Am Wochenende telefonierte Lukaschenko gleich zweimal mit Putin.

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Im Osten Europas dräut höchste Gefahr: Bei dem Versuch, sich mittels gefälschter Wahlen seine sechste Amtszeit zu sichern, ist Alexander Lukaschenko, der Langzeitpräsident von Belarus, krachend gescheitert. Die Bürger nehmen ihm seine angeblichen 80 Prozent Zustimmung nicht ab. Also versucht es Lukaschenko nun mit dem altbewährten Trick, die Großmächte in Ost und West gegeneinander auszuspielen und eine Bedrohung aus dem Ausland zu simulieren. Dieses Spiel mit dem Feuer kann fatale Konsequenzen haben – für die Unabhängigkeit von Belarus und für die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent überhaupt.

Vor der Wahl noch war Wladimir Putin der Böse in den belarussischen Staatsmedien. 33 russische Söldner hatte der belarussische Geheimdienst auf dem Höhepunkt der Wahlkampagne bei Minsk festgenommen, damit sich Lukaschenko als Retter der Nation präsentieren konnte. Nach der Abstimmung jedoch scheint der Kreml die letzte Festung Lukaschenkos zu sein. Am Wochenende telefonierte er gleich zweimal mit Putin, um anschließend mitzuteilen, dass Moskau ihm jede Art der Unterstützung in sicherheitspolitischen Fragen zugesichert habe. Denn: Die Demonstrationen in Minsk seien von Tschechien, Polen und Litauen gesteuert und "sind nicht nur eine Bedrohung für Belarus", so Lukaschenko.

Die Unzufriedenheit seines Volkes auf angebliche Strippenzieher in Prag, Warschau oder Vilnius zu schieben, ist Quatsch. Doch recht hat Lukaschenko damit, dass sein durch Wahlmanipulation provozierter Sturz auch Putin in Bedrängnis bringen würde. Hat doch der Kremlchef gerade erst durch ein ähnlich dubioses Manöver – eine über mehrere Tage gezogene, praktisch unkontrollierte Verfassungsabstimmung – sein Mandat potenziell bis 2036 verlängern lassen. Sollte Lukaschenko stürzen, wäre dies also ein Präzedenzfall sondergleichen. Denn Belarus ist mehr als eine ehemalige Ex-Sowjetrepublik, es ist der engste Partner Russlands.

Putin sitzt damit in einer Zwickmühle: Einerseits will er sichergehen, dass die Aktionen in Belarus im eigenen Land keine Schule machen. Andererseits kann sich Putin bei der Entsendung grüner Männchen keineswegs sicher sein, vom Großteil der Bevölkerung mit ähnlich offenen Armen empfangen zu werden wie auf der Krim. Die Stimmung in Minsk ist nicht antirussisch – die Probleme Lukaschenkos sind hausgemacht –, doch ein Eingreifen Putins auf dessen Seite würden ihm die Belarussen nicht verzeihen. Auch die Unterstützung im eigenen Land für einen solchen Schritt ist weit geringer als im Konflikt mit der Ukraine.

Hoffentlich sind Berichte über ungekennzeichnete Militärkolonnen Richtung Grenze daher nichts weiter als Panikmache. Denn ein russisches Eingreifen im Nachbarland – verdeckt oder offen – würde die ohnehin bestehenden Spannungen auf dem europäischen Kontinent in eine neue Dimension steigern. Eine neue Sanktionsrunde oder – schlimmer gar – ein militärisches Kräftemessen braucht niemand. (André Ballin, 17.8.2020)