In Minsk sperrten Sicherheitskräfte in der Nacht auf Donnerstag wieder zahlreiche Straßen.

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Minsk – Nach der von schweren Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) haben die Proteste in der Hauptstadt Minsk am Donnerstag wieder begonnen. Frauen versammelten sich bereits am Morgen im Zentrum zu friedlichen Solidaritätsaktionen und bildeten Menschenketten, wie in Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram zu sehen war.

Die Aktionen, die bisher vor allem am Abend und in der Nacht liefen, richten sich gegen den autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko. Der 65-Jährige hatte sich in einer umstrittenen Präsidentenwahl nach 26 Jahren im Amt zum sechsten Mal in Folge zum Sieger erklären lassen.

Verstorbener Demonstrant

In der Nacht auf Donnerstag gab es neue Proteste mit weiteren 700 weiteren Festnahmen, insgesamt wurden in den vergangenen drei Tagen bereits 6.000 Personen festgenommen. Die Polizei in der Stadt Gomel bestätigte am Mittwochabend den Tod eines jungen Mannes, der am Sonntag festgenommen worden war.

Ein bei den Protesten festgenommener Demonstrant ist nach Behördenangaben gestorben. Die Todesursache des 25-Jährigen sei unklar, teilte das Untersuchungskomitee am Mittwoch mit. Medien zitierten dagegen die Mutter des Toten, wonach dieser Herzprobleme gehabt habe und stundenlang in einem Polizeiauto festgehalten worden sei.

Es ist bereits das zweite Todesopfer seit Beginn der landesweiten Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Langzeitpräsident Lukaschenko. Der junge Mann sei am Sonntag in der Stadt Gomel bei einer nichtgenehmigten Demonstration gegen die Wahl festgenommen und zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt worden, teilte das Komitee mit. In der Haft sei es ihm plötzlich schlechter gegangen.

Schüsse auf Demonstranten

Die Sicherheitskräfte gehen gegen die Demonstranten mit Blendgranaten und Gummigeschoßen vor. In der südlichen Stadt Brest schoss die Polizei nach Angaben des Innenministeriums am Mittwoch sogar mit scharfer Munition auf Demonstranten. Mindestens eine Person soll dabei verletzt worden sein. Mindestens 250 Verletzte wurden ins Krankenhaus gebracht, tausende Demonstranten festgenommen.

Die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat Lukaschenko unterdessen zum Rücktritt aufgefordert. "Verzieh dich, bevor es zu spät ist!", sagte die 72-Jährige in einem am Mittwochabend vom belarussischen Dienst des Radiosenders Swoboda (Radio Free Europe) veröffentlichten Interview. "Aus meiner Sicht hat der Machtapparat dem Volk den Krieg erklärt", erklärte Alexijewitsch. Dabei seien die Menschen absolut friedlich.

Internationale Kritik

International wird scharfe Kritik am Vorgehen der Behörden geäußert. Bei einer Videokonferenz am Freitag beraten die EU-Außenminister über die Wiedereinführung von Strafmaßnahmen gegen Belarus, die deutsche Regierung prangerte eine Repressionswelle an. Die Ausreise der Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja nach Litauen zeige, welches "Klima der Einschüchterung, der Angst, auch der Gewalt" herrsche, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Einen Tag vor den Beratungen der EU-Außenminister über Belarus fordern Politiker weltweit verstärkten Druck auf die Regierung in Minsk. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte seine "sehr große Sorge". Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte sich bereits am Dienstag angesichts der Menschenrechtsverletzungen sehr enttäuscht gezeigt.

US-Außenminister Mike Pompeo rief zum Schutz der "nicht gewalttätigen Demonstranten" auf. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet warf Belarus den Einsatz "unnötiger und exzessiver Gewalt" vor. Litauen, Lettland und Polen legten einen Vermittlungsplan zwischen Lukaschenko und der Opposition vor. Der slowenische Premierminister Janez Janša sieht eine Lösung in der Wiederholung der Wahl.

Belarussische Opposition gegen Sanktionen

Derweil sprach sich die Oppositionspolitikerin Maria Kalesnikawa gegen westliche Sanktionen aus. "Das ist kein produktiver Weg", sagte sie dem Magazin "Cicero". "So etwas wirkt nicht gegen einen Diktator." Einzig der Wille des Volkes könne Lukaschenko dazu bringen, neue, freie Wahlen auszurufen und die politischen Gefangenen freizulassen. Kalesnikawa rief Lukaschenko dazu auf, "das Blutbad zu stoppen" und "auf das Volk zu hören". Auch Ungarn warnt vor einer Ächtung der Regierung in Minsk. Die Europäische Union müsse ihre Entscheidungen auf Grundlage eines Dialoges fällen, sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó am Donnerstag mit Blick auf mögliche Sanktionen.

Laut dem amtlichen Wahlergebnis kam der seit 26 autoritär regierende Staatschef auf mehr als 80 Prozent der Stimmen. Seine inzwischen nach Litauen geflüchtete Hauptrivalin Tichanowskaja erhielt demnach nur rund zehn Prozent. An dem offiziellen Wahlergebnis gibt es international erhebliche Zweifel. Die EU bezeichnete die Wahl als "weder frei noch fair". (APA, 13.8.2020)