Wildtiermärkte sind ein Hygiene-Fiasko, sagen Wissenschafter. Nicht nur Verkäuferinnen, auch Lebendtiere sind hier im Dauerstress.

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Wildtiermärkte gibt es nicht nur in China, sondern auch in Indien, Afrika und Lateinamerika. Sie gelten als Brutstätten für neue Viren, da sie ideale Bedingungen für Virenübersprünge von einer Art auf die andere bieten: Hier treffen – legal und illegal – importierte, gejagte und gezüchtete Wildtiere aufeinander – Arten, die sich in der Natur niemals begegnet wären, den Menschen eingeschlossen. "Die hygienischen Bedingungen lassen auf solchen Märkten zu wünschen übrig. Die Tiere sitzen übereinandergestapelt in engen Käfigen, manche sind verletzt, alle gestresst, und sie scheiden entsprechend aus", erklärt der aus Österreich stammende Biologe Stefan Prost vom Loewe-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik in Frankfurt. All diese Tiere tragen Viren, Bakterien und Parasiten in sich, die sich über Speichel, Blut und Kot ausbreiten und denen sich unter diesen Umständen perfekte Möglichkeiten der Übertragung auf neue Wirte bieten.

Experten schätzen, dass bis zu drei Viertel aller neuartigen Infektionskrankheiten ihren Ursprung im Tierreich haben – selbst wenn die Wege der Erreger zu ihren neuen Wirten nicht immer zweifelsfrei geklärt werden können. Mit Wildtiermärkten stehen etwa HIV, Ebola, Sars und nun Sars-CoV-2 in Verbindung. Den Ursprung von Sars-CoV-2 vermuten Wissenschafter in Fledermäusen, da diese Träger eines ähnlichen Virus sind. Wie das Virus in den Menschen gelangt, ist bisher unklar.

Eine noch nicht begutachtete Preprint-Studie verdeutlicht die Risiken, die der Tierhandel bei der Verbreitung von Erregern spielt, und entlastet zugleich die Schuppentiere, die als mögliche Zwischenwirte gelten, nachdem man Sars-CoV-2-ähnliche Coronaviren in Tieren nachwies, die aus Malaysia nach China geschmuggelt worden waren. In 334 Pangolinen, die zwischen 2009 und 2019 noch in Malaysia beschlagnahmt wurden, fanden Forscher allerdings keine Coronaviren. Das deute darauf hin, dass Schuppentiere höchstwahrscheinlich zufällige Wirte seien, die sich während des Transports anstecken und nicht in freier Wildbahn, sagt der Erstautor Jimmy Lee von der gemeinnützigen EcoHealth Alliance im Fachblatt "Nature".

Vietnamesische Feldratten

Auch Feldratten infizieren sich während des Handels mit Coronaviren: Die Nager werden in Vietnam gerne gegessen, in Reisfeldern gefangen und auf Märkten oder in Restaurants verkauft. Laut einer weiteren Preprint-Studie nahm der Anteil jener Ratten, die positiv auf verschiedene Coronaviren getestet wurden, entlang der Lieferkette bis zu den Restaurants deutlich zu. Das weise auf "ein maximales Risiko für den Endverbraucher hin", schreiben die Autoren.

Die Diskussionen rund um den Wildtierhandel sind nicht neu, die Risiken für die öffentliche Gesundheit schon seit Jahrzehnten bekannt: Während des Sars-Ausbruchs 2003 verbot die chinesische Regierung den Wildtierhandel, allerdings blühte der Handel nach der Krise wieder auf.

Ende Februar verbot China den illegalen Handel und den Konsum von Wildtieren als Nahrungsmittel erneut – diesmal könnte das Verbot von Dauer sein: "Es wurden drei Gesetze überarbeitet, und momentan wird an der Umsetzung gefeilt", erklärt die Biologin Aili Kang, China-Programmdirektorin der Wildlife Conservation Society. Dass ein Umdenken stattfindet, signalisiert auch Vietnams jüngste Direktive, die ebenfalls den Handel mit Wildtieren sowie Wildtiermärkte verbietet.

Warnung vor Schließung

Einige Wissenschafter warnen jedoch vor einer vollständigen Schließung der Wildtiermärkte: "Das ist keine realistische Lösung", sagt Prost, "In China essen vor allem Reiche Wildtiere. In anderen Ländern wie in Laos sind aber Millionen Menschen auf diese Märkte angewiesen, und Wildtiere sind häufig die einzige Fleischquelle, die sie sich leisten können." Hinzu kommt, dass der Wildtierhandel ein Milliardengeschäft ist: Allein die Wildtierzucht Chinas generiert jährlich 18 Milliarden Dollar und beschäftigt 6,3 Millionen Menschen. Was passiert mit all den gezüchteten Tieren, die nun nicht mehr verkauft werden dürfen? Laut Kang arbeiten die Provinzbehörden an der Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle für betroffene Farmer, außerdem sind Entschädigungszahlungen geplant. Einige Wissenschafter zweifeln jedoch an einer wirksamen Umsetzung des Verbots und befürchten, dass der Handel in den Untergrund abtauchen könnte. "Das würde eine Überwachung dieser Märkte noch schwieriger machen", sagt Prost.

Dokumentation des Verkaufs

Der Wildtiergenetiker ist Mitglied der Wildlife Disease Surveillance Focus Group, die für deutlich schärfere Kontrollen im weltweiten Wildtierhandel plädiert: "Viel wichtiger als ein Verbot ist es, diese Märkte stärker zu beobachten, um zu dokumentieren, welche Wildtiere dort verkauft werden und welche Krankheitserreger diese in sich tragen." Das Ziel sollte sein, die Artenzahl, die auf Wildmärkten aufeinandertrifft, zu reduzieren, die Haltungsbedingungen der Tiere sowie die HygieneStandards zu verbessern und den Verkauf illegal gejagter, geschützter Tiere zu unterbinden.

In einem aktuellen Kommentar im Fachblatt "Science" schlägt die Gruppe ein kostengünstiges, dezentralisiertes Seuchenüberwachungssystem vor. Mithilfe eines tragbaren Minilabors, mit dem man DNA entschlüsseln kann, lassen sich Proben vor Ort gezielt auf Krankheitserreger überprüfen. "So ein Rucksacklabor kostet rund 5000 Euro, die Analyse einer Probe rund fünf Euro", erklärt Prost. Die Methode werde momentan in Asien und Afrika erprobt. Dieser Ansatz würde ein Erregermonitoring auch in Ländern ermöglichen, die über keine entsprechenden Labore verfügen.

Erschwerter Erregernachweis

Laut der Weltorganisation für Tiergesundheit gibt es 125 Laboratorien, die für das Screening auf einen oder mehrere Zielerreger zertifiziert sind. Ihre globale Verteilung spiegelt nicht die Risiken eines Auftretens neuer Infektionskrankheiten wider, die vor allem Länder in Südostasien, Afrika sowie Mittel- und Südamerika tragen: So befinden sich 78 Labore in Europa und Nordamerika, 14 in China, acht in Südamerika und nur drei in Afrika – was den raschen Erregernachweis erschwert. "Statt immer nur zu reagieren, sollten wir von nun an vorbeugen", sagt Prost – indem man Wildtiermärkte und -farmen, frei lebende Hochrisiko-Tierpopulationen wie Primaten und Fledermäuse und auch den internationalen Wildtierhandel, also den Export und Import exotischer Haustiere, regelmäßig auf Krankheitserreger untersucht.

"Ein Erreger-Screening vor oder nach dem Transport von Wildtieren findet nicht statt, und die veterinärmedizinischen Einfuhrkontrollen fallen je nach Land sehr unterschiedlich aus. Das ist weitgehend eine ‚Blackbox‘", erklärt Sandra Altherr, Mitbegründerin der Arten- und Tierschutzorganisation Pro Wildlife. Die fehlende Kontrolle kann in Einzelfällen tödlich sein: Zwischen 2011 und 2013 starben drei Bunthörnchenzüchter aus Sachsen-Anhalt an einer Gehirnentzündung, die durch ein neues Bornavirus ausgelöst wurde. Die drei Männer hatten sich bei ihren Tieren angesteckt.

Ein sorgfältiges Monitoring ist unerlässlich, weil Chinas Handelsverbot Schlupflöcher bietet: So umfasst es nicht den Handel mit Wildtieren, die in der traditionellen Medizin Verwendung finden – eine Industrie, die als massive Triebfeder des Wildtierhandels gilt und die öffentliche Gesundheit somit weiter gefährden könnte. Doch auch hier gibt es Hoffnungszeichen: "Einige chinesische Provinzen haben restriktivere Vorschriften verabschiedet als die auf zentraler Ebene getroffene Entscheidung", sagt Kang. Zudem hat China beschlossen, gefährdete Tierarten wie das Pangolin aus dem "China Medicine Dictionary", dem wichtigsten Wörterbuch der Traditionellen Chinesischen Medizin, zu streichen. (Juliette Irmer, 16.8.2020)