Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Banken und Investoren in dem Wirecard-Skandal über drei Milliarden Euro verloren haben könnten.

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Manila/Aschheim/Frankfurt – Im milliardenschweren Bilanzskandal bei Wirecard hat Interpol den flüchtigen Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek auf seine Red-Notice-Liste gesetzt. Er ist damit weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. In der Red-Notice-Kategorie werden die Strafverfolgungsbehörden weltweit aufgefordert, eine Person ausfindig zu machen und vorläufig zu verhaften, bis sie ausgeliefert werden kann.

Auch das deutsche Bundeskriminalamt fahndete bereits vorher öffentlich nach Marsalek. Der Fall wurde nun auch Thema der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst". "Aufgrund der derzeitigen Ermittlungsergebnisse wird ein Aufenthaltsort des Gesuchten im Ausland für sehr wahrscheinlich gehalten", teilte das Bundeskriminalamt am Mittwoch mit.

Wie ein BKA-Sprecher den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Donnerstag sagte, gingen bisher Hinweise im "unteren zweistelligen Bereich" ein.

Reisedaten wurden offenbar gefälscht

Zuvor war bekannt geworden, dass philippinische Einwanderungsbeamte Marsaleks Reiseunterlagen gefälscht haben sollen. Philippinische Ermittler empfahlen am Donnerstag, Anzeige gegen die beiden Verdächtigen zu erstatten. Die Beamten hätten in der Datenbank des Einwanderungsbüros falsche Einträge gemacht.

Demnach wäre Marsalek am 23. Juni in der Hauptstadt Manila eingetroffen und hätte die Philippinen am folgenden Tag von der Provinz Cebu aus – die auf einer anderen Insel liegt – wieder verlassen, hieß es in einer Mitteilung der nationalen Ermittlungsbehörde. Allerdings habe es am 24. Juni gar keinen Flug von Cebu nach China gegeben, wohin Marsalek angeblich gereist sein soll. Zudem seien den Angaben nicht – wie bei solchen Einträgen üblich – die Reisepassdaten des Österreichers beigefügt worden.

"Die Einträge für den 23. und 24. Juni 2020 sind beide falsch und sollten offenbar nur eine Ablenkung sein, um die Aufmerksamkeit der europäischen Behörden auf die Philippinen und nicht auf deren eigene Gerichtsbarkeit zu lenken", so die Behörde. Seit seiner Entlassung am 22. Juni ist der Manager untergetaucht.

Marsalek wird verdächtigt, zusammen mit anderen Beschuldigten die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen durch Scheingeschäfte aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen. Die Ermittler verdächtigen ihn des besonders schweren Falls der Untreue und des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Banken und Investoren über drei Milliarden Euro verloren haben könnten.

Wirecard muss Dax verlassen

Die Deutsche Börse hat angesichts der Insolvenz des Dax-Mitglieds Wirecard ihr Regelwerk nach einer Konsultation von Marktteilnehmern überarbeitet. Gemäß den neuen Regeln werden insolvente Unternehmen nun mit einer Frist von zwei Handelstagen aus den Dax-Auswahlindizes (Dax, Mdax, Sdax und Tecdax) herausgenommen, teilte die Börse am Mittwochabend mit.

Die von der Index-Tochter Stoxx Ltd. beschlossene Regeländerung trete zum Donnerstag in Kraft. Die sich daraus aktuell ergebenden Veränderungen in der Zusammensetzung von Dax und Tecdax werden entsprechend am selben Abend nach 22 Uhr bekanntgegeben und nach Börsenschluss am Freitag, 21. August umgesetzt. Grundlage der Berechnung sei die Rangliste vom 31. Juli sowie weitere Vorgaben aus dem Regelwerk.

Mehrere Nachfolger möglich

Erwartet wird von Index-Experten bereits, dass der Corona-Krisengewinner und Online-Essenslieferant Delivery Hero den Platz der in einen Bilanzskandal verstrickten und inzwischen zahlungsunfähigen Wirecard einnehmen wird. Chancen wurden aber auch dem Duftstoff- und Aromenhersteller Symrise eingeräumt. Im Technologiewerte-Index Tecdax gelten LPKF und Stratec als Favoriten für den freiwerdenden Platz des Zahlungsabwicklers.

Wirecard hatte im September 2018 den freigewordenen Platz der Commerzbank im Dax eingenommen. Im Juni dieses Jahres kam es dann zum Eklat. Der Konzern räumte Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" bei Wirecard aus, und zwar seit 2015.

Die neue Regelung zu insolventen Unternehmen wurden von der Börse im Rahmen einer Marktkonsultation in den vergangenen drei Wochen abgestimmt. Konkret bezieht sich die Änderung auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als eines gesetzlich festgelegten Verfahrens und umfasst alle relevanten öffentlichen Mitteilungen dazu. Da auch Unternehmen aus anderen EU-Staaten Indexmitglied werden können, beziehe sich die Regelung daher nicht nur auf das deutsche Insolvenzrecht. (APA, red, 13.8.2020)