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Wenn der Nachwuchs nachts stündlich aufwacht und weint, zerrt das massiv an den elterlichen Kräften. Doch genau dann brauchen Kinder Nähe und Geborgenheit.

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Frage:

"Mein Mann und ich sind ziemlich am Ende. Unsere Tochter ist zwei Jahre alt, und seit sie auf der Welt ist, haben wir keine Nacht durchgeschlafen. Sie wird nachts wach und kreischt, als gäbe es kein Morgen mehr, so als würde man sie aufspießen (keine Übertreibung, Wortlaut eines Nachbars). Früher habe ich gedacht, es sind die Zähne, mittlerweile habe ich diese Annahme verworfen (bis auf die letzten vier sind alle da).

Unsere Tochter schreit zu unterschiedlichen Uhrzeiten und beruhigt sich sehr schwer. Natürlich dachte ich auch an Albträume, aber selbst wenn der Tag sehr reizarm gestaltet ist, bekommt sie ihren Kreischanfall.

Nach dem Abendritual braucht sie über eine Stunde, bis sie einschläft, und es muss immer jemand von uns dabei sein. Wenn nicht, steht sie einfach vom Bett auf und kommt aus dem Zimmer heraus.

Nun haben wir auch noch einen zehn Monate alten Jungen. Was habe ich während der Schwangerschaft gebetet, möge wenigstens er schlafen. Alles schien gut zu sein. Er schlief sechs Stunden am Stück. Aber mittlerweile wird auch er stündlich wach. Also holen wir ihn ins Elternbett, damit er zumindest weniger oft aufwacht.

Ich verstehe nicht, was wir falsch machen: Wir haben feste Rituale, die Tage sind sehr oft gleich strukturiert, und es gibt ein festes Abendritual. Ich mache mir oft Vorwürfe und suche nach einer Ursache. Medizinisch ist so weit alles okay, und dass selbst mein Sohn anfängt, lässt uns so langsam an uns zweifeln. Mittlerweile mache ich sogar das Stillen dafür verantwortlich.

Einmal haben wir unsere Tochter in Begleitung schreien lassen (qualvolle drei Stunden), dann war es mal eine Nacht gut, bei der nächsten zog selbst das nicht mehr.

Mein Mann und ich streiten uns oft nachts, weil wir zum einen mit den Kräften am Ende sind, aber auch, weil wir uns nicht mehr einig sind. Mein Mann sagt, beide ins eigene Bett und schreien lassen. Wäre das wirklich eine Option? Und wie oft muss man das machen? Tagsüber sind es die tollsten Kinder. Mal abgesehen vom Thema Schlafen."


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Die Sache mit dem Schlaf ist eine der häufigsten Fragen, die Eltern mir in meiner Praxis oder bei Vorträgen stellen. Wie so oft hängt die Antwort dazu von den individuellen Umständen ab, die es zu berücksichtigen gilt. Schlaf und Stresshaushalt stehen in enger Verbindung. Wenn Kinder Probleme haben einzuschlafen, sollte daher der erste Blick auf mögliche Stressfaktoren gerichtet werden. Gibt es irgendwelche Veränderungen, Konflikte oder andere Belastungen? Wie diese verarbeitet werden können, hängt bereits bei Kindern entscheidend von ihren in ihrer Psyche gespeicherten früheren Erfahrungen ab.

Beim Einschlafen schaltet die Psyche in einen Ruhemodus. Die bewussten Funktionen werden heruntergefahren. Unbewusste Prozesse übernehmen, die stark geprägt sind von frühen Erlebnissen aus der Zeit, in der der Aufbau der Psyche begann. Gab es in den ersten Lebenswochen und -monaten Sicherheit und Geborgenheit, geht das Einschlafen in der Regel wie von selbst. Solche Menschen können auch als Erwachsene überall und jederzeit in jeder Umgebung und Lage ihren Schlaf finden. Bei Kindern sind die frühen Erfahrungen noch stärker präsent als bei Erwachsenen. Zum einen liegen sie zeitlich noch nicht so lange zurück – und zum anderen haben sie viel weniger Möglichkeiten, mit Belastungen aus der Vergangenheit umzugehen.

Bei einem Kind, das Schlafprobleme bekommt und bei dem keine aktuellen Belastungen zu erkennen sind, kann es also durchaus sein, dass beim Einschlafen unbewusste Erinnerungen an frühere Belastungen hochgespült werden. Was auch immer in den ersten Lebenstagen oder -wochen, ja selbst bei der Geburt und davor erlebt worden sein mag, kann Kindern den Schlaf rauben. Vor allem Geburtskomplikationen, frühe Trennungen, etwa durch Krankenhausaufenthalte, oder selbst der gut gemeinte Versuch, Säuglingen durch Weglegen das Schlafen "beizubringen", können zu Schlafstörungen führen.

Der frühe Beginn, die Heftigkeit und Dauer der Schlafstörung und die Erfolglosigkeit all Ihrer bisherigen Versuche sprechen dafür, dass bei Ihrer Tochter im Schlafen solche frühen Erfahrungen hochkommen. Und die Unruhe und der Stress, die dadurch in der Familie entstehen, scheinen ihren kleinen Bruder regelrecht "angesteckt" zu haben. Außerdem ist der Schlafprotest der Tochter inzwischen mit ihrer Trotzphase zusammengefallen, was die Sache weiter verkompliziert. Wenngleich sich das Schlafproblem im Protest Ihrer Tochter äußert, dürfte das zugrundeliegende Gefühl aber eine tiefe unklare Angst sein. Also sollten Sie versuchen, Ihrem Kind dabei zu helfen, seine Angst zu überwinden. Dazu hilft in jungen Jahren vor allem körperliche Nähe. Auch wenn es Ihnen als Eltern schwerfällt und die Geduld am Ende ist, bedeutet das, dass Ihr Kind beim Einschlafen körperliche Nähe braucht und wohl auch noch eine ganze Zeit lang nachts zu Ihnen ins Bett krabbeln wird. Sobald es möglich ist, sollten Sie dann mit Ihrer Tochter über ihre Angst reden, sie in den Arm nehmen und trösten, ihr Nähe geben und so Ihre Gefühle mit ihr teilen.

Wenn sich das Ganze beruhigt hat, kann eine kleine Lampe im Zimmer die Angst lindern helfen oder auch eine leicht geöffnete Tür. Wenn sie immer wieder ins elterliche Bett krabbelt, kann eine Matratze neben dem Elternbett oder ein Beistellbett helfen. Sofern Sie sie nach dem Einschlafen in ihr eigenes Bett zurücktragen, sollten Sie ihr das vorher erklären, damit sie sich auskennt. (Hans-Otto Thomashoff, 1.9.2020)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

Bitte lassen Sie die Kinder nicht schreien, auch nicht "in Begleitung". So kleine Kinder haben wenig Möglichkeiten, sich bemerkbar zu machen und auszudrücken. Man unterscheidet Nah- und Fernsignale, die dann gesetzt werden, wenn ein Kind instinktiv nach Schutz, Kontakt, Nähe und Sicherheit sucht in der Nacht. In der Nähe klappt das über Geruch, Berührung, Herzschlag, den das Kind zur Besicherung sucht, dass jemand da ist. Es ist vollkommen abhängig davon, dass jemand sich kümmert. Wenn über Nahsignale keine Bestätigung kommt, muss das Kind zu Fernsignalen greifen, und das ist vor allem Schreien. Irgendetwas stimmt nicht, passt nicht, fehlt.

Kleine Kinder können gar nicht berechnend sein oder ihre Eltern bewusst provozieren. Es gibt immer einen Grund, auch wenn Sie ihn nicht erkennen können. Das Kind kann es nicht ausdrücken und vielleicht sogar nicht einmal selbst verstehen. Deshalb ist es wichtig, trotzdem liebevoll da zu sein, beruhigend einzuwirken mit sanfter Stimme, zärtlichen Berührungen, schützenden Gesten und so weiter, auch wenn es für Sie – nachvollziehbar – sehr anstrengend ist.

Beim Schreienlassen lernt das Kind nur, dass es alleingelassen wird, auf sich gestellt ist und resigniert irgendwann, hört also auf zu schreien oder schläft vor Erschöpfung ein. Für die sichere Bindung zu den Eltern ist das schädlich.

Wenn Sie sagen, medizinisch wurde alles abgeklärt, hoffe ich, dass auch der sogenannte "Nachtschreck" angesprochen wurde. Das sind keine Albträume, sondern, vermutet man, hirnphysiologische Übergangsschwierigkeiten zwischen den Schlafphasen. Es ist ungefährlich, sofern keine Verletzungen durchs Herumschlagen passieren. Das Kind erinnert sich am nächsten Tag nicht daran. Dennoch ist auch hier Ihre eigene Ruhe gefordert, damit Sie kalmierend einwirken und auf das Kind aufpassen können. Einige meiner Klientinnen und Klienten berichteten diesbezüglich von guten Erfahrungen mit Craniosacral-Therapie.

Rein praktisch empfehle ich Ihnen und Ihrem Mann, sich Ihre Kräfte gut einzuteilen, sich abzuwechseln, dem jeweils anderen Regeneration zu ermöglichen, um Kraft zu tanken. Sprechen Sie sich gut ab, und begreifen Sie diese Situation als Teamaufgabe, die es zu bewältigen gilt.

Die Kinder werden größer, irgendwann wird es besser. Bis dahin gilt es durchzuhalten. Schuldzuweisungen und Machtspiele belasten die Beziehung nur zusätzlich, deshalb sehen Sie eher die "Not", die Sie vereint. Selbstzweifel bringen Sie nicht weiter, und Paarkonflikte verstärken höchstens Unsicherheitsgefühle seitens der Kinder, was den Teufelskreis in Gang hielte. Da ist es besser, die Dynamik zu durchbrechen und die Paarbeziehung zu stärken – sie ist die Basis der Familie und wirkt als solches in alle Bereiche, auch in die Schlafthematik der Kinder.

Wenn Kinder (ohne Nachtschreck) sich sicher fühlen und darauf vertrauen können, dass wenn sie sich abends ins Traumland verabschieden, am nächsten Morgen (immer noch) alles gut ist, klappt es auch mit dem Abendritual, Einschlafen und Durchschlafen besser, weil das Sicherheitsbedürfnis befriedigt ist.

Wenn das alles nicht hilft, würde ich mir, aus systemischer Sicht, in der Individualberatung eventuell auch noch ansehen, wo die Angst innerhalb der (Groß-)Familie den Ursprung hat. (Linda Syllaba, 1.9.2020)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Auch individuelles Online-Coaching ist möglich. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography