Wenn man für ein Meeting oder eine Konferenz nicht mehr um die halbe Welt jettet, fällt einer der größten Klimakiller weg. Doch diese Rechnung greift möglicherweise zu kurz.

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Infolge der Corona-Pandemie wurden Millionen Menschen ins Homeoffice geschickt. Geschäftsreisen, Konferenzen, Vorträge, Sprechstunden – alles abgesagt oder in den digitalen Raum verlegt. Statt im Flieger oder im Auto saß man vor seinem Rechner in Videokonferenzen. Der Flugverkehr, der für gut zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, ist um 85 Prozent zurückgegangen. Umweltschützer frohlocken daher, dass die Heimarbeit den CO2-Ausstoß langfristig senken könnte. Wenn man für ein Meeting oder eine Konferenz nicht mehr um die halbe Welt jettet, fällt einer der größten Klimakiller weg. Doch diese Rechnung greift möglicherweise zu kurz.

Denn auch Internetaktivitäten hinterlassen einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck. Laut einer Studie der französischen Denkfabrik The Shift Project erzeugen Online-Videos 300 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Das ist etwa ein Prozent der globalen Emissionen. Allein der Konsum von Pornografie verursacht so viel CO2 wie Belgien in einem Jahr produziert. Die Experten schätzen, dass der Anteil der digitalen Technologien an den globalen Treibhausgasemissionen bis 2025 auf acht Prozent steigen könnte.

Auch E-Mails sind nicht gerade klimafreundlich. Der britische Umweltforscher Mike Berners-Lee schreibt in seinem Buch "How Bad Are Bananas? The Carbon Footprint of Everything", dass eine einzige E-Mail vier Gramm CO2-Äquivalente verursacht. Mit Anhang kann der Ausstoß sogar auf 50 Gramm pro Mail steigen. Durch die Umstellung auf Heimarbeit hat sich der Kommunikationsbedarf erhöht. Termine müssen abgestimmt, Inhalte koordiniert werden. Laut einer Analyse der Marketingplattform Hubspot versenden britische Unternehmen im Durchschnitt 20 Prozent mehr Mails als vor Corona. Und das drückt auf die Ökobilanz. So grün ist das Homeoffice also nicht.

Emissionen eines Online-Meetings

Der Softwareentwickler Gerry McGovern hat ausgerechnet, dass ein einstündiges Online-Meeting, an dem zwei Personen teilnehmen, an 250 Tagen im Jahr je nach Auflösung und Videoqualität bis zu 2,8 Kilogramm CO2 produzieren kann. Ein reiner Audiocall würde lediglich acht Gramm verursachen, bei einem hochauflösenden Videocall würden die Emissionen dann schon auf 1,1 Kilogramm CO2 steigen. Rechnet man dies auf die durchschnittlichen Emissionswerte in der EU zugelassener Fahrzeuge um (120 Gramm CO2 pro Kilometer), entspräche die Summe der Audiocalls einer Fahrtstrecke von 0,7 Kilometern. Die CO2-Emissionen von Ultra-HD-Videoanrufen entsprechen 23 Kilometern Autofahrt.

Schon bei einer Kurzstrecke hätte man das CO2-Kontingent von 250 Stunden HD-Videocalls überschritten. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst ökologischer, Online-Meetings abzuhalten statt zu einer Konferenz zu fahren. Doch so einfach ist es nicht, schreibt McGovern. Denn in der Kalkulation sind nur die Streaming-Kosten, nicht aber die Verarbeitungs- und Speicherkosten berücksichtigt. In vielen Unternehmen würden die Videos gespeichert, um sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Die virtuelle "Wegstrecke" könnte sich bei Ultra-HD-Anrufen daher auf 375 Kilometer im Jahr erhöhen, so McGovern.

Was wird wie kompensiert?

Die zentrale Frage ist, ob die CO2-Einsparungen durch weggefallene Geschäftsreisen und Flugverkehr den CO2-Anstieg durch Rechenzentren kompensieren. "Von zu Hause aus zu arbeiten ist gut, wenn es lange Fahrten spart", erklärt Umweltforscher Berners-Lee auf Anfrage. "Wenn es aber dazu führt, dass Häuser ihre Heizung anlassen, kann es sogar schlimmer sein verglichen mit kurzen Pendelstrecken." Ganz zu schweigen von den Kühlkosten: Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) machen Klimaanlagen zehn Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus. Wenn die Menschen länger im Homeoffice arbeiten und die Erderwärmung voranschreitet (womöglich befeuert durch Internetaktivitäten), könnte sich der Bedarf erhöhen. Ein Teufelskreis.

Australische Wissenschafter haben die Ökobilanz von Online-Meetings und Präsenzveranstaltungen in einer Studie verglichen. Ihrer Fallstudie legten sie folgendes Szenario zugrunde: Zu einem fünfstündigen Meeting kommen zwei Teilnehmer, die vor Ort sind und nicht reisen müssen, ein Teilnehmer aus dem Inland, der 1.000 Kilometer Anreise hat, sowie ein internationaler Teilnehmer, der 5.000 Kilometer fliegen muss, zusammen. Eine Online-Konferenz würde in dieser Konstellation lediglich sieben Prozent der CO2-Emissionen eines physischen Zusammentreffens ausmachen – und wäre damit deutlich klimafreundlicher. Reduziert man die Anreise in dem Szenario auf 67 Kilometer für den inländischen Teilnehmer und 333 Kilometer für den internationalen Konferenzteilnehmer, wären die CO2-Emissionen in beiden Fällen gleich hoch.

Ob eine Videokonferenz ökologischer ist, hängt also immer vom Einzelfall ab. Und letztlich auch vom Energiemix der Provider. Wenn die Rechenzentren mit schmutziger Kohlekraft betrieben werden, ist das Homeoffice nicht ökologischer als eine Flugreise. (Adrian Lobe 18.8.2020)