Attentat gegen Saad Hariris Vater, Rafik Hariri, im Februar 2005 zu klären. Der Libanon ist verpflichtet, die Hälfte der Kosten für den Gerichtshof zu zahlen, bei dem vier Hisbollah-Mitglieder prozessiert wurden.

Hariri befand sich, als er ermordet wurde, im Konflikt mit Syrien. Das Attentat verschärfte die Spaltung des Libanon in zwei große Lager, die nach den Daten von Großdemonstrationen im Jahr 2005 pro und kontra Syrien benannt sind. Die Syrien-kritische Allianz des 14. März machte Syrien für die Ermordung Hariris verantwortlich und verlangte den Abzug der syrischen Truppen – was auch geschah, ohne dass Syrien seinen politischen Einfluss aufgab. Die prosyrische Allianz des 8. März wird von der Hisbollah angeführt, aber eben auch Aouns Partei gehört dazu. (Gudrun Harrer, 9.8.2020)