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Rund um den Fuschlsee finden Rennradfans ideale Trainingsbedingungen.

Foto: Getty Images/Dmytro Aksonov

Langgezogen und mit einem makellosen Fahrbahnbelag unter den schmalen Reifen – es ist eine dieser perfekten Kurven, die Rennradfahrer auf der Abfahrt die Mühen des Anstiegs vergessen lassen. Die Laufräder schnurren in leichter Schräglage. Eigentlich gibt es jetzt keinen Grund, an den Bremshebeln zu ziehen und diesen herrlichen Sound zu stören. Und dennoch, wer das erste Mal auf St. Gilgen zurollt, wird vom Bedürfnis übermannt, zumindest die Geschwindigkeit zu drosseln – oder, was wahrscheinlicher ist, im Scheitelpunkt der Kurve anzuhalten. Der Reiz der Szenerie, mit dem schillernden Wolfgangsee im Vorder- und den markanten Bergzacken im Hintergrund, ist einfach zu stark.

Jakob Schmidlechner hat seinen Gast schon beim Start der Tour in Fuschl am See vorgewarnt. Der drahtige Mann mit kahlem Haupt kennt die Rennradregion Salzburger Land-Salzkammergut mit all den herrlichen Routen rund um Wolfgang-, Mond-, Fuschl- oder Attersee wie kaum ein anderer. Die Kurve hoch über St. Gilgen zählt zu den Highlights seines beneidenswerten Trainingsreviers.

Verständnis für Extravaganzen

Jakob Schmidlechner ist Triathlet, hat schon am Ironman auf Hawaii teilgenommen. Er ist aber auch Hotelier und Inhaber des Rennrad- und Triathlon-Hotels Mohrenwirt in Fuschl am See, das in der Szene weithin bekannt ist – auch weil er und sein Team den Sport leben.

Es kann schon einmal vorkommen, dass der Chef im Neoprenanzug in den Frühstücksraum spaziert, um sich nach dem morgendlichen Schwimmtraining für einen langen Arbeitstag zu stärken. Er darf das. "Meine Gäste selbstverständlich auch", betont Schmidlechner und lächelt. Man hat hier Verständnis für Extravaganzen der sportlichen Kundschaft. Wer sein eigenes Rennrad mitbringt und nicht im hauseigenen Radstadel abstellen will, kann sein geliebtes Sportgerät mit aufs Zimmer nehmen.

Trikot statt Dirndl

Wer bei seiner Buchung den Zusatz "Rennrad- und Triathlon-Hotel" übersehen haben sollte, wird wohl spätestens beim Einchecken die sportliche Ausrichtung seiner Unterkunft erkennen. Die freundliche Dame an der Rezeption trägt kein Dirndl, sondern ein Radtrikot. Und beim Aufzählen der Annehmlichkeiten, die den Gast erwarten, spielt der Wellnessbereich eine Nebenrolle – nicht nur zu Corona-Zeiten. Wichtiger ist für das Gros der Gäste der Trikot-Wasch-Service, die Navigationsgeräte mit eingespeicherten Tourvorschlägen, die Trainingsmöglichkeiten im See sowie die Öffnungszeiten des Radstadels nebenan mit Rennradverleih und Servicestation.

Hier ist Carol der Chef. Carol stammt aus Mauritius, war selbst einmal Radprofi und strahlt eine Lebensfreude aus, die selbst den verbissensten Ausdauersportler lockerer macht. An den Wänden von Carols Imperium – ein ehemaliger Kuhstall – hängen sauber aufgereiht tipptopp gepflegte Leihräder und die Rennmaschinen jener Hotelgäste, die sich von ihren Lieblingen trennen konnten.

Der Radservice und -verleih ist nur einer von vielen Mosaiksteinen in Schmidlechners Konzept, mit dem er vor gut zehn Jahren den Familienbetrieb neu aufgestellt hat. Ein Konzept, für das sie "Jaki", wie ihn alle im Dorf nennen, anfangs belächelt haben. "Fuschl war ein verschlafener Ort mit älteren Gästen, die vor allem zum Wandern gekommen sind", erzählt der umtriebige Hotelbesitzer. Soeben hat er einem Neuankömmling aus Island den Weg zum Radstadel erklärt. "Heute sagen die Leute, dass wir den Ort cooler gemacht haben."

Beste Lage

Eine gute Idee zu haben und sie mit viel Herzblut umzusetzen ist die eine Seite – aber Lage und Landschaft spielen eine mindestens genauso große Rolle für den Erfolg. "Wir befinden uns – und da können wir gar nichts dafür – in der schönsten Rennrad- und Triathlon-Region mit den besten Trainingsbedingungen", meint der sonst so bescheidene Hotelier. Da ist zum Beispiel der türkisfarbene Fuschlsee, nur wenige hundert Meter vom Hotel entfernt. In seinem glasklaren Wasser werden selbst lange, harte Krauleinheiten zum Genuss. Und Familienmitglieder, die lieber faulenzen, während der Partner an der Schwimm- oder Radkondition arbeitet, finden am hoteleigenen Badestrand ihren Urlaubsfrieden.

Einer, der diese Vorzüge schätzen gelernt hat, ist Harry Kantsperger. Der gebürtige Münchner wartet mit seinem Rennrad vor dem Hoteleingang. Kantsperger war früher in der Medienbranche tätig. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet er in Fuschl am See. Wobei "arbeiten" Auslegungssache ist, zumindest was den einen Teil seines Erwerbslebens betrifft. Harry bietet geführte Rennradtouren in der Region an. Unter anderem lotst er Gäste des Hotels Mohrenwirt über die lohnendsten Salzburger Straßen.

Verschlafene Dörfer

"Die Möglichkeiten sind hier gewaltig", schwärmt Harry, während die grünen Wiesen des Attergaus vorbeihuschen. Weil Sonntag ist und der Autoverkehr rund um die Seen dann zunimmt, hat Harry vorgeschlagen, ins "Hinterland", in den Attergau mit seinen sanften Hügeln und verschlafenen Dörfern, auszuweichen. Er erzählt von seiner Zeit als Lizenz-Radrennfahrer für den RV Sturmvogel München. "Quälen war gestern", sagt der 51-Jährige.

Eine Einstellung, die sich mit der von Jakob Schmidlechner deckt. "Der Spaß und nicht der Ehrgeiz muss im Vordergrund stehen", sagt Schmidlechner bei einem großen Stück Sachertorte nach der Rückkehr ins Hotel. Das gilt nicht nur für seine eigenen Ambitionen als Triathlet. Sich um das Wohl seiner Gäste zu kümmern bedeutet auch, übereifrige Hobbysportler in ihrem Hang zur Selbstkasteiung zu bremsen. "Das fällt dem einen oder anderen schwer", weiß Schmidlechner – genauso wie in der Kurve über St. Gilgen vom Rad zu steigen und kurz innezuhalten. (Roland Wiedemann, RONDO, 14.8.2020)