Für ein Foto im Gumpen mit Blick auf den Königssee nimmt die junge Frau ein Bad im eiskalten Wasser.

Foto: Stefanie Ruep

Mit dem Smartphone im Anschlag fallen Fotojäger über das ehemals abgelegene Naturparadies her.

Foto: Stefanie Ruep

Die Hinweise auf die Absturzgefahr nehmen die Besucher gelassen. 2019 sind zwei junge Männer in dem Becken ertrunken.

Foto: Stefanie Ruep

Die Absperrung an der Stelle, an der der offizielle Weg endet, wird einfach überstiegen.

Foto: Stefanie Ruep

Treffpunkt am Wasserfall für viele Fotojäger.

Foto: Stefanie Ruep
Selfies sind beliebt am Königsbachwasserfall
DER STANDARD

Ein Boyfriend of Instagram ist beim Zustieg schon fleißig: "Bleib genau so stehen", sagt der junge Mann im buntgemusterten Hemd zu seiner Freundin, die mit knappen Shorts vor der idyllischen Aussicht auf den türkisen Königssee posiert. Hier am Aussichtspunkt Rabenwand ist der offizielle Wanderweg eigentlich zu Ende, doch die wenigsten kehren um. Stattdessen steigt das junge Pärchen über die Absperrung. Auch das Warnschild, das nach zwei Metern an einem Baum angebracht ist, ignorieren sie. Ihr Ziel: der sogenannte natural Infinity-Pool.

Der Königsbach hat etwa 200 Höhenmeter über dem Königssee nach einem Wasserfall eine Gumpe in den Fels gespült. Das Becken mit Blick auf den See ist über Instagram-Posts von Influencern mit Millionen Followern derart bekannt geworden, dass jährlich tausende Fototouristen den Ort besuchen. Die Folgen sind für den Nationalpark Berchtesgaden verheerend.

Es werde dort campiert, mit Drohnen geflogen und auch Feuer gemacht, sagt die Sprecherin der Nationalparkverwaltung, Carolin Scheiter, dem STANDARD. Das alles ist verboten im Nationalpark, das einst abgelegene Naturparadies leidet. Die Leute lassen ihren Müll zurück und zertrampeln Pflanzen, weil sie nicht auf den Wegen bleiben. Manche Besucher würden am Wasserfall einen Biwakplatz aufschlagen und dann die kompletten Zelte zurücklassen. "Es sind wenige Ausnahmen, aber das ist nicht mehr vertretbar", sagt Scheiter. Nun erarbeite das Landratsamt eine Verordnung, um die Gumpe aus naturschutzfachlichen Gründen zu sperren. Es soll ein Betretungsverbot erlassen werden, damit sich die Vegetation erholen kann. Bei einem Verstoß droht ein Bußgeld.

Warteschlange am Gumpen

Von der geplanten Sperre wissen die Besucher der Gumpe an dem heißen Sommertag noch nichts. Hier zählt nur eines: das perfekte Foto. Für dieses Foto, das auf Instagram bereits unzählige Male nur mit anderen Models geteilt wurde, müssen die Fotojäger erst über einen Hang im Absturzgelände klettern. Viele machen das bereits barfuß und in Badekleidung.

An der Gumpe angelangt, stehen junge Frauen im Bikini und Männer in der Badehose Schlange. Eine nach der anderen lässt sich in das kalte Wasser des Königsbachs sinken, um am Rande des Beckens die Arme auszustrecken und für das Foto zu posieren.

Einer der Poser postete im Juni ein Foto mit einem pinken Flamingo-Schwimmtier in der Gumpe. Woraufhin der Nationalpark Berchtesgaden mit den Worten "Ja, spinnts ihr?" einen Appell an alle Influencer richtete. "Löscht eure Posts und stellt keine neuen ins Netz. Verzichtet auf Wegbeschreibungen", hieß es in dem Posting. Man habe versucht, wegen der Selfie-Sucht im Schutzgebiet die Klientel mit Social-Media-Aufrufen zu sensibilisieren und zu informieren, erklärt die Sprecherin des Nationalparks. Die Reaktionen darauf waren durchwegs positiv, nur ein kleiner Teil der User habe sich kritisch geäußert.

Wenig Berge, viele Urlauber

Doch die Gumpe werde im Netz weiter getaggt, gepostet, gelikt, am besten gleich live. Das Problem bestehe schon länger, aber in den letzten zwei Jahren habe der Andrang massiv zugenommen, sagt Carolin Scheiter. Heuer komme erschwerend hinzu, dass wegen Corona viele Deutsche Urlaub im eigenen Land machen. "Wir haben nicht so viel Anteil an den Bergen", sagt die Nationalpark-Sprecherin. Alles konzentriere sich auf einem kleinen Platz.

Knapp ist der Platz auch für die Fotografen, um das begehrte Fotomotiv aus der richtigen Perspektive zu erwischen. Die Fotografen klettern dafür auf einen Baumstamm mitten im Bach vor dem Becken. Aber nicht alle sind so wagemutig. Einige machen das Foto einfach von der gegenüberliegenden Bachseite. An jeder Ecke werden Fotos geschossen, ob mit dem Smartphone, einem Selfiestick oder professioneller Kameraausrüstung.

Die Wanderausrüstung hingegen ist bei vielen Wasserfallbesuchern dürftig. Feste Wanderschuhe sind eher die Ausnahme, weiße Sneakers vorherrschend, manche tragen sogar Sandalen oder strassbesetzte Flipflops.

Der Weg zum Königsbachwasserfall ist ein alpiner Steig, kein offizieller Wanderweg. Er ist weder markiert, noch wird er gewartet. Baumstämme haben an vielen Stellen den Pfad verlegt. Mehrere Trampelpfade zeugen davon, dass hier die Touristen einfach irgendwie an der Ostwand des Königssees entlangkraxeln, um zu der Gumpe zu kommen. Nicht immer gelingt das.

Im Bikini verirrt und zwei Tote

Die Berchtesgadener Bergwacht und die Wasserrettung müssen regelmäßig ausrücken, um verstiegene Fototouristen zu bergen. Zuletzt kamen zwei junge Frauen im Bikini nach einem Fotoshooting in der Gumpe in ein Gewitter und fanden den Rückweg nicht mehr. Die Bergretter entdeckten die nassen und frierenden jungen Frauen unterhalb des Steigs und brachten sie seilgesichert zurück.

Der Run auf den Wasserfall forderte bereits zwei Tote. Im April 2019 stieg ein junger Mann in die Gumpe und kam nicht mehr aus dem Wasser heraus, sein Freund versuchte ihn zu retten – beide ertranken.

Sicherheitstechnische Gründe würden bei der geplanten Verordnung allerdings keine Rolle spielen, sagt Scheiter. Das Gebiet wird zum Schutz der Natur gesperrt. Bis die Sperre in Kraft tritt, werden die 14 Nationalpark-Ranger vermehrt unterwegs sein. (Stefanie Ruep, 11.8.2020)