Benjamin Hess, der Generaldirektor der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen, fordert im Gastkommentar: Wenn jüdische Organisationen etwas als diskriminierend deklarieren, dann muss dies auch als solches anerkannt werden. Lesen Sie dazu auch die Gastkommentare von Olga Flor und Klaus Kastberger.

Die Diskussion um Kunst- und Meinungsfreiheit in Bezug auf die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart ist eine Scheindebatte. Diese ist weder in Deutschland noch in Österreich in Gefahr. Die Frage ist, ob wir als Gesellschaft der Verbreitung von menschenfeindlichen Ressentiments eine Bühne bieten wollen.

Das Hamburger Kulturfestival Harbour Front hat die Künstlerin, nach ominösen Gerüchten aus einer vermeintlichen Furcht vor Protesten, ausgeladen. Im August ist Eckhart unter anderem zum O-Töne-Festival im Wiener Museumsquartier eingeladen. Die Jüdischen österreichischen HochschülerInnen haben versucht, im direkten Austausch mit den Organisatoren ein Umdenken zu bewirken. Das O-Töne-Festival steht jedoch aktuell weiterhin zur Einladung von Eckhart.

Klar antisemitisch

Ihren Anfang nahm die Debatte mit einem Auftritt in der WDR-Sendung Mitternachtsspitzen. In dieser "kabarettistischen" Einlage traf Eckhart im Zusammenhang mit der #MeToo-Debatte unter anderem folgende Aussagen: "Am meisten enttäuscht es von den Juden, da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld." Weiter führt sie aus: "Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gutzumachen. Den Juden Reparationen zu zahlen, das ist, wie dem Mateschitz ein Red Bull auszugeben."

Die deutsche Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) beurteilt den Auftritt als antisemitisch: "Eckhart macht in ihrem Beitrag keine Witze über Antisemitismus oder Antisemiten, sie gibt vielmehr antisemitische, rassistische, sexistische und behindertenfeindliche Stereotype wieder. Die Stereotype werden dabei in keiner Form ironisch gebrochen, die Komik soll sich durch den vermeintlichen Tabubruch ergeben", so der Rias-Bundesverband in der Jüdischen Allgemeinen.

Keine Reflexion

Zunächst ist festzuhalten, dass es bei der Kritik an ihrem Auftritt nicht um eine Bewertung geht, ob dieser lustig ist oder nicht. Diese Bewertung ist den Kunst- und Kulturkritikerinnen und -kritikern überlassen. Die Feststellung jedoch, ob etwas diskriminierend ist oder nicht, ist von Betroffenen und den Expertinnen und Experten zu treffen.

Mit dem Vorwurf des Antisemitismus setzt sich Eckhart nicht ernsthaft auseinander. Sie versucht die Debatte um ihre Aussagen mit dem Verweis auf eine Kunstfigur vom Tisch zu wischen. Diese Argumentation ist jedoch illegitim. Im Gegensatz zur Kunstfigur des Herrn Karl, mit der Helmut Qualtinger in einer genialen Art und Weise der österreichischen Nachkriegsgesellschaft einen Spiegel vorhielt, macht Eckhart genau das Gegenteil: Sie zeigt Ressentiments nicht auf, sondern produziert primitive antisemitische Stereotype.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Herr Karl, ein opportunistischer Mitläufer, hält dem Nachkriegsösterreich einen Spiegel vor.
Foto: Picturedesk / Ullstein / Harry Croner
Qualtinger (oben) habe Ressentiments aufgezeigt. Eckhart hingegen, so Benjamin Hess, produziere antisemitische Stereotype.
Foto: Heribert Corn / https://www.corn.at

Kein Recht auf Plattform

Zu ihrer Verteidigung wird auch angeführt, dass Eckhart die Grenzen des Strafrechts nicht überschreitet. Doch Antisemitismus und Rassismus sind weder in Deutschland noch in Österreich per se strafbar. Das heißt: Im Kampf gegen Ideologien der Ungleichheit ist das Strafrecht nur begrenzt wirkungsvoll. Gerade deshalb ist eine Diskussion darüber, welche Positionen öffentlichen Raum bekommen sollten, dringend notwendig. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist kein Recht auf eine Plattform.

Eckharts "Comedy" zielt auf Tabubruch ab, ohne die verbreiteten Stereotype zu brechen. Erstaunlich ist dabei die Solidarität, die sie von namhaften deutschsprachigen Journalistinnen und Journalisten erfährt. Die aktuelle Debatte, in der laufend die Freiheit der Kunst hervorgehoben wird, verteidigt gerade nichts anderes als die Freiheit, antisemitische, rassistische, sexistische, homophobe und behindertenfeindliche Stereotype auf deutschsprachigen Bühnen zu verbreiten.

Auf Betroffene hören

Frau Eckhart führt an, sie will die vermeintlichen moralischen Dilemmata aufzeigen, in denen sich unsere Gesellschaft verstrickt. Aber Anstand und Haltung gegenüber menschenfeindlicher Rhetorik sind kein moralisches Dilemma, sondern sollten den Grundkonsens unserer Gesellschaft darstellen. Genauso das Eintreten für die Freiheit der Kunst, welche durch die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus nicht gefährdet wird.

Derzeit erklärt die "Mehrheitsgesellschaft" uns Betroffenen, was antisemitisch ist und was nicht. Diskriminierung muss von den Betroffenen selbst definiert werden dürfen. Wenn jüdische Organisationen etwas als diskriminierend deklarieren, dann muss dies auch als solches anerkannt werden. Für uns jüdische Studierende ist das eine unannehmbare Haltung. Wir werden auch in Zukunft dafür eintreten, dass menschenverachtende Herabwürdigungen unter dem Deckmantel der Satire keine unwidersprochene Plattform finden dürfen. (Benjamin Hess, 13.8.2020)