Den Arzt am Bildschirm konsultieren und sich den Weg in die Praxis sparen? Der Corona-Lockdown hat gezeigt, dass das ein Weg ist. Auch die Rezeptzustellung direkt in die Apotheke ist ein neuer Weg.

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Wie gewohnt zum Arzt gehen, über ein Wehwehchen reden und ein Rezept bekommen – das war einmal. Die Corona-Pandemie hat auch die Art verändert, wie wir ärztlichen Rat einholen. Die Telemedizin hat Einzug gehalten und vor allem während des Lockdowns an Bedeutung gewonnen.

60 Prozent der Österreicher gehen davon aus, dass Telemedizin künftig eine noch viel stärkere Bedeutung bekommen wird. Das zeigt eine Umfrage, die Spectra durchgeführt hat. Männer sehen laut der Spectra-Umfrage diesen Bedeutungszuwachs stärker als Frauen, stehen dieser Entwicklung aber gleichzeitig pessimistischer gegenüber.

Persönlicher Kontakt fehlt

Acht Prozent der Österreicher haben laut der Spectra-Erhebung schon einmal oder mehrmals telemedizinische Leistungen in Anspruch genommen. Diese Zahl wurde vor allem durch den Corona-Shutdown beeinflusst. Davor waren es vier Prozent, die damit bereits Erfahrung hatten. 37 Prozent der im Mai befragten 500 Österreicher haben den Begriff Telemedizin schon einmal gehört. Vor allem den Älteren war diese Art der Kontaktaufnahme mit dem Arzt bereits ein Begriff.

Die Vorteile der Telemedizin liegen freilich auf der Hand. Mit dem Wegfall des Anfahrtsweges ergibt sich eine Zeitersparnis, auch der einfachere Zugang zu medizinischen Leistungen wird von den Österreichern genannt. Große Entfernungen könnten so leichter überbrückt werden und ansteckende Krankheiten nicht so leicht weiterverbreitet werden.

Der fehlende persönliche Kontakt wird aber als Nachteil empfunden. Ebenso herrscht unter Befragten mangelndes Vertrauen in Bezug auf die Diagnose bzw. die ärztliche Beratung aus der Ferne. Hinzu kommt eine oft noch nicht ausgereifte Technik, also Software etwa, die während des Gesprächs abstürzt.

"Dringender Handlungsbedarf"

Die Boston Consulting Group misst diesem Thema auch einen hohen Stellenwert zu. Heike Dorninger, Expertin für Krankenkassen und Gesundheitssysteme, ortet ob der neuen Situation "dringenden Handlungsbedarf" auch bei den Krankenkassen. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass sich die Veränderungen der Krankenversicherung vom reinen Kostenträger hin zum Dienstleistungs- und Technologieunternehmen beschleunigen wird. Das System Krankenversicherung sei in vielen Bereichen an seine Grenzen gestoßen – so gab es mitunter keine Identifikation mehr von Risikopatienten, die aus Angst nicht mehr zum Arzt gegangen sind und Komplikationen riskiert hätten. "Es ist davon auszugehen, dass künftig 50 Prozent des Kontaktes zwischen Patienten und Krankenkassen digital stattfinden werden", sagt BCG-Partnerin

Zu diesem Thema hat BCG in Deutschland eine Umfrage unter 1500 Versicherten durchgeführt und dabei erkannt, dass ein Drittel der Versicherten Behandlungen wegen der Corona-Krise abgesagt bzw. verschoben hat. Fast 30 Prozent haben sich durch die Absage bzw. Verschiebung schlechter gefühlt. "Die aktive Ansprache von Versicherten oder Risikogruppen könnte helfen, die Vorsorge zu erhöhen", sagt Dorninger. Etwa wenn Diabetiker zu Vorträgen eingeladen werden oder Jüngere aktive Vorsorgevorschläge bekämen.

Die Krankenkassen müssten sich weiterentwickeln, vom reinen Abrechner hin zur Vorsorge. "Eine aktive Rolle der Kassen im Zusammenspiel mit dem Patienten und einer personalisierteren Kommunikation würde die Qualität der Vorsorge steigern", sagt Dorninger.

Raschere Versorgung

In die Zukunft gedacht könnte mit Telemedizin auch der Arzt aktiv auf den Patienten zugehen, weil dieser Teststäbchen (etwa für Urintest) nach Hause schicken könnte und der Patient nur zum Arzt muss, wenn Werte nicht passen. Oder der Arzt könnte via Remote-Monitoring Patienten mit Herzinsuffizienz besser überwachen. Passen Werte plötzlich nicht, meldet sich der Arzt. Eine raschere Behandlung oder Vorsorge wären hier die Folge. In Überlegungen dieser Art spielen freilich Datenschutzfragen eine große Rolle.

66 Prozent der Versicherten wollen laut BCG künftig eine aktivere Ansprache, vorzugsweise digital oder per Telefon. Dazu gehört die Erinnerung an eine Vorsorge oder die Beratung bei akuter Krankheit. (Bettina Pfluger, 12.8.2020)