Polizisten gingen zum Teil brutal gegen Demonstrierende vor.

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Eine Frau sucht das Gespräch mit einer Einheit der Bereitschaftspolizei.

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Wasserwerfereinsatz.

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Szenen von der Demo-Nacht.
DER STANDARD

Erst Stunden nach Ende des Urnengangs in Belarus (Weißrussland) am Sonntag wurden am Montagmorgen die ersten offiziellen Wahlergebnisse bekanntgegeben: Die Wahlkommission erklärte Staatschef Alexander Lukaschenko mit 80,2 Prozent der Stimmen zum Sieger der Präsidentenwahl. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja kam demnach nur auf 9,9 Prozent der Stimmen.

Tichanowskaja will nichts von einer Niederlage wissen: Sie forderte Lukaschenko zum Rückzug auf und erklärte sich selbst zur Wahlsiegerin. Zudem gab die 37-Jährige bei ihrer Pressekonferenz am Montag an, das Wahlergebnis anfechten zu wollen und auf eine Neuauszählung zu drängen.

Paul Krisai (ORF) zur Wiederwahl Lukaschenkos.
ORF

Die Opposition wirft Lukaschenko massive Wahlfälschungen vor. Auch westliche Beobachter stuften die Abstimmung – wie alle anderen Wahlen seit 1995 in dem Land – als weder frei noch fair ein. Am Wahlabend fiel in weiten Landesteilen das Internet aus, der in Belarus aktive österreichischen Netzanbieter A1 weist jegliche Verantwortung dafür von sich.

Blutige Proteste

Tichanowskajas Unterstützer hatten nachts zu Tausenden landesweit gegen Lukaschenko und Wahlfälschungen protestiert. Dabei war es zu blutigen Zusammenstößen mit vielen Verletzten gekommen, die Polizei ging brutal gegen friedliche Demonstranten vor. In der Hauptstadt Minsk setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschoße und Blendgranaten ein. Solche Proteste hat die Ex-Sowjetrepublik noch nie erlebt.

Berichte von Bürgerrechtlern, dass ein Mensch getötet worden sei, stellten sich als falsch heraus. Der Sender Belsat TV veröffentlichte ein Interview mit dem angeblich getöteten Demonstranten, in dem dieser erkläre, er werde bald aus dem Spital entlassen. Auch das Innenministerium wies die Angaben der Aktivisten zu dem Todesfall zurück. Die Polizei bestätigte 3.000 Festnahmen, zehn Polizisten seien verletzt worden.

Lukaschenko bezeichnete die Demonstranten als vom Ausland ferngesteuerte "Schafe". Der Staatschef kündigte zudem an, er werde nicht zulassen, dass das Land "auseinandergerissen" werde.

Tichanowskaja wird nicht an Demos teilnehmen

Nach Angaben von Beobachtern sollen sich in der Hauptstadt bis zu 100.000 Menschen an den Demonstrationen beteiligt haben. Auf Videos war etwa zu sehen, wie Demonstranten aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. In sozialen Netzwerken wurden immer wieder Videos veröffentlicht, die dokumentieren, wie Polizisten brutal auf Menschen einprügelten. Auch Demonstranten attackierten Polizisten, um Festnahmen zu verhindern. Es gab viele Bilder von blutüberströmten Menschen.

Auch für Montag werden wieder Proteste erwartet. Oppositionskandidatin Tichanowskaja erklärte, sie werde daran nicht teilnehmen, um die Gefahr zu vermeiden verhaftet zu werden. "Die Behörden können jede provokative Situation ummünzen, um sie zu verhaften. Und wir brauchen sie in Freiheit", sagte eine Sprecherin.

Putin und Xi gratulieren Lukaschenko, Kritik aus EU

Tichanowskaja hatte die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Gewaltverzicht aufgerufen. "Ich möchte Polizei und Militär daran zu erinnern, dass sie Teil des Volkes sind", sagte sie nach Angaben ihres Wahlkampfstabs. An ihre Anhänger appellierte sie, Provokationen zu unterlassen. "Ich weiß, dass die Menschen in Belarus morgen in einem neuen Land aufwachen werden", meinte Tichanowskaja.

Während Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping als erste Staatschefs ihrem Kollegen Lukaschenko zum Sieg gratulierten, gab es aus der europäischen Staatengemeinschaft am Montag scharfe Kritik. EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte das aggressive Einschreiten von Sicherheitskräften nach der Präsidentenwahl. "Die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die grundlegenden Menschenrechte müssen gewahrt werden", forderte der Belgier am Montag.

Deutschland kritisierte am Montag, die Wahlen hätten nicht den demokratischen Mindeststandards entsprochen. Polen und Litauen riefen die Führung im benachbarten Belarus zum Gewaltverzicht auf. Polen forderte sogar einen EU-Sondergipfel zur Lage in der Ex-Sowjetrepublik.

Doch auch die Führung in Warschau steht zurzeit in der Kritik wegen Einschränkung der Meinungsfreiheit: Bei Protesten gegen die Festnahme einer LGBT-Aktivistin in Polen wurden kürzlich rund 50 Demonstranten in Gewahrsam genommen. In der Vorwoche wurde Regenbogenfahnen, Anarchisten-Symbole und Statements an mehreren Denkmälern in der polnischen Hauptstadt aufgehängt, die Polizei hatte daraufhin drei LGBT-Aktivisten festgenommen und später wieder freigelassen.

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Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja hat die Wahl laut Wahlkommission verloren.
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"Letzter Diktator Europas"

Vor den Wahllokalen hatten sich am Sonntag teils lange Warteschlangen von einigen hundert Metern gebildet. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie. Nach Angaben der Wahlkommission stimmten 84 Prozent der Wahlberechtigten ab. Schon am Wahltag und in den Wochen davor gab es viele Festnahmen. Lukaschenko, der als letzter Diktator Europas gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. In Belarus wird noch die Todesstrafe vollstreckt.

Ziel Tichanowskajas war es, die Abstimmung zu gewinnen, als Präsidentin alle politischen Gefangenen freizulassen und dann freie Neuwahlen anzusetzen. Sie kandidiert anstelle ihres Ehemanns Sergej Tichanowski. Der regierungskritische Blogger sitzt wie der frühere Bankenchef Viktor Babariko in Haft – wegen Anschuldigungen, die als politisch inszeniert gelten. (fmo, APA, 10.8.2020)