Patrick Neuhofer verkauft auf Wochenmärkten seine Bauernprodukte. Dass er manchmal schreit, irritiert viele Marktbesucher nicht mehr, man kennt ihn schon. Freundin Melanie Gössweiner ist sein Ruhepol.

Foto: Marion und Reinhard Hörmandinger

Patrick Neuhofers Bauernprodukte

Foto: Marion und Reinhard Hörmandinger

Hast du sowas schon mal gesehen?" Patrick Neuhofer steht in seinem Garten in Oberösterreich und reißt die Tür zum Hühnerstall auf. Ein Schwall von Wärme und dem Geruch von Tier kommt ihm entgegen. "Die meisten Menschen wissen ja gar nicht mehr, wie Landwirtschaft eigentlich ausschaut!" Dann schreit er auf; kurz, laut und impulsiv. Den Hühnern ist das egal. Und auch für Menschen ist das nur überraschend, wenn sie Patrick nicht kennen.

Patrick Neuhofer, 26 Jahre alt, betreibt einen rollenden Hofladen, mit dem er auf den Wochenmärkten des Salzkammerguts Bauernprodukte verkauft. Das ist, so fair muss man sein, an sich nichts Besonderes. Er hat allerdings auch das Tourette-Syndrom. Patrick ist Unternehmer, er ist ein kranker Mann, aber auch ein glücklicher Mann. Dieses Glück musste er selbst in die Hand nehmen, und das war durchaus ein Lernprozess.

"Komm, ich zeig dir noch das Rapsöl!" Patrick wirft die Tür zum Stall zu und beginnt, aufgeregt vom Prozess des Ölpressens zu erzählen. Er hat sein Leben hier verbracht, umgeben von Feldern und Nutztieren. In Peintal, einem Ortsteil von Vorchdorf, wo die Höfe nur durchnummeriert sind und Autos abbremsen müssen, weil Enten die Straße queren.

Verzerrte Darstellung

Es ist ein später Montagnachmittag, und Patrick ist in Gedanken schon beim nächsten Morgen, wo er seinen Anhänger um sechs in der Früh nach Gmunden bringen muss. Er hat eine durchgetaktete Marktwoche: Dienstag Gmunden, Mittwoch Vöcklabruck, Freitag Laakirchen und Vorchdorf. Dort steht er dann hinter der Verkaufstheke, oft gemeinsam mit seiner Freundin Melanie Gössweiner, umringt von Bärlauchöl, Nudeln aus den Eiern der eigenen Hennen, ganzen Hühnern, auf Vorbestellung auch Martini-Weidegansl und Weihnachtsputen. Ein Best-of der Region quasi.

Nudeln aus den Eiern der eigenen Hennen
Foto: Marion und Reinhard Hörmandinger

Das Tourette-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung des Nervensystems. Nervöse Zuckungen, unkontrollierte Laute und Bewegungen. Kulturell wird es vor allem über die "Koprolalie", das ungewollte Herausstoßen von Schimpfworten, rezipiert. Diese Darstellung ist allerdings verzerrend. Das kann Teil der individuellen Tourette-Symptome sein, muss es aber nicht.

Belastung verstärkt die Tics

Patrick Neuhofer kann sehr laut sein. Er stößt Schreie aus, von einem langgezogenen "Juhu!" über ein kurzes "Fu-uck!" bis zu einem "Yabadabadoo!". Manchmal schlägt er plötzlich auf den Tisch vor sich. Es ist für Beobachter nicht einfach, sich ein Bild davon zu machen, wie das im Alltag so ist. Neue Menschen, die mit einem Schreibblock in seinem Wohnzimmer sitzen, machen Patrick nervös, und Belastungssituationen verstärken die Tics. "Wenn ich neben Meli liege, bin ich auch mal ganz ruhig", sagt er.

Wenn er in seinem Garten zwischen den Hennen steht, dann ist Patrick merklich entspannter. Das kennt er. "So ist Landwirtschaft!", sagt er. Das Thema ist ihm wichtig: Er kann sich über den "Biohype" genauso in Rage reden wie über das Gefühl von Städtern, dass Fleisch in der Kühltheke wachse.

Er hilft früh bei Bauern in der Umgebung aus. In seinem Wohnzimmer steht ein Foto vom jugendlichen Patrick auf einem Traktor, der stolz von einem Ohr zum anderen grinst. Patrick besucht die Volksschule in Vorchdorf, dann die Hauptschule. Das funktioniert nicht so richtig. Er wechselt auf ein Zentrum für Individuelle Berufsvorbereitung, das ihm helfen soll, einen Job zu finden. Er schnuppert bei zig Stellen hinein: Koch, Tischler, bei der Gemeinde, beim Bauhof, der Lebenshilfe. Letztlich will ihn keiner übernehmen. Es ist eine frustrierende Zeit. Patrick will dazugehören, aber man lässt ihn nicht.

Irgendwann macht er aus der Not eine Tugend. Schon als Jugendlicher verkauft er im kleinen Stil Bauernprodukte aus dem Auto heraus. Es ist eine ländliche Gegend, die Übergänge zwischen "Bauern" und anderen Berufen sind fließend. Mithilfe seines Vaters baut sich Patrick ein Geschäft auf. Erst fährt er mit einem Sprinter auf die Märkte, später mit dem professionellen Anhänger. Der Vater steht im Hintergrund, greift vorsichtig ein, hilft mit den Zahlen. Das Marktgeschäft wird mit den Jahren größer und immer mehr zum Zentrum von Patricks Leben.

Verkaufstalent

Auch seine Freundin Melanie trifft er auf dem Markt. Sie ist Kundin, die beiden verlieben sich, gerade erwarten sie ihr erstes Kind. Melanie ist ruhig und geduldig, vielleicht muss sie das auch sein, als Gegenpol. Sie lässt Patrick machen, hat aber Dinge wie die Terminplanung des Paares fest in der Hand.

Eier der eigenen Hennen
Foto: Marion und Reinhard Hörmandinger

Am nächsten Morgen zeigt sich der Gmundner Wochenmarkt von seiner schönsten Seite. Die meisten Besucher hier kennen "Patricks rollenden Hofladen" und seinen Besitzer. "Pfiat di, Patrick", heißt es dann. Seine Schreie irritieren viele Marktbesucher nicht mehr. Und wenn doch, werden sie von anderen Standlern diskret aufgeklärt.

"Wenn ich neben Meli liege, bin ich auch mal ruhig. " Patrick Neuhofer über seine große Liebe

Wenn Patrick sich gut fühlt, wird er zum Animateur. Er schäkert mit Stammkunden und versucht, die Heidelbeeren ("In Vöcklabruck reißen sie mir die aus den Händen!") anzupreisen. "Verkaufen, das tu ich einfach gern", sagt Patrick. Die gute Stimmung auf dem Markt täuscht ein wenig darüber hinweg, dass es nicht immer so einfach ist. Es gibt Tage, da blickt der Unternehmer zufrieden auf das, was er sich aufgebaut hat. Und dann gibt es welche, wo er sich am liebsten verkriechen würde. "Ich würde mir wünschen, dass die Menschen mich akzeptieren", sagt Patrick. Die meisten sind freundlich, aber jeder negative Kommentar hinterlässt eine Narbe. "Für Leute wie dich müsste es einen neuen Hitler geben!", hat einmal ein älterer Herr zu ihm gesagt. Das vergisst man nicht.

Nicht immer einfach

Patrick kann unheimlich freundlich, nett und hilfsbereit sein. Dann verschenkt er Dinge und zwingt Menschen, unbedingt noch ein weiteres Produkt zu kosten. In anderen Momenten macht er es seiner Umwelt nicht einfach. Er kann ungeduldig werden, über den Staat schimpfen, von dem er "nichts kriegt", oder über Menschen, von denen er glaubt, dass sie ihn anstarren. Aber auch das ist Inklusion. Menschen mit einer Krankheit haben nicht die Pflicht, still am Rand des Tisches zu sitzen und dankbar zu lächeln, dass sie überhaupt am Tisch sein dürfen. Sie dürfen mal nett, mal böse, mal freundlich und mal fordernd sein, wie jeder andere auch. Hört man Patrick zu, dann merkt man, dass das Leben nicht immer gut zu ihm war, dass er sich oft ausgenutzt gefühlt hat. "Durch Meli hab ich gelernt, dass das nicht so sein muss. Dass ich auf mich schau, Dinge einfordern darf", sagt Patrick. "Durch Patrick bin ich viel ruhiger geworden", sagt Melanie.

Patrick Neuhofer hat seinen Platz gefunden, sich etwas aufgebaut, es sich vielleicht auch etwas gegen Widerstände erkämpft. "Ja, ich bin schon stolz", sagt Patrick. Er sei niemand, der den ganzen Tag vorm Fernseher sitzen könne. "Ich wollt mein Leben lang was tun." (MARKTBESUCH: Jonas Vogt, 14.8.2020)