Bekanntlich war es Barack Obama, dessen Einzug ins Weiße Haus Donald Trump dazu anstachelte, selber eine politische Karriere anzusteuern. Genauer gesagt war es die Frage, wo Obama denn nun geboren sei, in Hawaii oder Kenia. Indem der Immobilientycoon unterstellte, der Mann im Oval Office habe das Licht der Welt gar nicht auf amerikanischem Boden erblickt, weshalb er das Oval Office eigentlich räumen müsste, bereitete er den Boden für seine eigene Kandidatur. Die mediale Aufmerksamkeit war gesichert, der Wechsel auf die Bühne der Politik eingeläutet.

Schon vor zehn Jahren wurde bezweifelt, dass Barack Obama überhaupt in den USA geboren ist. An vorderster Front auch damals: Donald Trump.
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Wobei Trump nie behauptete, die These der "Birther"-Bewegung, die er zu seiner eigenen machte, hieb- und stichfest beweisen zu können. Vielmehr beließ er es dabei, Zweifel zu säen. Man dürfe ja wohl noch Fragen stellen, stichelte er, den Verdacht schürend. Bis Obama im Frühjahr 2011 seine Geburtsurkunde, ausgestellt in Honolulu, publik machte und den Gegenbeweis lieferte, was freilich nichts daran änderte, dass die hartnäckigsten "Birther" das Dokument für eine Fälschung hielten.

Nun bewirbt sich Kamala Harris, eine Senatorin mit dunkler Haut, für die Vizepräsidentschaft, und prompt erlebt das verschwörungstheoretische Flüstern eine Neuauflage. Begonnen hat es mit dem Essay eines konservativen Juristen, der in der Zeitschrift "Newsweek" der Frage nachging, ob Harris überhaupt für das zweithöchste Amt im Staat kandidieren dürfe. John C. Eastman, Rechtsgelehrter an der Chapman University, einer privaten Hochschule in der Nähe von Los Angeles, beantwortet sie mit einem Nein. Dabei interpretiert er die Verfassung auf eine Weise, die prominentere Rechtsgelehrte, zurückhaltend formuliert, für fragwürdig halten.

Kamala Harris erfüllt alle Kriterien

"Alle Personen, die in den USA geboren oder eingebürgert sind und ihrer Gesetzeshoheit unterstehen, sind Bürger der Vereinigten Staaten", ist im Grundgesetz zu lesen. Präsident kann nur werden, wer in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen ist, mindestens 35 Jahre alt ist und seinen Wohnsitz seit mindestens 14 Jahren in den USA hat. Für den Vizepräsidenten gilt das Gleiche. So weit, so klar. Kamala Harris erfüllt alle Kriterien, doch Eastman sieht das anders. Er führt die Gesetzeshoheit ins Feld.

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Kamala Harris steht im Zentrum der Trump-Attacken.
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Harris' Eltern, der Vater aus Jamaika, die Mutter aus Indien zum Studium nach Kalifornien gekommen, seien zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter nicht der vollen amerikanischen, sondern der Hoheit ihrer Heimatländer unterstanden, argumentiert er. Sie seien nur zeitweilige Besucher gewesen, nicht eingebürgert, sondern "vermutlich" im Besitz eines Studentenvisums. Tatsächlich promovierten beide, er Ökonom, sie Krebsforscherin, 1963 an der Universität Berkeley. Kamala kam 1964 zur Welt. Auch Kamala Harris, fabuliert Eastman unter Hinweis auf die damalige Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, könnte gegenüber anderen Mächten zur Loyalität verpflichtet gewesen sein.

Und dass ein Geburtsort in den USA automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft begründe – diese Ansicht habe sich erst später durchgesetzt, ab Ende der Sechziger. Schließlich seien zuvor die in Kalifornien geborenen Kinder mexikanischer Gastarbeiter mit ihren Eltern nach Mexiko abgeschoben worden, als die Große Depression der 1930er-Jahre zur Massenarbeitslosigkeit führte.

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Trump sät gerne Zweifel. Ist die Erde nicht vielleicht doch eine Scheibe? Man wird ja wohl noch fragen dürfen.
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Unsinnige These

Was Eastman behauptet, hat namhafte Juristen umgehend Einspruch erheben lassen. Der Unsinn erinnere ihn an die These, wonach die Erde eine Scheibe sei, erwiderte der Harvard-Professor Laurence Tribe, eine Koryphäe unter den Verfassungsrechtlern. Trump dagegen lässt alles offen, er schürt Zweifel, wie schon 2011. "Ich habe erst heute gehört, dass sie den Anforderungen nicht gerecht wird", sagte er am Donnerstag vor Journalisten über Harris. "Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt." Der Mann, der das geschrieben habe, sei jedenfalls hochqualifiziert. Und sehr begabt. (Frank Herrmann, 14.8.2020)