Nach dem Schmauswaberl nimmt sich Peter Balon nun einer zweiten Lokalperle an: Er sperrt die Wiener Freiheit wieder auf und möchte dort bloß nichts ändern.

Foto: Christian Fischer

Peter Balon geht es schlecht. Nicht weil er mitten in der Corona-Krise ein Lokal übernommen hat, sondern weil er bis sieben in der Früh aus war. Erst einmal einen Reparatur-Radler, die Sonnenbrille bleibt auf der Nase. Balon sitzt im Keller der Wiener Freiheit in der Schönbrunner Straße, die er im September wieder aufsperren will. Beginnen möchte er mit Kleinkunst-Programm und Barbetrieb, den Discokeller vermietet er für Privatveranstaltungen innerhalb des Corona-Möglichen. Wenn die Krise vorbei ist, will er auch selbst veranstalten.

Gegründet wurde das queere Lokal bereits in den 80ern von Alexander Gschaider-Heitmann, dem es auch noch immer gehört. Die erste Freiheit befand sich in dessen Wohnung: Nachdem sie einem Brand zum Opfer gefallen war, machte Gschaider-Heitmann aus der Not eine Tugend, aus dem angesengten Kasten eine Bar und die Wohnung zum Lokal.

Eindrücke aus der Wiener Freiheit, wo alles bleibt, wie es ist.
Foto: Christian Fischer

Schwuler Naschmarkt

Nach einigen Umzügen landete man in den 90ern in der Schönbrunner Straße 25, in bester schwuler Gesellschaft. "In den 1970er-, 1980er-Jahren hat sich der Naschmarkt als vor allem schwule Ausgehmeile etabliert, weil es dort eine spezielle Sperrstundenregelung gab. Man konnte ein Lokal 24 Stunden offen halten. Bis 1973 war der Naschmarkt der Großmarkt von Wien, dort war auch in der Nacht irrsinnig viel los, was soziale Kontrolle sehr eingeschränkt hat. Dadurch war das ein offener, vielfältiger Ort", erzählt der Historiker Andreas Brunner von QWien – Zentrum für queere Geschichte.

Auch heute finden sich in der Gegend noch einige queere Lokale, so auch die Wiener Freiheit: dunkles Holz, roter Samt, Spiegel. Die Kaiser-Franz-Joseph-Loge im Discokeller macht nur eines von vielen Interieur-Highlights aus. Hier regieren detaillierte Dekadenz und trashiger Pomp mit viel Persönlichkeit. Balons Augen leuchten hinter der Sonnenbrille.

Ein "Schmausi" für alle

Andere würden bei einer Neuübernahme nicht wissen, wo sie zu entrümpeln anfangen sollen, Balon dagegen wird hier genau gar nichts ändern – das ist sein Programm. So hält er es auch bei seinem anderen Lokal, dem Beisl Schmauswaberl auf der Wienzeile.

Der Zugang, alles gleich zu lassen, ist nicht der Faulheit geschuldet, beteuert Balon, er liebe einfach die Wiener Tschumsn- und Tschocherl-Kultur, die vom Aussterben bedrohten Originale, in denen alle Gesellschaftsschichten, besonders die an den Rand gedrängten, zusammenkommen. Ihm geht es um die Leute, die sonst keinen Platz haben, ihre Lebensgeschichten. Regeln hat er nur wenige: "Ich will ein gutes Miteinander haben, keine sexistischen, homophoben, rassistischen G'schichten, keine Nazis." Seit Balon das Schmauswaberl übernommen hat, kommen auch viele junge, linke Künstler, die Burschenschaft Hysteria verkehrt dort und mischt sich unter die Riege der Ur-Schmauswaberlianer.

Pomp und Trash.
Foto: Christian Fischer

Im Sinne des Erfinders

Balon hat schon viel Nacht gesehen. Zuerst als Veranstalter illegaler Partys in Punk-Manier, dann fünf Jahre im Wiener Vorzeigeclub Grelle Forelle, wo er lernte, wie man einen großen Betrieb führt. Irgendwann war's genug. Balon wurde Vater, ging in Karenz und fand auf Willhaben das "Schmausi". So ging es für ihn wieder in die Nacht zurück, aber etwas gemütlicher.

Bald war er auch mit Gschaider-Heitmann in Kontakt, für den "Rauchverbot, schikanöse Polizeikontrollen und dann noch Corona" zu viel waren und der sich einen Pächter wünschte, der das Lokal in seinem Sinne weiterführen würde.

Ob Balon als "Hete" eine Gaybar übernehmen soll – der Gedanke beschäftigte ihn schon, aber nur kurz. Bereits in den letzten Jahren unter Gschaider-Heitmann hatte sich das Lokal längst vom Schwulentreff, als der es gegründet worden war, zu einer für alle offenen Angelegenheit entwickelt.

Im Disco-Keller.
Foto: Christian Fischer

"Aufgrund des hohen Ausländeranteils unter den Besuchern hatte die Wiener Freiheit einen schlechten Ruf in der Art von 'Da kannst ja nicht hingehen, hörst ja kein Wort mehr Deutsch'", erzählt Gschaider-Heitmann, der aber genau die multikulturelle Mischung, das Aufeinandertreffen von heterosexuellem und homosexuellem Publikum sehr schätzte. "Ich kann nur jedem sagen, der da herkommt, dass wir schauen, dass alle einen Safe Space haben, queer oder ned", sagt auch Balon. Ihm geht es, wie immer, "um die Leit". (Amira Ben Saoud, 14.8.2020)