Die Pandemie hat auch in der russischen Wirtschaft für abrupten Stillstand gesorgt – und vielen Unternehmern die Lebensgrundlage entzogen.

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Wjatscheslaw reckt und streckt sich behaglich in der privaten Banja (russische Sauna). Bei der Anspannung der letzten Monate sei es gut, sich auch einmal auszuspannen, meint er. Der 34-Jährige ist Direktor einer kleinen Moskauer Internetfirma, die sich auf die Platzierung von Werbung in sozialen Netzwerken spezialisiert hat. Doch mit dem Ausbruch der Pandemie sind die Aufträge schlagartig zurückgegangen. "Die Werbeetats wurden zuerst beschnitten", klagt er.

Geschrumpfte Einnahmen

Trotz einiger langfristiger Aufträge fielen die Einnahmen zeitweise um mehr als die Hälfte. Weniger Arbeit bedeutete das allerdings nicht. Innerhalb kürzester Zeit musste Wjatscheslaw den Umzug der Stammbesatzung ins Homeoffice managen, er musste die Ausgaben rigoros zusammenstreichen, um über die Runden zu kommen, und darüber hinaus galt es dabei die strategischen Ziele und die spätere Entwicklung nicht aus dem Auge zu verlieren.

Wie Wjatscheslaw ging es vielen russischen Unternehmen in der Corona-Krise. Das zweite Quartal erwies sich für russische Wirtschaft als absolute Katastrophe. Erst mussten Restaurants, Cafés und Hotels schließen, dann ordnete Präsident Wladimir Putin landesweite Betriebsferien bei Lohnfortzahlung an – für alle Unternehmen, die nicht als strategisch wichtig galten.

Wirklich geholfen hat die Anordnung der Lohnfortzahlung den einfachen Russen nicht. Denn viele Unternehmen haben trotzdem den Beschäftigtenstand gekürzt, Mitarbeiter entweder entlassen oder in den unbezahlten Urlaub geschickt. Ende Juli waren mehr als drei Millionen Russen offiziell arbeitslos gemeldet. Vor der Krise waren es 700.000.

Um acht Prozent sind die Realeinkommen der Bürger im zweiten Quartal eingebrochen, ein Negativrekord für das 21. Jahrhundert in Russland, obwohl die Russen seit der Krimkrise und zuvor in der globalen Finanzkrise schon mit harten Einschnitten leben mussten. Das Durchschnittseinkommen der Bürger liegt inzwischen wieder umgerechnet unter 400 Euro.

Betroffene Unternehmer

Die nun von der Statistikbehörde Rosstat vorgelegten Zahlen belegen aber zugleich auch den dramatischen Rückgang der Unternehmertätigkeit in diesem Frühjahr. Der Anteil unternehmerischer Einnahmen an den Gesamteinkünften der Bevölkerung ist auf 3,5 Prozent gefallen. Zum Vergleich: Im ersten Quartal lag der Anteil bei noch immerhin 5,9 Prozent. Damit sind die Einnahmen der Unternehmer im Vergleich zur übrigen Bevölkerung um über 40 Prozent gefallen.

Überhaupt ist das der tiefste Stand seit Erhebung dieser Daten im Jahr 2000. Damals, zu Beginn der Putin-Ära, lag der Wert noch bei 14,7 Prozent. Der seit Jahren rückläufige Trend hat viele Ursachen: Ein positiver Grund ist die inzwischen regelmäßige Auszahlung von Renten und Gehältern staatlicher Angestellter, die Russland aufgrund der finanziellen Schieflage in den 90er-Jahren damals noch sträflich vernachlässigte.

Negativ hingegen schlägt sich die zunehmende Verstaatlichung der Wirtschaft nieder. Immerhin sind nun rund 70 Prozent der Wirtschaft wieder in staatlicher Hand. Das betrifft keineswegs nur Oligarchen, die enteignet, sondern auch Klein- und Mittelständler (KMUs), die an den Rand gedrückt werden.

Aussterbene Art

Der Anteil der KMUs am Gesamtaufkommen der Wirtschaft wird so in den letzten Jahren immer geringer. 2017 erwirtschafteten sie 22 Prozent des russischen BIP, 2018 nur noch 20,2 Prozent. Experten erwarten für 2019 ebenfalls einen Rückgang (die offiziellen Zahlen veröffentlicht Rosstat zum Jahresende 2020) – und für das laufende Jahr umso mehr.

Der Politologe Iwan Preobroschenski bezeichnete angesichts der Zahlen russische Unternehmer gar als "aussterbende Art". Doch mit diesem Urteil will sich Internetunternehmer Wjatscheslaw nicht abfinden. Er macht weiter. Und hat Hoffnung, dass das Schlimmste überstanden ist. "Gott sei Dank geht es langsam wieder aufwärts", sagt er. Die ersten Kunden lancierten vorsichtig wieder kleinere Reklameaufträge. Allerdings sind die Etats generell kleiner. Trotzdem werde er bis zum Jahresende damit über die Runden kommen, ist Wjatscheslaw überzeugt. Und dann hofft er, dass nicht eine zweite Infektionswelle ihm die Jahresaufträge für 2021 wegspült. (André Ballin, 10.8.2020)