Geht's ums Bestellen der Golatsche, hilft kein gesammeltes Wienerisch-Wissen.

Foto: Regine Hendrich

Das "T" macht mich fertig. Wenn ich in Wien die Bestellung "Eine Topfengolatsche, bitte" aufgebe, kann ich meine Herkunft nicht verleugnen. Ich bin ein Piefke, unüberhörbar. Schuld daran ist das hart ausgesprochene "T". Umgehe ich das Problem und ordere eine Quarktasche, kann ich mit noch mehr Unverständnis rechnen. Hochgezogene Augenbraue, verächtlicher Blick über die Budel, ungeduldiges Wedeln mit der Gebäckzange: "Wos wollen S'?" "Einen Apfelstrudel, bitte", gebe ich mich viel zu oft geschlagen. Später ärgere ich mich über meine Mutlosigkeit.

Noch immer werde ich wie eine gemeine Wochenendtouristin aus Hamburg behandelt. Als ob ich jemals im Kaffeehaus ein "Käffchen" bestellt hätte. Das würde ich niemals tun, ich lebe ja hier! Erklärungen für meine mangelnde sprachliche Integration habe ich nicht. In Wien komme ich erstaunlich selten mit Deutschen in Kontakt. Dass ich einmal (und nie wieder) einen "Piefke-Stammtisch" besucht habe, ist mir heute noch peinlich. Vielleicht werde ich aber einfach zu oft daran gehindert, an meiner Aussprache zu arbeiten. Aus Rücksicht schalten nämlich viele meiner Gesprächspartner auf Bundesdeutsch um. Das fühlt sich jedes Mal nach einer Niederlage an. Ähnlich deprimierend: Meine Redaktionskollegen entfernen noch immer verräterische Formulierungen aus meinen Texten. "Piefkinesisch" hat beim STANDARD kaum eine Chance.

Wienerisch lernen als Piefke

Kann ich mir das Wienerische erarbeiten? Um diese Frage beantworten zu können, wollte ich mich in die Hände von Profis begeben. Ich melde mich bei einem "Wienerisch"-Kurs an. Und so sitze ich dann an einem Montagabend in der Sprachschule Dialog Wien – Der Sprachcampus, mit Blick auf die "Mahü" (Disclaimer für alle Nichtwiener: Mariahilfer Straße). Seit vier Jahren werden hier Wiener-Dialekt-Workshops angeboten. Nicht so oft wie klassische Deutschkurse, aber immerhin rund 18 Mal im Jahr. Das Angebot sei entstanden, weil die Schüler nach dem Deutschkurs auf der Straße noch immer nur Bahnhof verstanden, erklärt Geschäftsführer Michael Englberger, selber ein Zugezogener aus Bayern. Nachvollziehbar, denke ich mir. Weil es kein Lehrmaterial gibt, hat Michael Wiktora, ein gebürtiger Wiener, den Kurs entwickelt. Alles andere wäre wohl unglaubwürdig gewesen.

Von "Semmal" bis "Sackerl": Wer in der Bundeshauptstadt Verständnisprobleme hat, kann bei Dialog Wien – Der Sprachcampus Wienerisch-Nachhilfe bekommen.
Foto: Regine Hendrich

Wer den Workshop besucht, beherrscht in der Regel Deutsch auf dem Niveau B1. Um mich herum sitzen entsprechend erfahrene Sprachschüler: der gebürtige Argentinier Guillermo, der Franzose Antoine und Abd El Rahman aus Syrien. Ich bin der einzige Piefke im Raum. Wir versuchen uns in der Übersetzung von Alltagsdialogen. Am Würstlstand heißt’s zum Beispiel so: "A Semmal konnst hob’n oda a Brot." Oder: "Mogst no wos trinkn a?" Sehr schnell merke ich: Wenn es darum geht, das nasale "a" oder das dunkle "å" nachzusprechen, habe ich als deutsche Muttersprachlerin gegenüber den Kollegen aus dem Kurs kaum Vorteile.

Granteln mit System

Die nächste Erkenntnis folgt auf dem Fuß: Das Granteln und Schmähführen hat System. Oder anders gesagt: Es gibt tatsächlich Regeln, denen das Wienerische folgt. Wiktora hat sie aufgeschlüsselt und mit Folienstift an die Tafel geschrieben. "ie" wird zu "ü", "ei" zu "ó", eigentlich deppensicher, das Wienerische, wenn man diese Regeln beherzigt. Es folgen schunkelige Videos der Neo-Austropopper Seiler und Speer – für uns zum Glück mit Untertiteln. "Letzte Nocht woa a schware Partie fia mi, I kau mi ned erinnern, wos gestan woa": Guillermo, Antoine und Abd El Rahman stehen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben: Was wollen die uns bloß sagen?

Seiler und Speer sorgen für Fragezeichen.
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Für mich wiederum ist das so neu nicht. Mein Freund ist ein gebürtiger Wiener, er hat sich alle Mühe gegeben, den interkulturellen Dialog anzustoßen und mich auf die Hauptstadt vorzubereiten. Immerhin kenne ich den Herrn Karl und den Mundl, verstehe den österreichischen Tatort ohne Untertitel, selbst Sänger Voodoo Jürgens kann ich folgen, wenn er auf FM4 "I spü mit System, schreib ma immer ollas auf" singt. Die Autorin Stefanie Sargnagel schätze ich, die Mitbürgerin mit Migrationshintergrund, als moderne Übersetzerin von Wiener Befindlichkeiten.

An eine der ersten Belehrungen meines Freundes erinnere ich mich gut: "Wenn du Wien überlebst, dann schaffst du’s überall." Mittlerweile glaube ich zu wissen, was er meint. Ich habe gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, nicht jedes Kompliment für bare Münze zu nehmen und nicht jedes "Passt scho" abzutun. Oft ertappe ich mich bei dem Gedanken: "Ich bin doch längst eine von euch!" Bis ich wieder deppert an der Budel stehe. Da helfen mir weder mein gesammeltes Wissen noch meine Schlaumeierei weiter: Die Bestellungen, sie klingen unbeholfen.

Ehrlicherweise geht es uns Teilnehmern am Ende des Workshops noch immer so. Eh klar, in eineinhalb Stunden lässt sich keine Sprache lernen. Muss ja auch nicht sein. Viel spannender bleibt sowieso, wie die Zugezogenen das Wienerische adaptieren und verändern. Auch wenn der Mundl darob wohl vom Glauben abfallen würde. (Anne Feldkamp, 18.8.2020)