Eine Wachsfigur kann zwar das Gesicht nicht verziehen. Aber der Stil von Louis de Funès kommt auch in dieser statischen Form gut zur Geltung.
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Als die Cinémathèque française vor einem Jahr bekanntgab, wem sie ihre nächste große Ausstellung widmen würde, glaubten nicht wenige, sie wolle sich einen Scherz erlauben: Louis de Funès im Pariser Tempel der Cinephilie? Das Datum der Eröffnung, der 1. April, trug zu diesem Irrtum bei.

Sogleich entbrannte eine kleine Kontroverse um das allerdings ganz ernst gemeinte Vorhaben. Kritiker waren fassungslos, dass die Institution sich auf ein populäres Niveau hinablassen wollte. Ausgerechnet die erste Ausstellung, mit der sie einen Schauspieler feiert, sollte diesem Grimassenschneider ausgerichtet werden? Was plane sie als Nächstes, fragte ein entrüsteter Journalist, eine Chuck-Norris-Retrospektive?

Frische Relevanz durch Corona

Es kam anders, woran die Corona-Pandemie gleich zweifach Schuld trug. Die Eröffnung wurde um vier Monate verschoben – und der umstrittene Komiker in der Zwischenzeit wundersam rehabilitiert. Denn während der strengen Kontaktsperre erwarb er sich Verdienste als Depressionsverhinderer. Seine alten Filme, darunter Die große Sause und die Gendarmen-Reihe, avancierten zu TV-Quotenrennern.

Eigentlich müssten sie, dank zahlloser Wiederholungen, längst an Anziehungskraft verloren haben. Aber während der Krise gewannen sie frische Relevanz: Auch vier Jahrzehnte nach seinem Tod versteht es der spanischstämmige Schauspieler, seine Landsleute im Hausarrest aufzumuntern. So stellt die Schau Louis de Funès, à la folie ein nationales Gut vor, einen Volksschauspieler mit allen Konsequenzen. Kurator Alain Kruger nähert sich dieser Kinofigur aus biografischer, historischer und soziologischer Perspektive. Die Szenografie lädt freilich zu einem Rundgang in zweifacher Augenhöhe ein: Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass ein erfolgreicher Komiker zuerst Kinder und dann Erwachsenen zum Lachen bringen muss. Gleichviel welchen Alters, hier läuft niemand Gefahr, sich unter Niveau zu amüsieren. Auch in blödsinnigen Filmen bewies de Funès Elan und Geistesgegenwart.

Lange zweite Reihe

Die Schau stellt seine Lehrjahre vor der Kamera in den Kontext der gesellschaftlichen Fortschritte der Nachkriegszeit. 15 Jahre lang stand er in der zweiten oder dritten Reihe. Seine nervöse Stromstoßgestik und frenetische Diktion bedurften des solistischen Freiraums, um sich verselbstständigen zu können. Sein Witz ist eine Errungenschaft vorangeschrittenen Alters und sozialer Mobilität – es braucht einfach einige Jahrzehnte des Katzbuckelns, um nach unten treten zu können – sowie ein Phänomen des Wirtschaftsbooms. Sein eigentliches Genie bestand vielleicht darin, dass dieser schmächtige, verdrossene Glatzkopf tatsächlich zu einem Star wurde.

Als dieser fand er zwar treffliche Gegenspieler wie den bodenständigen Bourvil (in Louis, das Schlitzohr), den renitenten Yves Montand (in Die verrückten Streiche der Reichen) oder den sozialrebellischen Coluche (in Brust oder Keule). Aber seine emporgekommenen Patriarchen kannten keine Gleichgestellten, nur Untergebene oder noch Mächtigere.

Sie waren Repräsentanten einer katholisch-bürgerlichen Ordnung, deren Durchsetzung bei ihm jedoch eminent anarchischen Furor gewann. Diese stets Nationalstolz definierten Charaktere bemerkten selbst nie, dass sie die unvorteilhaften Aspekte der Grande Nation verkörperten. Zugleich war de Funès’ Spiel – inspiriert von der Mimik Donalds und der Verschlagenheit von Dagobert Duck – abstrakt genug, um weltweit zu reüssieren.

Star auch in Japan

In der Ausstellung künden Plakate von seinem Starruhm etwa in Japan, aber nirgendwo war er so populär wie im deutschsprachigen Raum, wo man ein eigenes Verhältnis zum Gehorsam pflegt. De Funès’ Arbeitstemperament, das zeigt die Ausstellung lebhaft, war nicht weniger autokratisch.

Sobald er ein Star war, suchte er nicht mehr die Begegnung mit charismatischen, eigensinnigen Regisseuren, die als ein Korrektiv seines Mythos hätten fungieren können, sondern blieb der maßgebliche Auteur seines Leinwandimages. Auch als Tyrann hinter der Kamera war er eine schillernde Figur, getrieben von immensen Ambitionen (zeitweilig verfolgte er Pläne, mit Chabrol und Polanski zu drehen) und robusten Selbstzweifeln.

Sein Instinkt riet ihm, mit der Zeit zu gehen, nach dem Mai ’68 den Anschluss zum jungen Publikum zu suchen. Aber seine konservative Natur sabotierte diesen Impuls beharrlich. Aus diesem Widerspruch resultierte sein Meisterwerk Die Abenteuer des Rabbi Jacob, in dem er nachdrücklich die selbstherrliche Bigotterie seiner Leinwandpersona unterlief. Bald danach kam mit Mitterand die Linke an die Macht, und die große Zeit des rechtsanarchischen Grimassenschneiders war vorüber. (Gerhard Midding aus Paris, 14.8.2020)