Er hat ein Gesicht wie ein Engel, er hat eine Stimme wie ein Engel – und eigentlich auch ein ebensolches Gemüt. Aber manchmal brennt ihm anscheinend eine Sicherung durch. Die Rede ist von Alfred Wagner, dem Mastermind hinter dem A-Cup, einer Rennserie mit historischen Trial-Motorrädern. Und so kam es, dass ich ihn im Fahrerlager anbrüllte: "Was hab ich dir getan, dass du mich so hasst – dass du mir das antust?"

Alfred Wagner ist der Erfinder und der Vater des A-Cups. Er hat sich alter Trial-Maschinen mit einem Bezug zu Österreich angenommen, wie dieser SWM, in der ein Rotaxmotor für Vortrieb sorgt.
Foto: Guido Gluschitsch

Mit einem Lächeln, das weniger bei engelhaft als vielmehr bei lausbübisch anzusiedeln ist, meinte er nur: "Hat Spaß gemacht, gell?" Nein, hat es nicht. Na gut, vielleicht ein wenig. Also schon, aber das ist jetzt der falsche Ort, um das zu gestehen. Ihm diese Genugtuung zu geben, wäre jetzt einfach fehl am Platz. Während die anderen Fahrerinnen und Fahrer schon wieder die Motorräder und die Tücken der Strecke besprechen, hoffe ich, dass das Stechen in der Lunge vom Rauchen und nicht von der Anstrengung der letzten zwei Stunden kommt.

Mit der Gori, einer Trial aus dem Jahr 1980 mit feiner Historie und englischem Blech, schickt mich Alfred Wagner ins Rennen.
Foto: Guido Gluschitsch

Es ist nämlich so. Mit dem Alfred Wagner verbindet mich eine jahrelange Freundschaft, die an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal bewusst treffen, ihr Ende genommen oder ihren Höhepunkt gefunden hat. Das werden wir noch herausfinden. "Musst einmal kommen", hat er jahrelang gesagt und damit gemeint, dass ich bei seinem A-Cup an den Start gehen müsse. Klassische Trial-Maschinen, das sind Motorrädern mit wenig Hubraum, die man stehend im Gelände fährt – auch wenn gerade die sehr alten Maschinen noch einen dünnen Lederfleck als angedeutete Sitzgelegenheit haben, die bei modernen Trials vollständig fehlt. "Sicher, gerne, wenn es einmal passt!", hab ich jedesmal gesagt. Wir haben mir beide nicht geglaubt, aber es hat ein paar Jahre lang ganz gut funktioniert. Bis der Engel meine Hinhaltetaktik satt hatte und meinte: "Mitte August kommst auf Salzstiegl!" Es war keine Frage, es war keine Bitte. Es war ein Befehl.

Manche Teilnehmer haben zu ihrer Maschine eine so große Begeisterung entwickelt, dass sie auch die Kleidung, bis hin zu den Schuhen, auf die Trial abstimmen.
Foto: Guido Gluschitsch

In etwa auch in der Art funktioniert die Kommunikation mit seinen Rennfahrerinnen und Rennfahrern. Alfred Wagner ist der Erfinder des A-Cups, hat Teile der Organisation inzwischen zwar abgegeben, aber er ist immer noch der Vater der Rennserie. Und er kann durchaus einmal streng werden, wenn seine Sprößlinge nicht spuren. Gleichzeitig ist er ein generöser Vater. Denn auch wenn es ihm darum geht, eine Bewerbsserie für historische Trials zu veranstalten, lässt er jede Trial und jeden Fahrer zu. So fahren hier Jugendliche, die noch gar keinen Führerschein haben, mit modernstem Gerät gegen Männer, die ihre ersten Jahre der Pension dazu nutzten, einer alten Maschine neues Leben einzuhauchen, um sie nun wieder zu bewegen. Auch Frauen fahren mit und bewegen neue und alten Trials.

Renate pilotiert im A-Cup eine BSA, wir haben uns aber auch schon vor Jahren in Kroatien beim Endurofahren getroffen. Im Hintergrund steht die grüne Gori, daneben die GasGas TXTe und links Michaela Kaltenegger. Auf die beiden Letzteren werden wir noch zu sprechen kommen.
Foto: Guido Gluschitsch

Beim A-Cup werden die Fahrerinnen und Fahrer in Teams eingeteilt, die sich selber auf die Füße schauen – Wertungsrichter gibt es keine. Auf die Haxln wird deshalb geschaut, weil es einen Strafpunkt gibt für jedes Mal, wenn man damit den Boden berührt. Und glauben wir Alfred Wagner, dann geht es beim A-Cup dennoch um die Wurst. Nämlich um jene, die man sich am Abend, nach dem Rennen, gemeinsam an einem Biertisch genehmigt, zusammenfindet, sich austauscht und neue wie auch längst vergangene Heldentaten bespricht.

Beim A-Cup kommen Junge und Alte zusammen, fahren gemeinsam und jeder gegen sich.
Foto: Guido Gluschitsch

Rund 140 Fahrer haben sich beim A-Cup Mitte August am Salzstiegl eingefunden. Sie kommen nicht nur aus ganz Österreich, sondern auch aus Italien und Deutschland. Weil wegen der Corona-Pandemie in den Nachbarländern keine Trial-Rennen stattfinden können, ist der Andrang riesig. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer dürfte bei über 50 Jahren liegen, obwohl der ganze Zirkus bunt gemischt ist. Wie es auch die Maschinen sind. Womit jetzt gar nicht die neuen und alten Motorräder gemeint sind, sondern allein, wie die historischen Trials unterschiedlich aufgebaut sind. Während die einen unendlich viel Wert darauf legen, dass alles originalgetreu ist und man dem Motorrad das Alter gerne ansehen darf, fahren andere mit neuen Alufußrasten, polierten Tanks und modifizieren alles, was nach ihrem Geschmack gerade noch durchgeht.

Die alte Fantic eines Teilnehmers aus Deutschland sieht aus, als wäre sie gestern noch im Geschäft gestanden.
Foto: Guido Gluschitsch

Da fährt eine alte Ariel, die aussieht, wie gerade aus der Auslage geholt, dort liegt in einer Sektion eine Bultaco, weil der Fahrer bei der Bergabpassage vergessen hat, dass er die noch nicht revidierte Vorderradbremse nicht benutzen darf, weil die sofort das Rad blockiert, wenn er leicht am Bremshebel zieht, was ihn unweigerlich zu Boden zwingt. Und dann bin da ich mit der Gori. Es ist eine der historischen Trails von Alfred Wagner, die er mir für das Rennen zur Verfügung stellt. Er hat etwas von WM-Titeln und Rotax-Motoren erzählt, von guter Fahrbarkeit und spielerischem Fahrverhalten – fragen Sie nicht.

Sekunden vor diesem Bild ist die Bultaco noch in der Sektion gelegen, weil die Sensibiltät der Vorderradbremse noch nicht adaptiert ist und der Hebel digital arbeitet.
Foto: Guido Gluschitsch

Man muss nämlich eines wissen. Im Grunde bräuchten die Besitzer von historischen Trials ihre Maschinen am Abend gar nicht mit schweren Ketten an Anhänger oder Bäume zu binden. Denn auch wenn die Motorräder keinen Zündschlüssel oder jegliche andere Wegfahrsperre haben, ist man nur dann in der Lage, so eine Maschine anzukicken, wenn man mit dem Motorrad eine langjährige und innige Beziehung aufgebaut hat. So ist es für den Alfred nur ein Tritt, bis die Gori rennt. Ich brauche vor jeder Sektion, in die ich starten soll, mindestens drei Minuten, bis der Garrn rennt. Was dazu führt, dass ich von der Kickerei so fertig bin, dass ich bei der Einfahrt in die Sektion schon wieder vergessen habe, wo ich fahren muss – und schon allein deswegen unweigerlich scheitere.

Sehr schön ist auch diese alte NSU. Einfach zu fahren dürfte sie aber nicht sein.
Foto: Guido Gluschitsch

Es ist so, dass man in der Gruppe, der man zugeteilt wird, von einer Sektion zur nächsten fährt. Jede neue Sektion wird zuerst gemeinsam abgegangen und besprochen. Erst danach startet man ins Rennen. Dabei ist das beim A-Cup so, dass da alle – und nicht nur die, mit denen man in der gleichen Gruppe ist –, einem helfen, die ideale Spur zu finden. Auch wenn es offiziell ein Bewerb ist, ist das Gemeinsame hier viel stärker als das Kompetitive. Dabei ist die Spurensuche in der Einsteigerklasse, in der ich fahre, wirklich kein Hexenwerk. Die weiße Spur ist so einfach, dass auch komplette Neueinsteiger ohne Fehler durchkommen können.

Snoopy ist mir beim Begehen jeder Sektion eine große Hilfe, zeigt Gefahren auf und motiviert. Er strahlt viel Ruhe aus. Darum ist es auch wurscht, wenn er bis zum Start mit seiner Zigarette noch nicht fertig ist. Raucht er sie halt unterwegs.
Foto: Guido Gluschitsch

Ach ja, Fehler. Mit dem Fuß den Boden zu berühren, das ist ein Fehler, oder die eigene Spur nicht zu finden. Stürzen oder stehen bleiben bedeutet fünf Fehlerpunkte. Wenn ich das halt bei all dem Adrenalin, das zwischen den Ohren gurgelte, richtig verstanden habe. Aber im Grunde ist das alles so was von egal, wenn du, vor lauter Schnaufen und Gori-Flüchen, eh schon wieder vergessen hast, wohin du fahren musst. Da steigst du unweigerlich auf den Boden, um dich zu orientieren. Da kommen schnell ein paar Fehlerpunkte zusammen. Machen wir es kurz. Ich hatte, obwohl die Sektionen einfach waren, viele Fehlerpunkte. Ich war mit 45 Jahren der jüngste im Team. Die Kollegen haben dennoch jedes Mal applaudiert, wenn ich eine Sektion lebend verlassen habe, geraunt, wenn ich einen Fuß abstellte, und ein motivierendes "Woar des notwendig?" nachgeschickt.

Neben der leichten, weißen Spur für Einsteiger gibt es drei weitere. Grün ist schon ein wenig zacher, aber noch bewältigbar. Danach wird schon das Begehen der Sektion mühsam.
Foto: Guido Gluschitsch

Voller Respekt und Bewunderung habe ich auf die Meute der Mitstreiter geschaut. Da war etwa jener Mann, der sich, offen gestanden, beim Gehen schon schwer getan hat, aber kaum stand er auf seiner Trial, war er wieder ein junger Bersch, fuhr jede Sektion, bei der ich ihn gesehen habe, fehlerfrei durch. Man munkelt, dass er ohnedies keine andere Wahl hätte, weil ihm das Runtersteigen so schwer falle.

Der Überhammer ist die heimische Trial-Legende Erich Diestinger. Er muss, weil er keine voll ausgebildete linke Hand hat, mit einer Prothese fahren.
Foto: Guido Gluschitsch

Der Überhammer – und ein Urgestein im heimischen Trialzirkus – ist der Erich Diestinger, Präsident des Österreichischen Trialsportverbandes. Er hat seinen 60. Geburtstag schon ein paar Jahre hinter sich und fährt nicht, wie ich mit der Gori, in der leichtesten, der weißen Spur. Erich Diestinger kann mehr. Obwohl er ein Handicap hat. Er hat von Geburt an keine voll ausgebildete linke Hand. Damit kann er weder das Vorderrad mit Körpereinsatz über ein Hindernis heben – er muss sauberer fahren als andere –, und er könnte, weil ihm die Finger fehlen, auch die Kupplung nicht ziehen, hätte er sich nicht eine drehbare Halterung für seinen Stumpf gebastelt. Bewegt er den Arm, kann er so über eine Umlenkung die Kupplung seiner alten Triumph bedienen. Wer einmal eine Kupplung aus den 60er-Jahren zu ziehen versucht hat, weiß, dass das auch mit einer gesunden Hand ein Theater ist. Aber der Erich ist hart im Nehmen, fährt Sektion nach Sektion fehlerfrei, und als alles vorbei ist, nimmt er sich sogar noch die Zeit, mir das Gelände zu zeigen, das diesmal nicht für den Bewerb ausgesteckt wurde.

Die Prothese hat sich Erich Diestinger selbst gebaut und auch schon anderen Fahrern mit ähnlichem Handicap geholfen, ihre Maschinen für den Trial-Sport zu adaptieren.
Foto: Guido Gluschitsch

Ich bin inzwischen aber schon mit einem anderen Motorrad unterwegs. Die Gori hab ich dem Alfred wieder ins Fahrerlager geschoben. Bergauf. Wo die Luft eh so dünn ist. Selber schuld, aber klar, nachdem mir die Kickerei zu blöd wurde, habe ich die Gori bei drei Sektionen während der Besichtigung einfach am Stand rennen lassen, was dazu führte, dass mir am Rückweg der Sprit ausging. Es war die gerechte Strafe für das ökologische Verbrechen, das ich begangen habe.

Die elektrisch angetriebene GasGas TXTe gehört Friedl Kaltenegger, dem Hausherrn des Trialparks Salzstiegl. Er nutzt sie gerne, wenn er Kurse gibt.
Foto: Guido Gluschitsch

Jetzt aber das genaue Gegenteil. Friedl Kaltenegger, Hausherr über das Trial-Gelände am Salzstiegl, Trail-Lehrer und gemeinsam mit Gattin Regina liebevoller Gastgeber im Moasterhaus, hat mir kurzerhand eine echte Sensation in die Hand gedrückt. Die GasGas TXTe, eine der wenigen elektrisch angetriebenen GasGas, die gebaut und für teueres Geld verkauft wurden. Nach der höchst emotionalen, wertvollen und liebvoll aufbereiteten Gori vom Alfred war die GasGas ein Segen, das glaubst du nicht. Bremsen, die wirklich verzögern, ein Fahrwerk, das diesen Namen verdient, und der elektrische Antrieb, der, soweit ich weiß, einzigartig ist, weil der E-Motor über eine Kupplung und ein Schaltgetriebe moderiert wird, katapultierten mich in eine andere Welt. Auf einmal wurde alles zu einer Spielerei – was jetzt den Respekt vor den Pilotinnen und Piloten auf den klassischen Geräten noch einmal hebt.

Wer seine Trial abstellt, macht dies auf einer dieser Matten, die sicherstellen, dass kein Tropfen Öl oder Sprit in den Boden gelangt.
Foto: Guido Gluschitsch

Aber wenn wir schon bei der Ökologie sind. Auch darauf habe ich Alfred Wagner angesprochen. Schon allein deswegen, weil wir, wenn wir nicht über Trials reden, stundenlang über Photovoltaik, E-Autos, Mobilität der Zukunft und nachhaltiges Leben palavern. Man merkt dem Alfred an, dass er sich so viele Gedanken gemacht hat, dass er sogar ein bisserl ein schlechtes Gewissen wegen des Trial-Fahrens hat. Aber er hat auch Gegenargumente. Die beginnen bei Ressourcenschonung, weil er alte Motorräder am Leben hält, statt sich neue zu kaufen, und endet bei einem Spritverbrauch von vier Litern für einen Tag Trialspaß. Im Alltag spart er an Emissionen durch seinen bewussten Umgang mit dem Auto und seine sonst ressourcenschonende Lebensweise. Also gönnt er sich die Gori und Konsorten. Was das Trial-Gelände in den Bergen betrifft, ist auch alles weniger schlimm, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Eine der Damen, die ihre Trial über die Sektion "die Schottische" treibt.
Foto: Guido Gluschitsch

Das Salzstiegl vor dem Moasterhaus ist im Winter ein Skigebiet. Friedl Kaltenegger hat sich, um die Saison zu verlängern, alle Genehmigungen eingeholt, um den Rest des Jahres ein Trial-Gelände zu betreiben. "Wanderer sind auf den Hängen, auf denen Trail gefahren wird, selten. Überhaupt gibt es wegen der Trails keine Konflikte", sagt Michaela Kaltenegger, die Tochter von Regina und Friedl, die als studierte Germanistin an so starken Wochenende wie diesem nach Hause auf Salzstiegl kommt und gemeinsam mit ihrem Bruder Paul bei der Organisiation und der Verhätschelung der Gäste hilft. "Die Wanderer sind eher oben am Salzstieglhaus", hier beim Moasterhaus seien eher die Abenteuerlustigen. Neben dem Trail-Park mit Mietmotorrädern, auf dem man auch mit seiner eigenen Trail trainieren kann, gibt es ein Activity-Programm, das eine Tour mit Riesenrollern, Bogenschießen, Klettermöglichkeiten und Trampoline beinhaltet.

An Wochenenden, an denen am Salzstiegl Trial-Bewerbe stattfinden, kommen Wanderer bewusst vorbei, um sich die Wettkämpfe anzuschauen und mit den Fahrern zu reden.
Foto: Guido Gluschitsch

Außerdem ist das Moasterhaus eine begehrte Unterkunft für Polterer. Gerade sind an die zwanzig junge Damen vor Ort, die den Trail-Fahrern in gewohnter Manier Unnötiges wie Slips und Schnaps anzudrehen versuchen. Doch erst nachdem die alten Motorräder gepflegt, für den Einsatz am nächsten Tag vorbereitet und diebstahlsicher untergebracht waren, hatten die alten Männer, die am liebsten auf ihren alten Motorrädern stehen, ein Ohr und ein Aug für die lustigen Damen.

Manchmal hilft nur mehr ein wenig Akrobatik, um ja keinen Fuß auf den Boden stellen zu müssen.
Foto: Guido Gluschitsch

Wie es ausgegangen ist, kann ich Ihnen aber leider nicht verraten. Als die erste Runde Hochprozentiges herumgereicht wurde, musste ich mich verziehen, um mir Ausrede und engelsgleiche Stimme für den Alfred anzutrainieren, um am Morgen nicht wieder mit der Gori ausreiten und mich vor den Herren, die meine Väter sein könnten, blamieren zu müssen. (Guido Gluschitsch, 18.8.2020)