Die Schule ist das Funktionssystem, um das herum letztlich alle anderen organisiert sind bzw. werden müssen

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Noch drei Wochen, dann geht in den drei östlichen Bundesländern die Schule wieder los, eine Woche später sind dann in ganz Österreich die Schülerinnen und Schüler wieder dort, wo sie hingehören: in der Schule.

Es wird eines der wichtigsten Schuljahre überhaupt, weil es das erste ist, in dem wir bewusst mit der Corona-Pandemie leben müssen. Es ist nicht die oft beschworene "neue Normalität", denn "normal" ist die Lage beileibe nicht. Es ist schlicht und ergreifend die neue Realität, mit der wir es auf nicht absehbare Zeit zu tun haben. Aha. Ja, mit diesen drei Buchstaben fasst man in Deutschland kompakt zusammen, was diese Realität bedeutet: Abstand, Hygiene, Alltagsmaske. Das sind quasi die Trivialitäten des pandemischen Alltags, auch in der Schule. Im Kern jedoch geht es um viel grundlegendere Fragen.

Nicht nur, dass sich jede und jeder Einzelne auf diese veränderte Realität einstellen muss – es müssen alle gesellschaftlichen Subsysteme neu austariert werden. Corona stellt alles auf den Prüfstand. Das Wirtschafts- und Arbeitssystem, unsere Konsum- und Freizeitgewohnheiten, aber auch die Geschlechterrollen und soziale Strukturen. Alles steht zur Disposition. Das ist eine enorme Herausforderung, individuell, sozial, vor allem aber auch ökonomisch und politisch. Der Schule kommt in dem Zusammenhang eine existenzielle Rolle zu.

Die Corona-Pandemie hat nämlich deutlich gemacht: Die Schule ist das systemrelevante Zentrum der Gesellschaft. Sie ist das Funktionssystem, um das herum letztlich alle anderen organisiert sind bzw. werden müssen. Es ist wie beim Domino: Wenn die Schule umfällt, dann fallen nicht nur die Kinder um die Schule um, dann kippen, das hat sich im Lockdown gezeigt, zuerst wieder mal die Frauen aus dem Arbeitsmarkt, weil sie noch immer die Ersten sind, die "einspringen" müssen, wenn die außerhäusliche Betreuung (ja, auch das ist eine wichtige Funktion von Schule) ausfällt, und Gratis-Lehrerinnen für das Homeschooling gebraucht werden. Das war der Boden, auf dem die Restauration alter Geschlechterrollen in vielen Familien – so lautlos wie sich das Coronavirus breitmacht – vonstattenging, auch wenn beide Elternteile berufstätig waren, ob draußen oder im Homeoffice.

Es ist also höchst an der Zeit, die politische Energie, die zur Pandemiebewältigung in andere Bereiche gesteckt wurde, die unbestritten gut funktioniert haben (etwa Kurzarbeit), nun in den Bildungsbereich zu stecken. Schulen und Kindergärten sind der archimedische Punkt der Corona-Maßnahmen, der Angelpunkt, von dem aus man die Welt anheben kann. Stillstand ist keine Option, auch nicht, wenn die Corona-Ampel auf Rot springen sollte. Der Verlust von Bildung und Chancen durch Schulentfall ist nämlich ein enormes, sozial zudem extrem ungleiches (Lebens-)Risiko, dem die aktuelle Kindergeneration nicht länger ausgesetzt werden darf. Wir werden sie nicht zuletzt als gut ausgebildete Arbeitskräfte brauchen, wenn es gilt, die Flurschäden, die jetzt akut und zu Recht mit viel Geld aufgefangen werden, langfristig und nachhaltig zu sanieren.

Wir befinden uns in einer Schwellenzeit. Covid-19 ist eine historische Zäsur. Es wird davor und danach geben. Noch stecken wir mittendrin. Was kommt, ist ungewiss. Das aushalten und damit konstruktiv umgehen zu lernen ist eine Kernaufgabe von Schule. Darum darf die Pausetaste nicht mehr gedrückt werden. (Lisa Nimmervoll, 17.8.2020)