Der Außenwert der türkischen Lira ist gegenüber Euro und Dollar dramatisch gesunken, ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht.

Foto: AFP/ADEM ALTAN

Istanbul – Die türkische Lira hat in den vergangenen Tagen dramatisch an Wert verloren. Kostete ein Dollar vor einer Woche noch 6,85 Lira, sind es heute bereits 7,36 Lira, der Euro verteuerte sich von 8,0 auf 8,65 Lira. Während es der türkischen Zentralbank im vergangenen Jahr noch mehrfach gelang, den Dollarkurs durch Devisenverkäufe immer wieder etwas zu drücken, scheint das jetzt nicht mehr der Fall zu sein. Der Grund ist simpel: Die Devisenreserven sind mehr oder weniger aufgebraucht, milliardenschwere Stützungskäufe für die Lira finden deshalb nicht mehr statt, weshalb die Lira nach einer katastrophalen letzten Woche auch am Montag an Wert verlor.

Negativer Zins

Die Gründe dafür sind nach übereinstimmender Expertenmeinung klar: Die Zinsen liegen mit 8,5 Prozent weit unter der Inflationsrate von zwölf Prozent, für die Lira herrscht damit ein negativer Zins. Die Folge davon ist, dass jeder, der noch etwas Geld hat, seine Guthaben von Lira in Dollar, Euro oder Gold umtauscht. Ausländische Anleger flüchten erst recht aus der Lira. Diese Zinspolitik geht direkt auf Präsident Recep Tayyip Erdoğan zurück. Dieser will niedrige Zinsen, damit Kredite billig sind und die Leute konsumieren. Um das zu erreichen, hat er jahrelang Druck auf die Zentralbank ausgeübt. Weil Zentralbankchef Murat Cetinkaya sich weigerte, die Zinsen zu senken, hat Erdoğan ihn vor genau einem Jahr gefeuert und ihn durch den willfährigen Banker Murat Uysal ersetzt, der denn auch innerhalb eines Jahres die Zinsen von über 20 auf 8,5 Prozent senkte.

Steigende Inflation

Das hat zwar den Immobilienmarkt befeuert, weil viele Leute mit billigen Krediten Wohnungen gekauft haben, doch die Regierung nimmt dafür eine steigende Inflation in Kauf, weil immer mehr Geld gedruckt wird und die Lira dadurch immer mehr an Wert verliert. Was Erdoğan im Moment rettet, ist der weltweite wirtschaftliche Zusammenbruch infolge der Corona-Krise. Nicht nur in der Türkei, auch in allen anderen Industrie- und Schwellenländern bricht die Wirtschaftsleistung ein und steigt die Arbeitslosigkeit. Da fällt die Türkei nicht so auf. Etliche Unternehmen sind mit vielen Milliarden Dollar verschuldet. Noch letztes Jahr hieß es, falls der Dollar über sieben Lira steigt, könnten viele Unternehmen ihre Devisenschulden nicht mehr bedienen. Jetzt hofft die Regierung auf Schuldenmoratorien im Zuge der Corona-Krise.

Wachsende Unruhe

Die Unruhe in der Türkei allerdings wächst. Die Kritik an Finanzminister Berat Albayrak, dem Schwiegersohn Erdoğans, wurde so laut, dass sich innerhalb der regierenden AKP eine Unterstützergruppe in den sozialen Medien organisierte, um Albayrak zu schützen. Vorsitzende diverser Wirtschaftskammern wurden genötigt, öffentlich ihre Unterstützung für Albayrak zu erklären. Erdoğan verteidigte am Freitag seine Wirtschaftspolitik bei einer bizarren Pressekonferenz, bei der er erklärte, er sei deshalb erfolgreich, weil in der Türkei bei seinem Amtsantritt 2003 nur eine Million Kühlschränke im Jahr verkauft wurden, während es jetzt 3,1 Millionen seien. Schon vor einigen Monaten hatte der Türkei-Spezialist des britischen Thinktanks Chatham House, Fadi Hakura, gesagt, Erdoğan sei so fixiert auf billiges Geld für den Konsum, dass das am Ende zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen könnte.

Frisch gedruckt

Noch hält die Regierung die Fassade aufrecht, indem sie mit frisch gedrucktem Geld Unternehmen unterstützt und selbst der wachsenden Zahl an Arbeitslosen noch ein geringes Zubrot zukommen lässt. Doch diese "mangelnde Inflationsbekämpfung", sagt Antje Praefeke von der Commerzbank, werde die Lira immer weiter fallen lassen. Da auch der Tourismus in diesem Jahr dramatisch eingebrochen ist und kaum Devisen in die Staatskasse bringt, ist eine Trendumkehr nicht in Sicht. (Jürgen Gottschlich, 11.8.2020)