"Es ist diese Mühelosigkeit und Leichtigkeit, mit der man sich fortbewegt. Stellen Sie sich einen Frühlingsmorgen vor auf der schottischen Insel Skye in den westlichen Hebriden. Sie fahren eine wunderschöne Straße entlang, es blüht und summt und duftet. Ein paar Mädchen stehen am Straßenrand ..." So beschrieb der Autor Fritz Teufel seine Liebe zum Fahrradfahren, das er die "zutiefst menschliche Art der Fortbewegung" nannte.

Gut, es sind nicht die Hebriden, sondern nur das Inntal, doch das Lebensgefühl ist dasselbe, wenn man mit dem Lastenrad an einem sonnigen Julimorgen den Feldweg Richtung Innsbruck hinunterrollt. Die aufgehende Sonne im Rücken, liegt einem die Stadt zu Füßen. Als Kulisse dienen rechter Hand die schroffen Karwendelgipfel. An klaren Tagen reicht die Sicht bis zum Stubaier Gletscher.

Das Lastenrad mit E-Motor ist ein Game-Changer. Mobilität wird damit zum nachhaltigen Vergnügen.
Foto: Florian Lechner

Zwei statt vier Räder

Im Auto bleibt kaum Zeit, die Umgebung derart zu bewundern. Doch wer das Rad als alltägliches Transportmittel nutzen will, der braucht mehr als schöne Aussichten. Kann ein Fahrrad tatsächlich einen Pkw ersetzen? Das RONDO hat zwei Monate lang in Tirol den Selbstversuch unternommen. Es ist ein ungleiches Duell: auf der einen Seite ein sichtlich mitgenommener VW Sharan, Erstzulassung 2008. Ihm gegenüber steht quasi die Zukunft: ein brandneues Lastenrad mit Elektroantrieb des deutschen Herstellers Isy. (Anm.: In der Printversion dieses Artikels wurde Isy fälschlicherweise als Schweizer Firma bezeichnet, die Räder stammen allerdings aus Hüllhorst, dem Heimatort ihres Erfinders Martin Kuhlmeier.) Preislich halten sich die beiden Fahrzeuge fast die Waage. Der Sharan kostete vor gut zwei Jahren 4000 Euro. Das Lastenrad kommt auf 4500 Euro Neupreis.

Die Ausgangssituation ist folgende: Zwei-Personen-Haushalt plus drei Kinder zwischen elf und 15 Jahren, die zeitweise hier leben und mitunter chauffiert werden müssen, aber auch schon alt genug sind, um selbst zu treten und die Öffis allein zu nutzen. Dank Schnellspannern an Sattelstütze und Lenker ist das Radl mit zwei Handgriffen auf verschiedene Körpergrößen einstellbar. Und auch Kinder können das gut zwei Meter lange Modell samt Ladung problemlos fahren, wie sich zeigte. Zum Haushalt gehören nebst Hund derzeit noch zwei Pkws, von denen einer die meiste Zeit ungenutzt vor sich hin rostet. Daher keimt seit längerem die Idee, eines der Autos durch ein E-Bike zu ersetzen. Schon jetzt werden viele Alltagswege mit dem Fahrrad absolviert. Doch die 13 Kilometer Fahrtstrecke bis in die Innsbrucker Innenstadt – oft Arbeitsort und Ziel der Alltagswege – mitsamt ihren gut 200 Höhenmetern auf dem Weg retour, verleiden einem bisweilen die Lust am Radeln. Vor allem wenn es schnell gehen soll oder man nicht völlig verschwitzt ankommen will, ist die Versuchung groß, zum Autoschlüssel zu greifen.

Ein paar verwackelte, selbst erstellte Video-Impressionen aus zwei Testmonaten. Das Rad ist Waldweg-tauglich und eignet sich hervorragend als Vehikel zum Kletter-Equipment-Transportieren. Am Bettelwurfeck wurden die (Kraft-)Grenzen von Motor und Fahrer ausgelotet, bergab die der Bremsen. Und die Fahrt nach Innsbruck ist ein reines Vergnügen – vor allem bei Schönwetter.
DER STANDARD

Neue Lust am Pendeln

Nach mittlerweile fast 800 zurückgelegten Kilometern auf dem Lastenrad hat sich das drastisch verändert. Das Auto wurde zur Notlösung, wenn es gar nicht mehr anders geht. Denn es ist kaum noch merklich schneller. Und daran ist der Elektroantrieb schuld. Dank Pedelec wird das Pendeln zu einer der qualitativ besten Zeiten des Tages. Wer auf dem Weg in die Arbeit nicht sportliche Herausforderungen sucht, entdeckt auf diese Weise seine Umgebung neu und kommt schnell, aber dennoch entspannt an. Der im Testmodell verbaute Bosch-Motor – Performance Line CX – leistet 250 Watt und unterstützt das gut 40 Kilogramm schwere Gefährt dank 75 Nm Drehmoment bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h. So die offiziellen Zahlen. In der Praxis zeigte sich, dass die Unterstützung bei idealer Trittfrequenz erst bei 27,1 km/h endet. Das heißt, auf dem Radlweg die Überholspur nutzen, denn die meisten anderen E-Bike-Motoren riegeln offenbar etwas früher ab. Die moderate Steigung hinauf nach Absam bewältigt das schwere Trumm mit beeindruckender Leichtigkeit und konstant 20 km/h.

Seine Qualitäten spielt der E-Antrieb vor allem beim Anfahren, bei Gegenwind und Steigungen aus. Das mussten selbst die Rennradler akzeptieren, die bei der Testrunde auf der 2018er-WM-Strecke nahe Gnadenwald trotz ihrer Carbonhobeln oft das Nachsehen gegenüber dem Lastenmuli hatten. Überraschendste Erkenntnis dabei: Nicht nur bergauf, auch bergab überzeugte das Isy. 63,1 km/h Höchstgeschwindigkeit zeigte der Tacho auf dem Höhepunkt der rasanten Abfahrt. Wobei ab einer Geschwindigkeit von 45 km/h das Vorderrad etwas unruhig wird. Erst Zusatzbeladung oder dosiertes Bremsen vorn vermögen die Laufruhe wiederherzustellen.

Die Holzkiste ist Stau- und Passagierraum. Mit einem Handgriff wird die Sitzbank aufgeklappt.
Foto: Florian Lechner

Familienhündin Ella musste als Erste eine lebende Fracht spielen, um die Transportkapazität des Lastenrades zu prüfen. Mit ihren 28 Kilogramm ist sie ein Bröckerl. Doch so ein Cargobike birgt einen unschätzbaren Vorteil: Platz. Sogar die zwei Söhne im Alter von elf und 13 schafften es, sich gemeinsam in die Kiste zu quetschen. Das Isy ist ein klassischer Frontlader oder Long John. Das heißt, zwischen Lenker und Vorderrad ist die Ladefläche, deren Schwerpunkt möglichst tief liegt. So lässt es sich auch voll beladen mühelos durch den Stadtverkehr lenken. Beim Anfahren hilft die E-Unterstützung, im Nu ist man wieder in Bewegung und somit Gleichgewicht. Diese Art Lastenrad geht auf das legendäre Modell Long John des dänischen Herstellers SCO zurück. Das Original wird heute nicht mehr gebaut, aber der Name und das Vorbild blieben. Die Ladefläche des Testbikes ist mit einer hölzernen Box versehen, in der sich auch eine kleine Sitzbank für junge oder kompakte Passagiere ausklappen lässt – seit 2013 dürfen in Österreich Kinder mit Helm und angegurtet in derlei Boxen mitfahren. Alternativ passen auch Getränkekisten und größere Einkäufe problemlos in die Holzbox. Dach ist allerdings keines dabei, das heißt, bei Regen wird die Fracht nass.

Ölverschmierte Hosen sind dank Riemen- statt Kettenantrieb passé.
Foto: Florian Lechner

Wetterfestigkeit

Das zulässige Gesamtgewicht am Isy Lastenrad beträgt 225 Kilogramm. Mittels Gepäcktaschen lässt sich das Ladevolumen noch vergrößern, etwa um Regengewand mitzuführen. Denn auch am modernsten E-Bike bleiben Fahrer oder Fahrerin Wind und Wetter ausgeliefert. Nach der Heimfahrt im Sommergewitter mit Starkregen war nichts mehr trocken, außer der in den wasserdichten Ortlieb-Taschen auf dem Gepäckträger verstaute Dienst-Laptop. Sensible Fracht kann so auch beim schlimmsten Wetter sicher transportiert werden. Nur als Fahrer sollte man weniger empfindlich sein. Der heurige Juni stellte in dieser Hinsicht einen wahren Härtetest dar. Praxistipp: Die beste, sprich: dichteste, Regenbekleidung muss nicht die teuerste sein. Bauarbeiter-Ausstatter Engelbert Strauss hat etwa Überhosen ab 20 Euro im Angebot, mit denen man wirklich trocken ankommt.

In Sachen Reichweite ist das E-Lastenrad überraschend ausdauernd. Der vollgeladene 500 Wh-Akku brauchte auf der Strecke Absam–Innsbruck–Schwaz–Absam, also fast 65 Kilometer, gefahren mit der höchsten Unterstützungsstufe, nur eine kurze Zwischenladung während des Termins in Schwaz. Mittlerweile ist es übrigens problemlos möglich, den Akku bei Zwischenstopps in Cafés, Restaurants oder Geschäften kurz anzustecken. Diesbezügliche Bitten wurden nicht einmal abgelehnt. An die Grenzen seiner Belastbarkeit geriet das Isy erst im Halltal. Am Bettelwurfeck, mit bis zu 32 Prozent Steigung eine der steilsten Asphaltstraßen Tirols, war Hündin Ella das bisschen Zuladung zu viel – trotz trainierter Beine des Fahrers und E-Motor. Bergab erwiesen sich an selber Stelle die 160-mm-Bremsscheiben als etwas unterdimensioniert für so viel Masse, die gen Tal schob. Im herkömmlichen Alltagsverkehr kommt das Rad aber kaum an derlei Grenzen.

Fotograf Florian Lechner hat Steffen Arora bei seiner Ausfahrt mit dem Lasten-E-Bike in Tirol begleitet.
Foto: Florian Lechner

Reich und schön

Zugegeben, wer sein Auto gegen ein E-Lastenrad tauschen will, muss eine gewisse Begeisterung fürs Radeln mitbringen und wetterfest sein. Wer es aber wagt, wird vor allem zwei Vorteile genießen: Es kostet im Betrieb fast nichts. Der alte Sharan verschlang seit der Anschaffung vor zwei Jahren mehr als die Hälfte des Kaufpreises zusätzlich durch Reparaturen. Von Versicherung, Tankgebühren und Sonstigem ganz abgesehen. Was aber noch mehr wiegt als Geld: E-Bikes sind rollende Fitnessgeräte. Nach zwei Monaten fühlt man sich auch als passionierter Bio-Radler fitter und profitiert so vom fast unmerklichen Zusatztraining.

Als Ersatz fürs Zweitauto macht das Isy definitiv Sinn, auch außerhalb urbaner Zentren. Daher sind die Tage des Sharan nun gezählt. Die nächste Pickerlprüfung wird die letzte sein. Die Palette an E-Lastenrädern ist mittlerweile derart breit, dass für jeden Einsatzzweck das richtige dabei ist. Doch jenseits aller rationalen Argumente, von wegen Geld, Gesundheit oder Nachhaltigkeit, bleiben die Freude und das Glücksgefühl, das einem Fahrradfahren beschert, die überzeugendsten. (Steffen Arora, 17.8.2020)

Das Testrad wurde von der Firma Hartje zur Verfügung gestellt.


Technische Daten des Testrades:

  • Maße: 210 cm kurz, 30 cm breite Ladefläche (Aufbau mit Holzkiste 59,5 cm breit)
  • Schaltung: Enviolo TR, stufenlos
  • Unterstützung: 25 km/h
  • Antrieb: Zahnriemen Gates "CDX"
  • Motor: BOSCH "Performance CX" 36V / 250W
  • Akkuleistung: 500 Wh
  • Gewicht: 39kg (inkl. Akku, exkl. Zubehör)
  • Farben: crystal white, telegrau, ferrarirot, light green metallic