Ameisen zählen heute zu den erfolgreichsten Insektengruppen überhaupt, was nicht zuletzt ihrer staatsbildenden eusozialen Lebensweise zu verdanken ist. Wann genau die ersten Ameisen über den Erdboden krabbelten, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Die ältesten bekannten Ameisenfossilien stammen jedenfalls aus der mittleren Kreidezeit und sind rund 100 Millionen Jahre alt. Man vermutet, dass die heute über 13.000 Arten umfassende Insektenfamilie vor etwa 130 Millionen Jahren aus einer einzigen Stammform hervorgegangen ist.

Einige der frühesten Ameisen spiegeln dabei die Experimentierfreude der Evolution besonders anschaulich wider – die heute ausgestorbenen "Höllenameisen" sind dafür ein beeindruckendes Beispiel. Diese Unterfamilie (wissenschaftlich Haidomyrmecinae) besteht aus neun bekannten Gattungen und 13 Spezies, überlebte aber den Asteroideneinschlag am Ende der Kreidezeit nicht.

Stammbaum der Ameisen.
Grafik: Roberto A. Keller/AMNH, Alex Wild

Bemerkenswerter Kiefermechanismus

Charakteristisch und namensgebend für die "Ameisen aus der Hölle" ist der bizarre Kiefermechanismus, über dessen Funktionsweise bei der Jagd bisher nur spekuliert werden konnte: Während die Mundwerkzeuge der meisten Insekten wie eine Zange aus horizontal gegeneinander gerichteten Kiefern funktionieren, schnappten die sensenartigen "Unterkiefer" bei den Haidomyrmecinae-Arten von unten nach oben gegen einen länglichen Kopfauswuchs – der Mechanismus gleicht damit den Kiefern von Wirbeltieren.

Nun haben Wissenschafter ein weiteres Haidomyrmecinae-Exemplar in einem Stück Bernstein aus Burma entdeckt. Das Tier wurde als Ceratomyrmex ellenbergeri identifiziert und stellt das fünfte bekannte Individuum dieser Spezies dar. Das Besondere daran: Das skurrile Wesen wurde genau in jenem Moment konserviert, als es ein Beuteinsekt, die Larve einer ausgestorbenen Schabenverwandten, attackierte. Die in durchsichtigem Baumharz eingefrorene Szenerie gibt den Forschern erstmals die Möglichkeit, die Theorie zur Jagdmethode der "Höllenameisen" zu bestätigen.

Links das neu entdeckte Bernsteinfossil, rechts eine Rekonstruktion der Jagdszene.
Illustr./Foto: New Jersey Institute of Technology / Chinese Academy of Sciences / University of Rennes

Einzigartige Gelegenheit

"Verhaltensformen, die man aus Fossilien schließen kann, sind äußerst selten, das trifft ganz besonders auf Jagdverhalten zu", sagt Phillip Barden vom American Museum of Natural History in New York City, Hauptautor der im Fachjournal "Current Biology" erschienenen Studie. "Als Paläontologen spekulieren wir meist anhand der verfügbaren anatomischen Gegebenheiten über deren Funktion. Daher ist es von unschätzbarem Wert, einen ausgestorbenen Räuber beim Fangen seiner Beute direkt zu sehen."

Die in Bernstein gefangene "Höllenameise" bestätigte, was man bisher über die Funktionsweise der merkwürdigen Mundteile vermutet hatte: Die nur wenige Millimeter kleine Ameise packte ihr Opfer, indem sie es mit den beweglichen scharfen Kieferteilen gegen das Horn auf ihrem Schädel drückte. Keine heute noch existierende Ameisenart besitzt vergleichbare Mundwerkzeuge.

Verschiedene Haidomyrmecinae-Kopfformen.
Illustr.: Perrichot et al.

Gescheitertes Experiment?

Warum das evolutionäre Experiment der Höllenameisen nach dem ökologischen Wandel am Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren keine Fortsetzung fand, bleibt allerdings rätselhaft. Bewährt haben dürften es sich jedenfalls, denn anders ist die 20 Millionen Jahre lange Erfolgsgeschichte und die Vielfalt der Haidomyrmecinae-Mundwerkzeuge kaum zu erklären.

Während einige Arten wie eben Ceratomyrmex ellenbergeri mit stumpfen, langgestreckten Hörnern am Kopf ausgestattet waren, mit denen die Opfer ergriffen wurden, trugen andere wie die kürzlich entdeckte Spezies Linguamyrmex vladi eine metallverstärkten Lanze auf dem Kopf, die möglicherweise dazu diente, die Beute aufzuspießen. (tberg, 15.8.2020)