Richterin Elisabeth Reich muss klären, ob ein vierfach Vorbestrafter neuerlich zwei Körperverletzungen begangen hat.

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Wien – Glaubt man Herrn B., ist der 40-Jährige ein Opfer, das immer wieder gezwungen wird, sich in Notwehr zu verteidigen. Dummerweise sind seine Gegner immer deutlich schwerer verletzt als er, was ihn nun vor Richterin Elisabeth Reich gebracht hat. Erfahrung mit der Justiz hat der in Nigeria geborene Österreicher bereits: In den vergangenen 14 Jahren hat er vier Vorstrafen gesammelt – drei davon wegen Körperverletzung.

Der erste angeklagte Vorfall ereignete sich Ende Oktober 2019. "Ich war auf dem Heimweg von der Arbeit und habe im Viper Room noch ein Bier getrunken", erzählt der Angeklagte. "Dann wurde ein wunderschönes Lied gespielt, und ich habe getanzt." Kurz darauf ging er, vor dem Lokal traf er auf zwei Frauen und einen Mann. "Die eine Dame ist hergekommen und hat gesagt, dass ich urgut getanzt habe", behauptet B., es sei zum Smalltalk gekommen.

"In Notwehr eine Faust gegeben"

Plötzlich habe sich der andere Mann eingemischt, ihn beleidigt und schließlich versucht, ihn zu schlagen. "Die Dame hat gesagt, er ist ihr Ex-Freund. Er wollte mich die ganze Zeit angreifen, in Notwehr habe ich ihm eine Faust gegeben." Es muss mehr als eine gewesen sein: Das Opfer erlitt einen Nasenbeinbruch, ein blaues Auge, Schädelprellungen und einen Sehnenriss in einem Finger.

Frau K. ist die Frau, der angeblich B.s Tanzstil ziemlich gut gefallen hat. Die kann sich bei ihrer Zeugenaussagen daran aber nicht mehr erinnern und erzählt eine gänzlich andere Version. "Wir waren zu viert fort, beim Ausgang hat mich der Herr angesprochen", erinnert sich die 39-jährige Sozialpädagogin. "Er war recht offensiv. Ich habe mir überlegt, wie ich ihn abblitzen lassen kann, ohne dass er sich diskriminiert fühlt", meint sie bezüglich der Hautfarbe des Angeklagten.

"Es war sehr schnell brutal"

Sie sei recht höflich gewesen, unglücklicherweise sei da ihr Freund von hinten gekommen. Sie habe es zwar nicht gesehen, aber: "Es kann schon sein, dass er diesen Blick hatte, 'Schleich dich'." Dann "war es sehr schnell brutal", behauptet die Zeugin. B. habe versucht, ihren Freund mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, sie bemühte sich, die Männer zu trennen, alle drei kamen zu Sturz.

Auf dem Gehsteig prügelten sich die Männer: "Ich konnte nicht mal hinschauen." B. verlor sein Handy, das Frau K. als Beweismittel einsteckte. Dann endete der Vorfall, der Angeklagte ging, kam aber kurz darauf zurück. "Ich habe ihm gesagt, er soll sich entschuldigen. Da sagte er, er entschuldigt sich, wenn ich mit ihm heimgehe." Die Folge: eine neuerliche Rangelei zwischen B. und ihrem Freund, ehe der Angeklagte endgültig verschwand.

Ausgeforscht wurde B. über das Mobiltelefon, bei der Polizei sagte er zunächst noch, er wisse nicht, ob er vor dem Viper Room gewesen sei. "Damals konnte ich mich nicht richtig erinnern, was gemeint war", begründet er das nun. "Na ja, wenn ich eine Schlägerei habe, erinnere ich mich aber schon daran", gibt die Richterin zu bedenken.

Lautstarke Geburtstagsfeier

Auch Ende April musste die Polizei wegen B. zu einem Einsatz ausrücken. Er feierte mit seiner Freundin in deren Wohnung ihren Geburtstag. Er sei im Wohnzimmer gewesen, als er an der Tür einen kurzen Schrei gehört habe, schildert der Angeklagte. Er ging hin und sah seine Freundin sowie den aufgebrachten älteren Nachbarn aus dem Stock darüber.

"Waren Sie laut bei der Feier?", will Reich wissen. "Ein bissi schon", gibt B. zu. Als er klären wollte, was das Problem sei, habe der 75-jährige Nachbar ihm einen Ellbogencheck gegen den Kopf versetzt. "Ich habe ihn dann weggeschoben, wir haben gestritten, dann ging er", erzählt der Angeklagte. "Wieso hat er dann Verletzungen im Gesicht?", wundert sich Reich und zeigt das Bild eines massiven blauen Auges und eines Blutergusses an der Hand. "Ich habe ihn hundertprozentig nicht angegriffen. Nie im Leben."

Seine Freundin und die anderen Geburtstagsgäste beteuern ebenso, dass der Nachbar mehrmals mit dem Ellbogen ausgeschlagen habe, B. den angeklagten Faustschlag in das Gesicht des Pensionisten aber nie getätigt habe.

Öfters Lärmprobleme

Auch hier ist die Version der Gegenseite diametral entgegengesetzt. "Es geht um die Nachbarn, die feiern immer wieder. Bis 3 oder 4 in der Früh ist es laut, meine Frau und ich können nicht schlafen", lässt der Afghane übersetzen. Am Tattag ging er zwischen 23 und 24 Uhr hinunter. Sein Läuten wurde ignoriert, also klopfte er laut gegen die Wohnungstüre. Wer sie geöffnet hat, weiß er nicht mehr, jedenfalls sei B. ihm plötzlich nahe gekommen.

"Damit ich Abstand halte, um nicht mit Corona infiziert werde, habe ich die Hand ausgestreckt", berichtet der Zeuge. "Wie haben Sie das denn gemacht?", fragt die Richterin nach. Der Pensionist demonstriert eine Bewegung mit waagrecht abgewinkeltem Arm und seitlich ausgestrecktem Ellbogen. "Er hat mir die Hand weggeschlagen und mir einen Faustschlag versetzt", bleibt der Verletzte bei seiner Aussage vor der Polizei.

Eine Woche lang habe sein Auge wehgetan, 300 Euro Schmerzensgeld will er dafür, der Angeklagte und seine Verteidigerin Anita Schattner lehnen die Forderung ab. Da der vor dem Viper Room verletzte Mann auf Urlaub ist, vertagt Reich auf den 31. August. (Michael Möseneder, 18.8.2020)