Der deutsche Vizekanzler Olaf Scholz wird dem konservativen Flügel der SPD zugeordnet.

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Nach der Nominierung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat hat SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ein inhaltliches Mitspracherecht für die Parteiführung reklamiert. "Ich habe immer gesagt, dass ein Kanzlerkandidat nicht einfach seine Agenda durchdrücken kann", sagte Walter-Borjans den Medien des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Dienstag.

Die SPD benötige ein Programm, "das auf den Grundlagen der Beschlüsse des letzten Parteitags basiert und mit dem Kandidaten und der Partei konkretisiert wird". Die Arbeit daran habe bereits begonnen.

SPD-Mitglieder "enttäuscht"

Allerdings werde die Partei dem Kandidaten kein Programm "überstülpen", sagte Walter-Borjans, räumte jedoch ein, dass die Nominierung eine Reihe von Parteimitgliedern enttäuscht habe. "Einige unserer Anhänger sind enttäuscht – es wäre unehrlich und unfair ihnen gegenüber, das zu bestreiten, und man kann das ja auch bei Twitter verfolgen", sagte er in dem Interview. Er sei dennoch sicher, dass die Entscheidung für Scholz richtig sei.

Der Vizekanzler und Kanzlerkandidat wird im Gegensatz zum linken SPD-Führungsduo aus Walter-Borjans und Saskia Esken dem konservativen Parteiflügel zugerechnet. Im Rennen um den Parteivorsitz war er im vergangenen Jahr den beiden unterlegen.

Ex-Kanzlerkandidat Steinbrück warnt

Unterdessen warnte der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Partei vor einer Demontage des neuen Kandidaten Scholz. Die SPD müsse aufpassen, dass sie den Kandidaten "nicht aufreibt" zwischen Partei und Programm, sagte Steinbrück am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk. "Daran habe ich gelitten, daran hat auch Steinmeier mal gelitten – und daran hat auch Martin Schulz 2017 gelitten", sagte Steinbrück über die vorangegangenen Kanzlerkandidaten.

Scholz' Nominierung 13 Monate vor der Wahl sei nicht ohne Risiko, warnte Steinbrück. "Das ist eine sehr lange Zeit. In dieser Zeit werden Sie als Kandidat an der Wand entlanggezogen. Es wird jeder Stein umgedreht, um zu gucken, was da drunter liegt."

Parteivorsitzende sollen sich "unterordnen"

Die frühe Nominierung könne er nicht ganz nachvollziehen, sagte Steinbrück. "Denn auch in einem Vierteljahr oder in einem halben Jahr wäre niemand an Olaf Scholz als Spitzenkandidat der SPD vorbeigekommen."

Die Parteichefs Walter-Borjans und Esken rief Steinbrück auf, den Kandidaten trotz mancher Meinungsverschiedenheit nach Kräften zu unterstützen: "Er ist derjenige, der jetzt der Frontmann ist, und er muss jede Unterstützung haben. Und dem haben sich auch die beiden Parteivorsitzenden unterzuordnen." (APA, 11.8.2020)