Am Porto Vecchio – dem alten Hafen – in Grado kann die Vespa nur eine Farbe haben: Weiß.
Foto: Wallisch

Mach aus der Not eine Tugend! Warum in die Ferne schweifen? Das Gute liegt so nah! Fast könnte man meinen, die Kalenderspruchschreiber längst vergangener Zeiten hätten das Jahr 2020 vorhergesehen. Du hast dich wochenlang eingesperrt gefühlt, willst wieder raus. Du hast bald Urlaub, brauchst einen Tapetenwechsel, weißt aber nicht recht, wohin – und wie.

Urlaub in Österreich also? Prinzipiell sehr gern, aber nicht unbedingt dann, wenn uns der Kanzler genau das vorschreiben will. Also Italien. Meer. Grado. "Da waren wir doch schon tausende Male!" – "Na, dann machen wir etwas Besonderes draus: Wir fahren mit der Vespa!"

Gern hätte ich die folgende Konversationspause dahingehend gedeutet, dass sich meine Frau begeistert auf diesen scheinbar spontanen, insgeheim aber natürlich schon seit Wochen vorbereiteten Vorschlag einließ. Aber ich kannte sie natürlich viel zu gut: Ihr Schweigen bedeutete bestenfalls: Wie bringe ich ihm liebevoll bei, dass er völlig übergeschnappt ist?

Tausende Male waren wir schon hier – doch noch nur selten mit so wenig Touristen wie heuer Ende Juni und Anfang Juli.
Foto: Wallisch

Das war irgendwann im Mai. Mitte Juni kommt es dann ganz unvermittelt: "Wie weit ist es denn genau nach Grado?" Da wusste ich: Ich habe sie am Haken. Ganz langsam war die Idee eingesickert: Retro-Urlaub! Auf dem Roller in den Süden! So wie Audrey Hepburn und Gregory Peck in Rom, so wie Conny Froboess und Peter Kraus am Lago Maggiore oder was weiß ich, wo.

Die neue Bescheidenheit

Da waren sie wieder, die Erinnerungen aus unserer Kindheit: Michael Schrenk und Brigitte Xander, die in der Radiosendung Autofahrer unterwegs plötzlich die fidele Schlagermusik unterbrachen, um in ernstem Tonfall durchzugeben: "Die Familie Huber aus Weitra, unterwegs mit einem roten Ford Escort Richtung Caorle, wird dringend gebeten, zu Hause anzurufen ..."

"Vacanze Romane" heißt folgerichtig übersetzt: "Ein Herz und eine Krone." Audrey Hepburn und Gregory Peck terrorisieren das verkehrsarme Rom des Jahres 1953.
Elpibedepigneto

Zu unserem kleinen Abenteuer im Zeichen der neuen Bescheidenheit gehört es, auf Überflüssiges zu verzichten. Unser Gefährt: eine neun Jahre alte, zuverlässige und wohl deswegen auch malträtierte 125er Vespa namens Biancaneve (Italienisch für Schneewittchen). Sie hat Rost, ein Pickerl und Gepäckträger. Das muss genügen. Wo bleibt sonst der Spaß an der der Sache?

Wetterpoker

Eines der wenigen Zugeständnisse an die Neuzeit: ein Smartphone mit Navi und Wetter-App. Schließlich galt es, das richtige Wolkenfenster zu erwischen, um halbwegs trocken auf schönen Nebenstraßen statt zwischen Schallschutzwänden ans Meer zu gelangen.

Tagelang hatten wir den Start verschoben, doch an einem Dienstag ist es so weit: Wenn wir gleich losfahren und es heute noch bis in die südliche Steiermark schaffen, dann zieht die nächste Regenfront in der Nacht über uns hinweg, und wir haben morgen freie Fahrt. Prognose: 40 Prozent Regenwahrscheinlichkeit, eine Okkasion in diesem verregneten Monat! Es werden schließlich null Prozent – Glück gehabt.

Seit 1962 kann Conny Froboess für diesen Ohrwurm zur Rechenschaft gezogen werden: "Zwei kleine Italiener, die träumen von Napoli..." Grrrrrr....
SweetestAngel1983

Die ersten Kilometer sind dennoch schlimm. Nicht wegen des starken Windes, der sich zwischen zwei Regenfronten austobt, sondern wegen eines Ohrwurms: "Eine Reise in den Süden / ist für andre schick und fein / Doch zwei kleine Italiener / möchten gern zu Hause sein / Oh Tina, oh Marina / wenn wir uns einmal wiedersehn / Oh Tina, oh Marina / dann wird es wieder schön." Nicht "Highway to Hell", "Running on Empty" oder meinetwegen auch "Born To Be Wild", nein, Conny musste mir den Helm vollquäken.

Dann endlich die Berge! Biancaneve hat zwar nur 15 Pferdestärken, aber auch sie freut sich auf Kurven und wunderschönes Bummelpanorama am Wechsel. Plötzlich ein Knuff in die Rippen: "Stehenbleiben, wir müssen umdrehen!" – "Waaaas???" – "Da geht’s nach Sankt Corona!" Okehhhhh... Zugegeben: Für ein Foto dieses Ortsschildes muss im Jahr 2020 Zeit sein.

Zugegeben, der Gag war ein bissl aufgelegt und bemüht. Aber es musste einfach sein.
Foto: Wallisch

In der Gegend um Hartberg ist dann der erste Tankstopp nötig. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine Gruppe Motorradfahrer zu uns rübergafft. Scheue Bewunderung für ein Pärchen, das völlig untermotorisiert auf große Fahrt geht? Kaum, eher dürften sie sich unter ihren Helmen zuraunen: "Host die Depperten mit dera rostigen Vespa g’sehn? Wos woin die denn?"

Graz im Norden liegen lassend, tuckern wir Richtung Leibnitz und dann rechts rüber, hart an der slowenischen Grenze Richtung Sonnenuntergang. Unser Navi zirkelt elegant um größere Ortschaften herum und zeigt uns auf Nebennebennebensträßchen die schönsten Winkel. Nur die unkomfortable Sitzbank ist eine Tortur – die Vespa ist nun einmal auf Kurzstrecken ausgelegt.

Sensationelle Schnitzel, weiches Bett

Am Abend finden wir ohne langes Suchen ein hübsches Hotel mit weichem Bett und hauseigener Fleischerei – Labsal für die geschundenen Knochen und den knurrenden Magen. Das Schnitzel beim Mauthner in Bad Schwanberg (Nie gehört? Wir auch nicht.) ist Weltklasse, ebenso sein Frühstücksbuffet im leeren Saal. Ansteckungsgefahr: weit unter null.

Am nächsten Tag lockt das Kaiserwetter dazu, die direkteste Route zum Soboth-Pass zu nehmen, und auch wenn sich das Navi tausendmal dagegen wehrt: Es sollte ein Highlight der Reise sein: Nebennebennebensträßchen waren gestern, heute probieren wir ein Nebennebennebennebensträßchen über Almen und durch Wälder, nicht einmal notdürftig asphaltiert. Die Wanderer bestaunen nicht nur Kühe, sondern auch Rollerfahrer aus der Großstadt.

Der wahre Highway to Hell.... zumindest für eine überladene Vespa. Eher würde man sich hier mit einer kleinen Enduro wohl fühlen.
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Die kurvenreiche Abfahrt nach Lavamünd ruft in Erinnerung, dass eine Kontrolle von Schneewittchens Bremsbelägen schlau gewesen wäre – und zwar vor Fahrtantritt. Aber es geht dann eh alles gut, sie sind erst hinüber, als wir Tage später schon längst den Karst im Triestiner Hinterland erkunden. Bei brütender Hitze, unter lautem Möwengeschrei und mit inadäquatem Werkzeug diesen Job selbst verrichten: ein unbezahlbares Erlebnis. Aber egal: Auch das, gerade das, macht einen Retrourlaub "wie damals" aus.

Der Duft des Meeres

Doch zurück nach Thörl-Maglern und zur seit Jahrzehnten völlig verlassenen Staatstraße im Kanaltal – eine Fahrt zwischen Industrie- und Erdbebenruinen, gespenstisch schön und beklemmend zugleich.

Finalmente Italia!
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Irgendwann einmal, wenn man Udine mit seinen endlosen Gewerbegebieten hinter sich gelassen hat, bildet man sich ein, schon das Meer riechen zu können. Nach Aquileia wird es dann zur Gewissheit – und dann, nach einer letzten kleinen Linkskurve, liegt die Lagune endlich vor uns. Auf die Knie, die treue Biancaneve hat uns sicher hierhergebracht!

Zurück nehmen wir eine Woche später eine ebenfalls der kleinräumigen Wetterlage angepasste Route – via Ossiach, Seebergsattel und Mariazell. Dutzende Ledergewandete fahren uns in den Bergen mit ihren Renn- und Tourenmaschinen um die Ohren – völlig egal.

Konfuzius hatte schon recht mit seinem Kalendersprüchl. Merke: Je länger der Weg, desto schöner das Ziel. Oder so ähnlich. Und ehrlich: Ohne Corona hätten wir das vielleicht nie rausgefunden. (Gianluca Wallisch von unterwegs, 16.8.2020)

Huldigung für die alte, malträtierte, tausendfach reparierte und doch sehr treue und zuverlässige Biancaneve!
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