Die hellen Flecken auf der Oberfläche von Ceres bereitete den Astronomen zunächst Kopfzerbrechen.
Foto: NASA/JPL-Caltech

Als die Nasa-Sonde Dawn am 6. März 2015 in eine langgestreckte Umlaufbahn um Ceres einschwenkte, hofften die Wissenschafter, dass ein Blick aus der Nähe endlich die Lösung für einige rätselhafte Beobachtungen liefern würde: Schon auf den ersten halbwegs scharfen Aufnahmen der ansonsten dunklen Oberfläche des Zwergplaneten zeigte sich ein mysteriöser strahlend heller Fleck. Detailliertere Bilder enthüllten bald, dass die weiße Struktur aus zahlreichen kleineren Einzelflecken besteht, der markanteste von ihnen liegt innerhalb des Occator-Kraters.

Auf eine Erklärung mussten die Forscher trotzdem noch einige weitere Monate warten: Erst im Dezember 2015 ergaben spektroskopische Untersuchung, dass es sich bei dem Phänomen hauptsächlich um (vermeintlich) uralte Ablagerungen von Mineralsalzen handelt. Diese und zahlreiche weitere Indizien sprechen dafür, dass der größte Körper im Asteroidengürtel wesentlich komplexer und aufregender ist als man lange Zeit für möglich hielt.

Die Nahaufnahme vom Krater Occator (ein Mosaik aus zahlreichen Einzelbildern) zeigt die hellen Salzablagerungen in Falschfarben.
Foto: NASA/JPL

Vulkanismus und die Überreste eines Ozeans

So sprechen die weißen Flecken nicht nur für eine kryovulkanische Vergangenheit, aktuelle Studien gehen sogar davon aus, dass unterhalb des Einschlagskraters Occator bis heute unterirdische Sole in Richtung Oberfläche drängt. Das Wasser, das dort verdunstet und helle, salzhaltige Ablagerungen hinterlässt, könnte also nach wie vor in flüssiger Form vorhanden sein – womöglich sind es die Reste eines globalen Ozeans. Zu diesen Schlüssen kommt ein internationales Forscherteam unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen nach der Analyse hochaufgelöster Kameraaufnahmen von Ceres aus der letzten Phase der Dawn-Mission Dawn. In insgesamt sieben Artikel in den Fachjournalen "Nature Astronomy", "Nature Geoscience" und "Nature Communications" widmen sich diesen und weiteren Ergebnissen der Dawn-Mission.

Kryovulkanismus galt lange Zeit als ein Phänomen des äußeren Sonnensystems, das ausschließlich auf einigen Eismonden von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun auftritt. Durchgeknetet von den gewaltigen Gravitationskräften ihrer Mutterplaneten bieten diese Monde in ihrem Innern genug Wärme, dass dort Wasser trotz der beachtlichen Entfernung von der Sonne nicht vollständig gefriert und in zum Teil spektakulären Fontänen ins Weltall sprüht. Ganz anders dürfte es im Asteroidengürtel zugehen. Die vielen Millionen größerer und kleinerer Brocken, die dort zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen, galten früher gemeinhin als einfach aufgebaute, wasserlose und inaktive Körper.

Untere dem Grund des Occator-Kraters vermuten die Forscher Reste eines einstigen globalen Salzwasserozeans.
Foto: NASA/JPL-Caltech

Einzigartige Aufnahmen aus 35 Kilometern Distanz

Dass sich diese Sichtweise nicht aufrechterhalten lässt, bewiesen bereits die ersten Aufnahmen der Nasa-Sonde Dawn. Ceres, der mit einem Durchmesser von 950 Kilometern größte "Bewohner" des Asteroidengürtels, entpuppte sich nach und nach als rätselhafter Sonderling. Die Forschungsergebnisse beruhen in erster Linie auf Messdaten aus der letzten Phase der Dawn-Mission, die Ceres von 2015 bis 2018 aus der Nähe untersuchte. Auf einer stark elliptischen Umlaufbahn wagte sich die Raumsonde in ihren letzten fünf Monaten bis auf 35 Kilometer an die Oberfläche heran – näher als je zuvor. Dem wissenschaftlichen Kamerasystem der Dawn-Sonde, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde, gelangen in dieser Zeit einzigartige Aufnahmen.

Besonderes Augenmerk richteten die Wissenschafter auf den Occator-Krater auf der Nordhalbkugel von Ceres. Mit einem Durchmesser von etwa 92 Kilometern übertreffen seine Ausmaße selbst die der allermeisten irdischen Krater. Noch auffälliger sind seine leuchtend weißen Flecken, die bereits in der Anflugphase auf Ceres zu Spekulationen um etwaige Wasservorkommen anregten. "Genau betrachtet hat der Occator-Krater eine sehr komplexe Struktur mit Erhöhungen, Absenkungen, Ablagerungen, Rissen und Furchen. In allen Einzelheiten ist dies erst in der letzten Missionsphase deutlich geworden", erklärt Andreas Nathues vom MPS, wissenschaftlicher Leiter des Kamerateams von Dawn. "Aus der heutigen Morphologie des Kraters können wir seine Entstehungsgeschichte rekonstruieren – und so einen Blick in die bewegte Vergangenheit von Ceres werfen."

Bewegte Geschichte eines besonderen Kraters

Die hochaufgelösten Aufnahmen ermöglichen es sogar, das Alter der einzelnen Kraterbereiche zu bestimmen. Zu diesem Zweck analysieren die Forscher Anzahl und Beschaffenheit kleinerer Einschläge, die jeden Körper im Sonnensystem überziehen. Je jünger eine Oberfläche ist, desto weniger Mini-Krater weist sie auf. Wie sich zeigte, entstand der Occator-Krater vor etwa 22 Millionen Jahren durch einen heftigen Einschlag. Wie in vielen anderen Einschlagskratern im Sonnensystem bildete sich dabei ein Zentralberg, der allerdings nach einiger Zeit wieder einstürzte.

Über 130 helle Flecken (hier rot markiert) haben Forscher mittlerweile auf dem Zwergplaneten Ceres ausgemacht.
Oben links: Über dem Occator-Krater zeigt sich bei Sonneneinstrahlung eine Art Nebel.
Oben rechts: Der Oxo-Krater ist die zweithellste Struktur auf Ceres; auch hier tritt eine Art Nebel auf.
Unten: Ein typischer wasserloser Krater. Die helle Färbung rührt von Mineralsalzen her, die wahrscheinlich im Laufe der Zeit ausgetrocknet sind.
Foto: NASA/JPL-Caltech

Vor etwa 7,5 Millionen Jahren stieg unter den Resten des Zentralbergs Sole aus dem Innern an die Oberfläche empor. Das Wasser verdunstete und bestimmte Salze, so genannte Karbonate, lagerten sich ab. Sie sind für die markanten hellen Ablagerungen, genannt Cerealia Facula, im Zentrum des Occator-Kraters verantwortlich. Durch den Materialverlust im Innern sackte der innere Teil des Kraters ab. Es bildete sich eine runde Vertiefung mit einem Durchmesser von etwa 15 Kilometern.

Wie der Krater Occator sein heutiges Aussehen erhielt.
Grafik: MPS/hormesdesign.de

In den folgenden Jahrmillionen konzentrierte sich die Aktivität vor allem auf den östlichen Bereich des Kraterbodens. Durch Risse und Furchen quoll auch dort Sole an die Oberfläche und erzeugte weitere helle Ablagerungen, die Vinalia Faculae. Vor etwa 2 Millionen Jahren wachte das Zentrum des Kraters wieder auf: Erneut drang Sole an die Oberfläche, innerhalb der zentralen Vertiefung wölbte sich eine Kuppe aus hellem Material nach oben. "Dieser Prozess dürfte mindestens bis vor einer Million Jahre angedauert haben", fasst Nico Schmedemann von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) die Ergebnisse zusammen.

Überreste eines gewaltigen unterirdischen Gewässers

"Bemerkenswert ist vor allem, wie lange der Occator-Krater aktiv war und möglicherweise noch immer ist", so Nathues. Theorien, wonach die ausgetretene Flüssigkeit ausschließlich auf Schmelzwasser vom ursprünglichen Einschlag zurückzuführen ist, sieht er dadurch widerlegt. Die Wärme, die bei einem solchen Einschlag entsteht, hätte sich nicht über so viele Millionen Jahre im Inneren halten können.

Stattdessen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich tief unterhalb des Occator-Kraters Reste eines globalen, salzigen Ozeans finden. Ähnlich wie Streusalz im Winter sorgt das gelöste Salz dafür, dass die Sole trotz der tiefen Temperaturen im Inneren des Körpers flüssig bleibt. Diese Interpretation stützt eine andere Untersuchung: Dafür werteten Wissenschafter unter Leitung des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der Nasa Dawns Gravitationsmessungen aus. Die Analyse ergab starke Hinweise auf eine Blase aus flüssiger Sole, die etwa 40 Kilometer unterhalb des Occator-Kraters liegt.

Video: Ein Ozeanrest unter Cere's Oberfläche?
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Möglich ist sogar, dass aus dem Zwergplaneten noch immer Wasser austritt und verdampft. Bereits 2014 hatten Messungen mit dem Weltraumteleskop Herschel Anzeichen einer extrem dünnen, wasserhaltigen und möglicherweise nur sporadisch auftretenden Exosphäre gefunden. Im Zuge der späteren Dawn-Mission fanden Nathues und sein Team Hinweise auf eine Art dünnen Dunst, der täglich über dem Occator-Krater liegt.

Junge Ablagerungen und einzigartiger Kryovulkanismus

Zu diesen Puzzlestücken gesellt sich nun die Veröffentlichung des Spektrometer-Teams von Dawn unter Leitung des Istituto di Astrofisica Spaziale e Fisica Cosmica in Rom. Die Forscher konnten in dem hellen, abgelagerten Material unter anderem Salzverbindungen nachweisen, die Wasser enthalten. Das nur leicht gebundene Wasser verdunstet an der Oberfläche von Ceres jedoch innerhalb von Wochen; die Ablagerungen können somit nicht alt sein.

"Wir gehen davon aus, dass Ceres noch immer gelegentlich kryovulkanisch aktiv ist", folgert Nathues. Während einiges dafür spricht, dass die Ausbrüche in der frühen Entwicklungsphase des Occator-Vulkanismus teilweise geradezu explosiv waren, dürfte sich Ceres‘ Kryovulkanismus mittlerweile deutlich beruhigt haben. Die Wissenschafter vermuten, dass Wasser nun in erster Linie durch Verdampfen entweicht. "Ein solcher Kryovulkanismus ist nach bisherigem Kenntnisstand im Sonnensystem einzigartig", sagt Schmedemann. (red, 17.8.2020)