Kostproben aus den neu in den Duden aufgenommenen Stichwörtern.

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Ein Wort, das im Duden steht, hat es geschafft. Es ist gekommen, um für eine längere Zeit in unserem Sprachgebrauch zu bleiben. Kein gutes Omen also, denn Covid-19 und Social Distancing fehlen in der soeben erschienenen 28. Auflage des gelben Rechtschreibziegels genauso wenig wie der Lockdown, die Herdenimmunität, die Freuden der Telemedizin, die Reproduktionszahl, die Ansteckungskette (ob rückverfolgbar oder nicht), die dagegen eingesetzte Atemschutzmaske und die hoffentlich bald auch hohe Durchimpfungsrate. Und Preppen bedeutet, sich für das Leben im Krisenfall zu rüsten, Stichwort: Klopapierhamstern. Aber genug der Sorgen.

Auch 3.000 weiteren Wörtern ist nämlich der Einzug gelungen. Sie zeichnen ein heitereres Bild der Gegenwart. So kann man jetzt ganz offiziell als Achtsamkeitsübung im Unverpacktladen seine pestizidfrei geernteten Chiasamen kaufen oder im Repaircafé einen gehypten Matchatee trinken, während man seinen Pflegeroboter überholen lässt. Das Craftbeer zum Binge-Watching von Netflix-Serien oder beim natürlich gendergerechten Sexting auf Datingplattformen ist jetzt auch von höchster Rechtschreibstelle autorisiert.

Ein bisschen bobo

Klingt ein bisschen bobo? Viele markante Neuaufnahmen verdanken sich tatsächlich dem Themengebiet Lifestyle. Neu sind etwa der Concealer, das englische Grooming für Körperpflege und dank Hipstern und Barbershops das Bartöl – das stand aber vor 100 Jahren vielleicht schon einmal drin. Stark vertreten sind zudem Geschlechtergerechtigkeit, Belange des Umweltschutzes oder Hass im Netz.

Der zunehmenden Sensibilität im Hinblick auf Geschlechtsbezeichnungen trägt das Gendersternchen Rechnung. Drei der 1.296 Seiten des Duden widmen sich zudem Fragen des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs und welche Möglichkeiten zum Gendern bereitstehen. Aktuellen identitätspolitischen Debatten über soziales und biologisches Geschlecht kommen auch die neuen Stichwörter transgender und, entgegengesetzt, cisgender für die Differenz respektive Kongruenz von angeborener und empfundener Geschlechterzugehörigkeit nach. Funfact: 46 Prozent der Substantive im Duden tragen den Artikel "die", 34 Prozent sind maskulin, 20 neutral.

Festhalten, was ist

Auch wenn manches davon in manchen Ohren neu klingen mag: Es geht dem Duden nicht darum, uns neue Wörter beizubringen, sondern lediglich darum, die, die sich unter den Sprechern bereits durchgesetzt haben, orthografisch festzuhalten. Am Anfang eines jeden neuen Dudens steht somit das Dudenkorpus, eine digitale Sammlung von Zeitungsartikeln, Romanen, Blogs oder Fachtexten mit derzeit 5,6 Milliarden aktuellen Wortformen. Dieser Wörterhort wird für jeden neuen Duden durchsucht, dabei werden Wörter nach Kriterien wie der Nutzungshäufigkeit und Verbreitung bewertet.

Ist die Duden-Redaktion sich sicher, dass ein Begriff nicht mehr nur ein irrelevantes Nischendasein fristet, sondern in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist, übernimmt sie es. Das können Fachbegriffe wie im Fall des Corona-Komplexes sein, ganz neue Wortschöpfungen oder Übernahmen aus Fremdsprachen, vor allen aus dem Englischen. Das hänge auch damit zusammen, dass die Englischkenntnisse der Deutschen besser und sie selbst internationaler würden, wodurch die Hemmschwelle sinke, solche Wörter zu verwenden.

Nicht mehr verwenden wollen wir laut Duden hingegen Plastik – oder zumindest ressourceneffizient damit umgehen. Plastikfrei und Pfandbecher sind also neu, ökologisch korrekt sind auch die Warnung glyphosathaltig sowie die Zuschreibung bienenfreundlich und die im Zuge der Fridays-for-Future-Proteste aufgeploppte Flugscham. Dem Klimanotstand soll außerdem die Ladesäule für den Plug-in-Hybrid vor dem angesichts hoher Wohnkosten Tiny House abhelfen. Fast jedes neue Wörtchen erzählt eine Geschichte. Man muss ihnen nur zuhören.

Erschreckliche Gegenwart

Unter den zwischen Sozialproblematik und Wohlfühlkapitalismus dazugekommenen Wörtern beunruhigen ebenfalls Alltagsrassismus, Hasskommentar und rechtsterroristisch. Faktenfinder sind nun vonnöten. Vielleicht erklärt das, was die Dystopie neu (!) in der Liste sucht.

Seit 1880 erscheint das Druckwerk. Mit 148.000 Stichwörtern finden sich darin nun mehr denn je. 300 Wörter sind aber nicht mehr zu finden. Der Fernsprechanschluss und die Kabelnachricht wurden von der Whatsapp-Gruppe überholt. Schon allein aus genderstereotypen Gründen aus der Zeit gefallen sind gegenüber der letzten Ausgabe von 2017 auch der Jungfernkranz und der Bäckerjunge. Hat diese Wörter 2017 echt noch jemand benutzt? Auch beweibt sich heute kein Mann mehr und wird keine junge Frau mehr mannbar. Wäre ja auch erschrecklich. (Michael Wurmitzer, 13.8.2020)