Ein Meister der Kontraste: Dirigent Riccardo Muti.

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Mit dem Erscheinen Riccardo Mutis in Salzburg nimmt das modifizierte Festspielprogramm kräftig Fahrt auf Richtung eines beinah "normal" dicht gedrängten Konzertwochenendes. Gleich dreimal dirigiert Muti im Großen Festspielhaus die Philharmoniker. Der Jubel war erwartungsgemäß turbulent, nach einer im Grundton doch versöhnlich anmutenden Wiedergabe von Beethovens Neunter Symphonie.

Natürlich lässt der Maestro keinen Aufruhr unausgekostet. Er schwelgt in Gewitterstürmen, Murenabgängen und sonstigen Katastrophen, aus denen aber immer wieder unvermutet Passagen herausblühen, die kein Wässerchen trüben können. Die Neunte ist so ein Ur-Ereignis, bei dem, einmal losgetreten, der Mensch nicht mehr viel mitzureden hat, außer er heißt Muti. Immer wieder gebietet er Stille, gibt etwa ein paar Takte lang einem überirdischen Horn-Solo Raum und lässt alsbald die trügerische Ruhe sich in neue Bedrohung wandeln: Das war enorm spannend, vielgestaltig und eben sehr differenziert.

Verblühenden Modulationen

Der Hexenreigen im zweiten Satz, immer wieder interpunktiert, aber nie irritiert von der Pauke, war ein besonders mitreißender Feger inmitten einer akribischen Lautstärken-Dramaturgie. Die in Richtung Pianissimo verblühenden Modulationen, jede ein Schritt Richtung Hoffnung, wurden so delikat gestaltet, wie sie brutal wieder hinweggefegt wurden. Der heimliche Höhepunkt der Neunten ist das Adagio, das von Muti und den Philharmonikern – allen voran den Holzbläsern und dem Solohorn – als Manifest möglichen Friedens zelebriert wurde.

Auch hier gibt es modulierende Störversuche, die aber wohl beunruhigen, sich aber nicht durchsetzen können. Der ohnehin routinemäßig zu rühmende Sound der philharmonischen Geigen klang, als wäre "die Violine" für die schlichten Figuren der Neunten entwickelt worden.

Großmannssucht und Gewalt

Mit größter innerer Spannung und unzähligen Klangfacetten frappierten die Versuche des Final-Themas, sich gegen Großmannssucht und Gewalt durchzusetzen. Suspense am Rande eines Kriegsschauplatzes. Wenig differenziert und hart im Klang wirkte seltsamerweise der Vokalteil. Das starbesetzte Solistenquartett Asmik Grigorian, Marianne Crebassa, Saimir Pirgu und Gerald Finley sang einfach laut. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor hätte dass subtiler draufgehabt ...

Die Götterfunken "überm Sternenzelt" wirkten eher wie Meteorsplitter. "Freudig wie ein Held zum Siegen" hätten in dieser brutalisierenden Lesart auch ein paar Klonkrieger aufmarschieren können. Dieses ein wenig lautstarke Finale schmälert dennoch nicht die früheren, so bewegenden Eindrücke bei der Neunten. (Heidemarie Klabacher, 17.8.2020)