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Sicherheitsexperten hatten die libanesische Regierung und Präsident Michel Aoun bereits im Juli vor den verheerenden Folgen einer Explosion im Hafen von Beirut gewarnt.

Foto: Reuters/AZIZ TAHER

Beirut – Nach der massiven Explosion in Beirut hat ein Richter einen Haftbefehl gegen den Zollchef des Hafens erlassen. Der Richter habe Badri Daher viereinhalb Stunden befragt, ehe er seine Verhaftung anordnete, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur NNA am Montag. Insgesamt mehr als 16 Personen seien im Zuge der Ermittlungen zu der Katastrophe bisher festgenommen worden, hieß es aus Justizkreisen.

Zollchef Daher, sein Vorgänger Schafik Marhi sowie Hafendirektor Hassan Kuraitim waren bereits am 7. August unter Hausarrest gestellt worden. Zuvor hatten sich Daher und Koraytem gegenseitig die Verantwortung für die Aufbewahrung des tonnenweise in Hafenspeichern gelagerte Ammoniumnitrat zugeschoben. Koraytem sollte noch am Montag vor dem Richter erscheinen.

Bereits im November 2019 hatte die libanesische Finanzstaatsanwaltschaft Anklage gegen Daher erhoben – wegen dem Vorwurf der Verschwendung öffentlicher Gelder. Der Anklagetext war für die Öffentlichkeit nicht einsehbar, allerdings hatten Investigativjournalisten des Senders "Al-Jadeed" kurz davor Dokumente und Tonaufnahmen veröffentlicht, die nach ihren Angaben korrupte Vorgänge im Hafen nachweisen.

Dreiteilige Untersuchung

Der soeben erlassene Haftbefehl gegen Daher dürfte die Wut der Bevölkerung im Libanon nicht beruhigen: Viele Libanesen machen für die Explosion die gesamte politische Führung verantwortlich, der sie Korruption, Misswirtschaft und Nachlässigkeit vorwerfen. Tausende zogen in den vergangenen Tagen zu Protesten auf die Straße, die teils in Gewalt und Chaos umschlugen. Sie fordern eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion, schließlich sei die Besetzung der Spitzenämter im Hafen eine politische Angelegenheit. Zudem zeigen Dokumente, dass Sicherheitsexperten die libanesische Regierung und Präsident Michel Aoun bereits im Juli vor den verheerenden Folgen einer Explosion im Hafen von Beirut gewarnt haben.

Aoun sagte, die Untersuchung der verheerenden Explosion sei "sehr komplex" und könne nicht schnell abgeschlossen werden. Die Ermittlungen seien in drei Teile unterteilt worden. Einerseits gelte es den Eigentümer des Materials auszumachen, zweitens wolle man herausfinden, woher die Ladung stammt und wer sie versendet hat, und auch, wer für die Handhabung und Sicherung des Materials verantwortlich war.

Ausnahmezustand

Die verheerende Explosion am 4. August mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten soll durch große Mengen Ammoniumnitrat verursacht worden sein. Diese waren nach Regierungsangaben über Jahre ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen gelagert worden. 300.000 Menschen wurden obdachlos, 30 Menschen gelten weiterhin als vermisst, und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt.

Die am vergangenen Montag zurückgetretene Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab hatte direkt nach der Explosion den Ausnahmezustand beschlossen. Dieser wurde von dem libanesische Parlament bestätigt. Dadurch erhält die Armee zusätzliche Befugnisse.

Demonstranten befürchten, dass der Ausnahmezustand darauf abzielt, ihre Proteste gegen die Regierung im Libanon zu unterdrücken. "Durch diese Entscheidung kann die Armee in zivile Häuser eindringen und jeden festnehmen, von dem sie glauben, dass er gegen das verstößt, was sie als nationale Sicherheit bezeichnen", sagte die Aktivistin Lina Bubis der Deutschen Presse-Agentur. (fmo, APA, 17.8.2020)