Hannes Androsch muss nach zwei Funktionsperioden den Forschungsrat verlassen – und nimmt die Forschungspolitik in die Pflicht

Foto: Heribert Corn

Wenn man Mitglieder der Scientific Community in Österreich fragt, was ihnen zum Rat für Forschung und Technologieentwicklung einfällt, kommen vielfältige Antworten: Die einen sprechen von Empfehlungen und Studien, die die Entwicklung des Forschungslands Österreich begleiteten. Da und dort hört man auch von der Rolle des Rates bei der Entwicklung der Forschungsstrategie 2011 und von einer davor über viele Jahre andauernden Uneinigkeit mit mächtigen Beamten aus den Ministerien, die den Rat seit seiner Gründung im Jahr 2000 beschicken: das heutige Klimaschutzministerium und das Wissenschaftsministerium. Immer ist aber vom derzeit noch amtierenden Vorsitzenden des Rates, dem Industriellen Hannes Androsch, die Rede. Er hat das Gremium in den vergangenen zwei Funktionsperioden, das sind zehn Jahre, wie kein anderer geprägt. Mit markigen Sprüchen und blumigen Vergleichen wollte er sich Gehör verschaffen. Im September ist Schluss, so will es das Gesetz – für Androsch und für seinen Stellvertreter, den Genetiker Markus Hengstschläger.

STANDARD: In Ihren zehn Jahren als Vorsitzender des Forschungsrates haben Sie unzählige Kommentare mit blumigen Vergleichen abgegeben. Journalisten fragten sich schon, was als Nächstes kommt: Da gab es eine Schwalbe, die noch keinen Forschungssommer macht. Einmal haben Sie die Forschungspolitik sinngemäß als Bauern bezeichnet, der nicht sät und daher in Zukunft nichts ernten kann. Verraten Sie uns, was die Strategie dahinter war?

Androsch: Wenn man geraume Zeit in der Politik war, sollte man gelernt haben, wie komplizierte Sachverhalte für jedermann verständlich werden. Dafür eignen sich Bilder, Erzählungen und Metaphern am allerbesten. Das beste Lehrbuch dafür ist die Bibel. In der Antike konnten viel mehr Menschen als heute nicht lesen und schreiben, das war nur Gelehrten oder Priestern vorbehalten. Man war also auf das gesprochene Wort angewiesen, um Neuigkeiten zu erfahren. Und eigentlich ist es heute noch der Fall: Derjenige, der am besten in Bildern seine Anliegen beschreibt, wird am leichtesten Gehör finden.

STANDARD: Die Bibel war Ihnen ein Lehrbuch. Ernsthaft?

Androsch: Als Schüler war ich altkatholisch und damit in der Minderheit. Der Unterricht war großartig, weil es nur einen Lehrer und einen Schüler gab. Mit ihm konnte ich alles besprechen, was einem pubertierenden Jüngling beschäftigt. Dieser Mann war ein begnadeter Prediger. Er bereitete sich jeweils eine Woche vor, dann versuchte er, aus seinen Gedanken eine Rede im Fließtext zu entwickeln, nicht länger als sieben Minuten – er schrieb sie auf einen Zettel, auf dessen Rückseite notierte er sich nur Erinnerungsstützen. Mit einer Vorbereitung wie dieser brauchte er schließlich keine Unterstützung und sprach frei. Nur wenn Sie frei reden, können Sie das Publikum fesseln. Ich kann mich an eine Rede in München erinnern. Die war schrecklich, denn ich hatte sie vorgelesen. Es verlangt aber nicht nur Vorbereitung, sondern auch die Kunst der Pause. Das heißt: Man muss den Zuhörern Zeit geben mitzudenken.

STANDARD: Ihr Befund über das Forschungsland Österreich fällt meist kritisch aus. Haben Sie sich in den zehn Jahren im Forschungsrat als Prediger gefühlt, der nicht gehört wird? Haben Sie vielleicht zu wenige Pausen gemacht?

Androsch: Wir haben versucht, uns hörbar zu machen. Es gab Empfehlungen, Leistungsberichte, wir haben immer wieder gesagt, was notwendig wäre, um gesteckte Ziele zu erreichen. Sie können sich an die Forschungsstrategie 2011 erinnern, da hieß es, dass Österreich bis 2020 nicht mehr Innovation-Follower, sondern Innovation-Leader sein will. Wir sind weit davon entfernt. Alle Politiker wussten, was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen. Das wenigste wurde getan. Wenn man alle unsere Aktivitäten als Predigt bewerten will, dann war sie in den Wind gesprochen. Wir sind nicht Innovation-Leader geworden, sondern im Mittelfeld stehen geblieben oder sogar zurückgefallen. Das ist so gesehen kein gewonnenes Jahrzehnt gewesen, sondern ein verlorenes. Und ich fürchte, es geht so weiter. Wir haben ein Forschungsfinanzierungsgesetz, in dem alles drinsteht, nur nicht die Finanzierung. Frei nach Franz Grillparzer könnte man sagen: "Das ist der Fluch von diesem Land, zu halben Zielen mit halben Taten mit halben Mitteln mutig voranzuschreiten." Und da war Grillparzer noch sehr optimistisch.

STANDARD: Sind wir einmal weder optimistisch noch pessimistisch, sondern realistisch angesichts der Corona-Krise und der Vielzahl an Hilfspaketen: Glauben Sie wirklich, dass der Staat noch ein Forschungsfinanzierungsgesetz auf die Beine stellen kann, das mit einem ansprechenden Wachstumspfad versehen ist?

Androsch: Im jetzigen Forschungsfinanzierungsgesetz ist die Governance vernünftig geregelt. Man gibt den Institutionen eine Finanzierungszusicherung für drei Jahre, was wegfällt, sind mühevolle jährliche Verhandlungen zum Budget. Was nicht geregelt wurde, ist die Finanzierung ausgehend von einem angemessenen Sockelbetrag und einem vernünftigen Wachstumspfad, damit Forschung und Innovation längerfristige Planbarkeit haben. Sie verweisen auf Hilfsgelder für die Folgen der Corona-Krise: Dazu muss ich leider sagen, dass die Umsetzung dieses Pakets lange nicht so unbürokratisch ist wie versprochen. Das wird noch teuer, wenn zu viele Geschäftsschließungen und Arbeitslose zur Realität werden. Viele Hilfsprogramme sind sicher gut gemeint, ich sehe aber nicht, dass sie rasch zu denen kommen, die sie brauchen. Noch weniger als kurzfristige Hilfen haben wir ein tragfähiges Zukunfts- und Modernisierungsprogramm. Da gehört alles hinein, womit sich der Rat in den vergangenen Jahren beschäftigt und wozu er immer wieder neue Vorschläge gemacht hat. Bildung modernisieren, Hochschulen besser dotieren, FHs ausbauen – hierzulande gibt es 55.000 Studienplätze, die Schweiz hat 95.000. Man muss auch Unternehmensgründungen weiter erleichtern. Wir sind Ankündigungsweltmeister, mit Pauken und Trompeten, am Ende zupfen wir die Maultrommel ... Jetzt habe ich wieder ein Sprachbild benützt.

STANDARD: Ich stelle meine Frage noch einmal: Was bleibt neben den Corona-Milliarden für einen Wachstumspfad übrig?

Androsch: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die österreichische Bundesregierung wegen der Niedrigzinspolitik 62 Milliarden Euro erspart. Das ist ein Gesamtbudget von einem Jahr. Wohin sind diese Milliarden gekommen? Die Politiker haben trotz guter Konjunktur nur ein Defizit zusammengebracht. Beim AMS sagt man, es wird nur die Hälfte der Kurzarbeitsgelder gebraucht. Hier wird sich der Finanzminister Geld sparen. Da wären die Mittel für ein ansprechendes Forschungsbudget jedenfalls vorhanden.

STANDARD: Sie sind also nicht überzeugt, dass das Richtige geschehen wird?

Androsch: Es gibt heutzutage nicht viele Politiker, die sich engagieren. Es ist uninteressant für sie, weil sie denken, daraus kein populistisches Kleingeld schlagen zu können. Beim IST Austria wurden die richtigen Schritte unternommen, jetzt sieht man den Erfolg. Man müsste derlei auch für andere Forschungseinrichtungen, für die Hochschulen umsetzen. Wir leben in einem selbstzufriedenen Biedermeier. Frei nach Nestroy heißt das: Was hat die Zukunft für mich getan? Nichts! Genau das tu ich auch für sie.

STANDARD: Wenn das alles doch so mühselig ist, stellt sich die Frage, warum Sie sich das in den vergangenen zehn Jahren angetan haben? Waren Sie nicht ausgelastet genug?

Androsch: Während des Lockdowns habe ich öfter gesagt: Wir hatten in den vergangenen 75 Jahren so ein unglaubliches Glück, in Frieden, Freiheit und steigendem Wohlstand gelebt zu haben. Das ist kein Standpunkt, man hat Verantwortung für die kommenden Generationen. Ich bin ein Methusalem, ich bin in einem Alter, wo man über der Baumgrenze ist und einen größeren Horizont hat. Da muss ich zumindest versuchen, für die nachfolgenden Generationen eine optimale Ausgangslage mitzugestalten. Und wenn es sich gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt. Schon Albert Camus hat Sisyphus als den glücklichsten Menschen bezeichnet, weil seine Aufgabe, den Stein zur Bergspitze zu bringen, auch wenn er immer wieder herunterrollt, nie beendet war. (Peter IIlletschko, 14. 8. 2020)