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Rote Herkunft, grünes Regierungsticket, von türkiser Gunst getragen: Andrea Mayer agiert als Kulturstaatssekretärin in einem bunten Farbspektrum. Bislang ist ihr einiges gelungen.

Foto: Reuters

Es ist im Rückblick vielleicht die bezeichnendste Szene: Am 21. April, auf dem Höhepunkt des Unmuts über unzureichende Corona-Hilfen für die Kulturbranche, stürzte Ulrike Lunacek mit dem Fahrrad. Die grüne Kulturstaatssekretärin, damals erst seit gut drei Monaten im Amt, war als Kultur-Nobody schlecht gestartet und hart gelandet – nicht alles war dabei selbst verschuldet, aber manches.

Daher stand drei Wochen später eine Nachfolgerin bereit. Andrea Mayer übernahm von Lunacek. Die frühere Kultur-Sektionsleiterin und Kabinettschefin des Bundespräsidenten setzt, wie aus ihrem Umfeld zu erfahren ist, lieber auf den Chauffeur – und durchaus gern auf das schickste Vehikel im Fuhrpark.

Es sind auch Stilfragen wie diese, die den ersten Regierungsmitgliedswechsel der türkis-grünen Koalition markieren. Lunacek, von Grünen-Chef Werner Kogler aus parteiinternen Überlegungen in ein ihr fachfremdes Gebiet entführt, wollte das vermeintliche Wohlfühlressort ruhig angehen. "Sie gab anfangs jedem einen Termin, so viele, bis irgendwann der Kalender platzte", sagen Wegbegleiter.

Gutwilligkeit und Unkenntnis

Gutwilligkeit mischte sich mit Unkenntnis, bei Entscheidungen zögerte sie lange, und doch galt sie bei der Beamtenschaft rasch als beliebt, war unvoreingenommen und steckte sich hohe Ziele etwa bei Fair Pay. Ohne Corona, meinen einige, hätte daraus etwas werden können. "Sowohl die ÖVP als auch Kogler, der sicherlich selbst überfordert war, haben sie aber hängenlassen", sagt Johannes Stöckler.

Der freie Musiker und frühere grüne Fraktionschef in Wien-Hietzing zählte sich bis vor kurzem zur Basis der Grünen. Aus Ärger über das kulturpolitische Versagen ist er aus der Partei ausgetreten und hat die Interessenvertretung IG Freie Musikschaffende mitgegründet.

Zornig wird er noch heute, wenn die Sprache auf eine missglückte Pressekonferenz Lunaceks und Koglers kommt, in der mehr Verwirrung gestiftet als Lösungen präsentiert wurden. "Kogler hat von Trainings statt Proben gesprochen, Lunacek von Jazzbands als Amateurmusikern. Wenn du bei der Kommunikation solche Fehler machst, dann nützen die Türkisen das eiskalt aus."

Er, Stöckler, habe wie viele andere davor gewarnt, zur fachfremden Lunacek auch noch eine fachfremde Pressechefin einzusetzen. Mittlerweile haben die Grünen gelernt und Mayer einen zweiten Pressesprecher mit kulturjournalistischem Hintergrund zur Seite gestellt.

Dass das Ministerium angesichts von Corona nicht unverzüglich mit mehr Personal ausgestattet wurde, um den Berg an Arbeit zu bewältigen, halten Insider überhaupt für den größten Fehler. "Sparen am falschen Fleck zur falschen Zeit", heißt es.

Mayer agiert zielgerichtet

Andrea Mayer war für die Grünen ein unbeschriebenes Blatt. Aus der SPÖ-nahen Beamtenschaft kommend, soll bei ihrer Inthronisierung hinter den Kulissen unter anderem der langjährige rote Kulturminister Rudolf Scholten mitgeholfen haben – nicht böswillig, galt dieser doch auch als Vertrauter von Ulrike Lunacek, sondern eher aus Besorgnis über den Zustand der Kulturnation.

Und tatsächlich scheint Mayer nun mitzubringen, was Lunacek fehlte: Kenntnis der Szene, Klarheit in der Entscheidungsfindung, mitunter mehr Strenge mit den eigenen Mitarbeitern – was freilich nicht bei jedem Freude über den Chefinnenwechsel ausgelöst haben soll.

An der grünen Basis wurde Mayer rasch nachgesagt, sie schaue als rote Kulturpolitikerin klassischen Zuschnitts zu sehr auf die großen hoch subventionierten Staatskulturbetriebe und zu wenig auf die kleinteilige freie Szene – real ist davon aber noch nicht viel zu sehen. Termine, weiß Mayer, kann man als Kulturpolitikerin nicht jedem geben. Sie spricht sehr wohl mit der Szene, aber zielgerichteter.

Hilfstöpfe noch gut gefüllt

Bei den Corona-Maßnahmen ging es nach dem Wechsel im Staatssekretariat plötzlich Schlag auf Schlag. Beobachter sind sich einig, dass das aber weniger an Mayer denn an der Erkenntnis der treibenden Kräfte der Regierung lag, dass bei einer Branche, die mehr Wertschöpfung als die Landwirtschaft generiert, Feuer am Dach war.

Über den für Künstler kaum praktikablen Härtefallfonds wurde der Mantel des Schweigens gebreitet, ein maßgeschneiderter Überbrückungsfinanzierungsfonds für selbstständige Kulturschaffende bei der Sozialversicherung scheint unbürokratisch zu funktionieren. Seit Juli erhalten Bedürftige 6.000 Euro als Einmalzahlung, Ironie der Geschichte: Der Andrang hält sich bislang in Grenzen. 19,5 Millionen Euro wurden an knapp 4.000 Antragsteller ausgezahlt, wobei 15.000 anspruchsberechtigt wären und 90 Millionen zur Verfügung stünden.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bislang auch beim NPO-Fonds für gemeinnützige Vereine: Für den 600-Millionen-Euro-Topf wurden bislang 774 Anträge aus der Kultur über eine Gesamtsumme von zehn Millionen Euro registriert, 7,2 Millionen davon wurden bereits zugesagt – auch hier wäre noch Luft nach oben. Bei den Öffnungsmaßnahmen für Kulturveranstaltungen wurde ein zumindest bis Ende September gültiger Plan vorgelegt, den die Szene wohlwollend angenommen hat: Theater und Kinos spielen wieder – wenn auch unter schmerzlichen Einbußen, Museen haben geöffnet und vermissen einnahmenseitig allenfalls die Touristenmassen.

Späte Hilfe für Clubkultur

Konzertveranstalter trifft es am schwersten, sie backen entweder kleinere Brötchen oder bauen auf eine bereits ermöglichte Gutschein-Ticketlösung. Clubs mussten am längsten zittern – erst nach Protesten sagte unlängst Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) einen hundertprozentigen Fixkostenersatz zu.

Mayer verbuchte das als Erfolg für sich. Bezüglich möglicher Lockerungen für Veranstaltungen mit Stehplätzen und damit auch für die Clubkultur werde "die epidemiologische Lage laufend vom Gesundheitsministerium evaluiert. Diese Evaluierung fließt auch in die Feinabstimmung der Corona-Ampel mit ein", sagt sie auf Anfrage.

Dass die Corona-Ampel bedeuten könnte, dass ein Theater im grünen Ampelstadium 400 Tickets verkauft, die es dann, wenn die Ampel auf Rot umspringt, möglicherweise nicht besetzen darf, ist Mayer als Problem bewusst. Immerhin gebe es "ressortübergreifende Überlegungen über eine Ausfallhaftung".

Die wünschen sich nicht nur alle Veranstalter, auch die Opposition fordert mit Blick auf den schwierigen Herbst klare Ansagen. SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda, der mit Andrea Mayer gute Erfahrungen gemacht hat, ortet vor allem bei der ÖVP eine "Geringschätzung" der Kultur. Zuletzt forderte Drozda, dass Mittel aus einem nicht ausgeschöpften Tourismusfonds auch Kulturbetrieben zugutekommen sollen, die jetzt hunderttausende Euro in Corona-Schutzmaßnahmen investieren.

Fair Pay auch nach Corona Thema

Neos-Kultursprecher Sepp Schellhorn schlägt in dieselbe Kerbe: Mayer sei kompetent und gut vernetzt in der Branche, sie werde aber "ohne den Willen der ÖVP und Teilen der Grünen, die von Kultur nichts verstehen, nichts machen können". Der Salzburger Hotelier freut sich jedenfalls, dass die Salzburger Festspiele "sich getraut haben, das durchzuziehen". Schellhorn hofft, dass die Festspiele für die gesamte Branche einen Weg vorzeigen, wie man trotz Corona veranstalten kann.

Yvonne Gimpel, die für den Dachverband der freien Szene IG Kultur spricht, hofft, dass Mayer über das unmittelbare Corona-Krisenmanagement hinausdenkt: "Von Fair Pay, also MindestStandards der Entlohnung, wie sie etwa durch Kollektivverträge für weite Teile der Berufstätigen selbstverständlich sind, und einem Sozialsystem, das tatsächlich greift, sind wir im Kultursektor weit entfernt. Das ist mit ein Grund, warum Corona den Sektor so gravierend getroffen hat." (Stefan Weiss, 17.8.2020)