Corona ändert sogar die Weltkarte. Cincinnati, US-Bundesstaat Ohio, wurde kurzerhand ins rund 1000 Kilometer entfernte New York verlegt. Den Tennissport zeichnet in der Not eine gewisse Flexibilität aus. Am 22. August nimmt die ATP-Tour den Betrieb auf, das Masters-1000 von Cincinnati dient sozusagen dem Aufwärmen für die US Open, die dann am 31. August beginnen.

Trainer Nicolas Massu denkt nach wie vor von Spiel zu Spiel.
Foto: imago images/Nordphoto

Der 26-jährige Dominic Thiem fliegt Samstagfrüh von Wien aus via Frankfurt zur Arbeit. Im Idealfall ist er vier Wochen in der New Yorker Blase eingeschlossen, das Finale der US Open steigt am 13. September. Natürlich im leeren Arthur Ashe Stadium. Corona zwingt zum Abspecken, der Weltranglistendritte aus Lichtenwörth wird nur von drei Personen begleitet: Trainer Nicolas Massu, Physiotherapeut Alex Stober und Jugendfreund Lucas Leitner, der ist quasi der Mann für alles.

Reduziert

Vater Wolfgang, Mutter Karin, Bruder Moritz und Manager Herwig Straka bleiben daheim. Der US-Tennisverband hat den Tross aufs Minimum reduziert, menschliches Übergepäck ist Teilnehmern und Teilnehmerinnen untersagt.

Massu genoss noch einen Tag in der Freiheit, er besuchte einen Heurigen in Neustift, tauchte also in eine für einen 40-jährigen Chilenen aus Viña del Mar völlig fremde Welt ein. Er mochte diese Exotik, bei den Wienerliedern hat er nicht mitgeschunkelt, gut so, die Texte handeln ja oft vom Sterben.

Massu durfte drei Monate lange Chile nicht verlassen. Thiem hat er dann erst wieder im Juli in Kitzbühel gesehen. Der Trainer war vom Schützling begeistert. "Körperlich topfit, er hat rund drei Kilo Muskelmasse zugelegt. Er spielte und gewann viele Exhibitions, manche Leistungen haben mich fasziniert. Er wirkt auch mental sehr stark, hat Energie."

Kaum Freigang

Ein halbes Jahr hat es kein Turniertennis gegeben, Massu ist sich der außergewöhnlichen Situation bewusst. "Natürlich werden die Dinge in New York nicht normal sein. Aber irgendwann muss man ja wieder starten." Das Hotel auf Long Island darf nur zu Trainings- und Match-Zwecken verlassen werden (Freigang), das Ausgehverbot wird streng kontrolliert. Verstöße werden mit dem Ausschluss vom Turnier geahndet. Jeden dritten Tag wird auf Corona getestet.

Dominic Thiem ist voll konzentriert und hoch motiviert. Er fühlt sich bereit für weitere Taten.
Foto: imago images/Bernd König

Thiem hat sich zuletzt verbal rargemacht, keine öffentlichen Auftritte, Training in Alt-Erlaa und der Südstadt, Konzentration aufs Wesentliche. Dem STANDARD hat er ein paar Fragen per Mail beantwortet:

Haben Sie Bedenken wegen Corona, oder überwiegt einfach die Freude, wieder Turniertennis zu spielen?

Thiem: "Wir werden alle extrem aufpassen, die Sicherheit steht an oberster Stelle. Die Freude ist natürlich groß, endlich geht es wieder los mit echtem Tennis. Man sucht die Challenge. Die Voraussetzungen sind natürlich anders."

War es eine Überlegung, die US Open auszulassen und wie Titelverteidiger Rafael Nadal in Europa zu bleiben?

Thiem: "Ich habe mitbekommen, dass Rafa nur auf Sand trainiert hat. Durch das überarbeitete Ranking-System wegen Corona fallen ihm keine Punkte aus der Wertung, für Nadal passiert also nichts. Ich hatte die US Open immer geplant, wollte diesen Grand Slam nie auslassen. Sofern die Begleitumstände wie Einreise, Sicherheit, Ausreise passen."

Nach der langen Unterbrechung ist vieles ungewiss. Sie können zwar beurteilen, wie Sie in Form sind, aber über die anderen weiß man wenig. Rechnen Sie mit Überraschungen?

Thiem: "Ich habe viel trainiert, viele Matches gehabt, meinen Rhythmus gefunden. Meine Form sollte also passen, doch es ist extrem viel Zeit vergangen. Man kann nicht vorhersagen, wie jeder nach einem halben Jahr Pause in ein 1000er-Turnier und einen Grand Slam startet. Das spricht sicher auch für einige Überraschungen."

In New York leben Sie in einer Blase. Ist das mental ein Problem? Man hat vielleicht das Gefühl, eingesperrt zu sein. Das Arthur Ashe Stadium ohne Publikum? Wie motiviert man sich?

Thiem: "Auch wenn vieles anders ist, bleiben die US Open ein Grand Slam. Da wird es an der Motivation nie scheitern! Keine Zuschauer in New York, ein völlig ungewohntes Bild. Doch auch die Champions League geht in der Finalphase ohne Fans über die Bühne. Das hätte zu Jahresbeginn auch keiner gedacht. An das Leben in der Blase müssen wir uns alle gewöhnen, da kann man nur professionell denken. Und wie man gesehen hat, funktioniert es auch in anderen Sportarten wie zum Beispiel in der Formel 1."

Bild nicht mehr verfügbar.

Das berühmte Arthur Ashe Stadium in New York wird sich für zwei Tennisturniere so präsentieren: total leer.
Foto: AP/Morgan

Es bleibt hart

Massu glaubt, dass der Kopf entscheiden wird. "Wie reagiert einer, wenn er einen fünften Satz vor zehn statt vor 20.000 Zuschauern spielen muss?" Prognosen stelle er keine. "Auch wenn einige abgesagt haben und Federer verletzt ist, sind 85 bis 90 Prozent der Besten dabei. Alle, die vor der Pause den Unterschied ausgemacht haben, werden es wieder tun, deswegen sind sie so gut. Und dazu gehört Dominic."

Dominic Thiem steigt Samstagfrüh in den Flieger. Über seine Erwartungen schreibt er: "Die Herausforderung ist nach wie vor riesig, Corona ändert nicht viel an der Härte des Turniers." Aber Cincinnati liegt diesmal in New York. (Christian Hackl, 14.8.2020)