Geschwister sind eben so: Manchmal versetzen sie einem einen Tiefschlag, ohne es zu wollen. Da reicht mitunter schon ein einziges Wort.

Meine Schwester etwa schaffte das vergangene Woche mit links: Ich sei wohl "altersweise" geworden, schrieb sie. Sie meinte das gar nicht entschuldigend, sondern anerkennend. Und auch wenn ich natürlich verstand, was sie da sagen wollte, traf mich das doppelt und hart: "Altersweise" klingt nach Unvermögen. Nach einer beschönigenden Ausrede dafür, etwas nicht mehr zu können. Nach den ganz bestimmt sauren Trauben in den oberen Lagen.

Foto: thomas rottenberg

"Altersweise" klingt – und das macht es schlimm – danach, dass man demjenigen, dem man es zuschreibt, nicht zutraut, mit der Wahrheit umgehen zu können: "Altersweisheit" attestierte mir meine Schwester, weil ich an einem der heißesten Tage des Jahres statt geplanter 25 nur elf Kilometer gelaufen war. Das sei weise, weil Laufen bei Hitze ungesund sei. Sein müsse. Und weil ich es jahrelang anders (also in ihren Augen unvernünftig) gehalten hatte, käme nun eben der Umkehrschluss: Sie erkenne Spurenelemente von Vernunft … und so weiter.

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Tatsächlich hatte ich einfach keine Lust gehabt. War zuerst nicht und nicht vom Sofa hoch, von daheim weggekommen. Und dann nicht mit schweren Beinen, sondern schwerem Kopf, schwerem Gemüt und auch schweren Herzens losgetrabt. Langsam und lustlos. Weil es halt im Trainingsplan steht und ich das dann irgendwie als "Pflicht", als Hausaufgabe ansehe. (Nein, darüber, dass das ein bissi seltsam ist, brauchen wir jetzt nicht zu diskutieren.) Manchmal – eigentlich fast immer – kommt die Freude am Laufen, an der Bewegung, dann mit der Bewegung. Aber eben nicht immer.

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Solche Momente, solche Tage, solche Läufe gibt es. Das muss man dann einfach akzeptieren. Und auch wenn es heiß ist, mit der Hitze, der Schwüle, der Luft aus zähflüssigem Blei hat das nicht zwingend etwas zu tun.

Wenn es nicht sein soll, dann soll es eben nicht sein – da ändert dann auch die schönste Route mit den schönsten Sonnenuntergangsbildern, vorbei an glücklichen und fröhlichen SonnenuntergangsgenießerInnen nichts. Dann sagt der Kopf irgendwann – meistens in U-Bahn- oder sonstiger Öffi-Nähe –, dass es jetzt genug ist. Dass man fertig hat. Es gut sein lassen soll: Dann sind es eben elf gemächliche und nicht 25 zügige Kilometer. Na und?

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Ganz blöd ist ja weder meine Schwester, noch sind es all die Leute, die sich an die Stirn tippen, wenn sie abends bei immer noch über 30 Grad am Steg chillen und einer vorbeirennt – auch wenn ich natürlich vorgesorgt hatte: Die langsame Pace war der Hitze ebenso geschuldet wie der Trailrucksack mit den Wasser-Flasks (also Soft-Flaschen).

Wien hat zwar ein tolles Trinkbrunnen-Netz – aber wenn es wirklich schwül ist (oder ich nicht vielleicht auch im immer kühleren Wald unterwegs sein werde), habe ich gern mehr als pures H2O dabei: irgendwas mit Mineralien. Oder was Isotonisches. Ein bisserl Salz. Außerdem passt dann auch noch die Schwimmbrille ins Marschgepäck.

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Denn wenn mich Laufen eines gelehrt hat, ist es, Schwimmen zu lieben. "Ja, ja", lachen meine Freunde, "jetzt kommt wohl wieder diese Swimrun-Kiste". Aber: Nein. Zumindest: nicht ganz.

Obwohl der Immer-wieder-Wechsel zwischen Wasser und Land wirklich was bringt: Beine, der Körper (und Geist) sind frischer. No na wegen der Abkühlung – aber auch, weil Wasser, weil Schwimmen (platt, medizinisch falsch und extrem vereinfacht gesagt) Laktat, also die Übersäuerung, aus den Muskeln spült.

Foto: thomas rottenberg

Das ist keine Geheimbotschaft: Nach dem Ironman 2019 in Klagenfurt schwamm Triathlon-Superstar Daniela Ryf noch ein paar Auslockerungskilometer. Nach dem "Frozen Lake"-Marathon in Norwegen spulten aber auch wir Normalos wie fast alle noch ein paar Hunderter im Hotelpool runter. Unsere Beine dankten es uns am nächsten Tag.

Ganz abgesehen davon ist "Nightswimming" einer meiner liebsten Songs von REM – und wer das nicht versteht, sollte einfach bei Sonnenuntergang in die Alte Donau springen. Gern auch ohne vorher oder nachher zu laufen.

Foto: thomas rottenberg

"Wasserstopps" jedweder Art zwischendurch sind an ganz normalen heißen Tagen mehr als eine Sommeroption. Ich springe derzeit urlaubszeitbedingt regelmäßig als Laufcoach bei Firmenlauftreffs ein. Und gerade bei solchen geführten Läufen ist Wasser ein Leitmotiv. Solche Läufe finden in der Regel nämlich nicht in den wirklich frühen Morgen- oder späteren Abendstunden statt – obwohl das natürlich sinnvoller wäre.

Aber wenn man ein bisserl mitdenkt, wenn man das Tempo rausnimmt, wenn man Schatten und Wasserstellen sucht und noch genauer drauf schaut, wie es dem oder der jeweils Langsamsten der Gruppe geht, ist Laufen bei Affenhitze auch mit "Normalos" kein Problem.

Foto: thomas rottenberg

Die gängigen Hitzelauf-Hinweise – etwa Nacken, Unterarme und Kopf so oft wie möglich nass zu machen oder sich eine immer wieder in Wasser getränkte Kappe aufzusetzen – gelten natürlich trotzdem. Und die erste erste Affenhitze-Laufregel auch: Pace runter! Die zweite erste Hitzelaufregel lautet übrigens immer noch: Trinken Sie! Und zwar bevor Sie durstig sind.

Ach ja: Darauf, die Mitläuferinnen und Mitläufer durch jede Sprühnebeldusche am Weg zu schicken, kann man getrost verzichten. Die Leute sind ja nicht deppert: Sie rennen da ganz von selbst durch, freuen sich wie kleine Kinder, sind aber trotzdem meist verwundert, wie wenig sie von diesem bisserl Wasser spüren – und wie gut die paar Tropfen trotzdem tun.

Foto: thomas rottenberg

Darauf, ganz ins Wasser zu gehen, muss man die meisten Läuferinnen und Läufer dann aber trotzdem meist bringen. Ja, natürlich sollte man die Option vorher kommunizieren. Zum einen, weil kaum eine Frau nach dem Sprung ins Wasser im Wet-T-Shirt-Contest-Look laufen mag. Zum anderen weil man (gerade als Guide) wissen sollte, ob wirklich alle schwimmen können – und trotzdem wissen sollte, wie viele Leute da dann gerade (wo) im Wasser sind.

Foto: thomas rottenberg

Aber wenn das geklärt ist, spricht nichts dagegen, aus einem ganz normalen Lauf einen Swimrun zu machen. So blöd das auch klingen mag: Viele Leute sind sogar ein bisserl stolz, wenn sie nicht einfach "ins Wasser" geschickt wurden, sondern ein Zusatzetikett auf der Übung steht. Oder wenn eine kleine Aufgabe dazukommt. "Einmal das Ufer entlang bis zum großen Strauch" etwa.

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Davor, Leute, deren Schwimmkompetenz man nicht wirklich gut einschätzen kann, quer über das Entlastungsgerinne oder einen Teich zu schicken, würde ich allerdings warnen: Was für mich 150 Meter lockeres Einschwimmen sind (in eine Richtung), ist in einem Land, in dem jedes zweite Kind als echter Nichtschwimmer die Schule verlässt, potenziell lebensgefährlich. Eigenverantwortung hin oder her: Was tun Sie, wenn jemand sich selbst überschätzt und 80 Meter vom Ufer entfernt nicht mehr kann – und sich im schlimmsten Fall in seiner Panik an Sie klammert?

(Nein, um den Mann im Bild mache ich mir keine Sorgen: Von dem habe ich Schwimmen gelernt.)

Foto: thomas rottenberg

Natürlich gibt es da aber immer Fragen. Zuallererst die nach dem Handtuch. Als Antwort reicht da meist ein Grinsen: An schwülen Sommertagen ist man meist schon beim Loslaufen durchgeschwitzt. Wozu also nach dem Schwimmen abtrocknen? Viel eher stellt sich die Frage, ob man sich lieber wieder ins verschwitze Shirt zwängt, es vorher kurz ins Wasser hält – oder es gleich ausgezogen lässt.

Foto: thomas rottenberg

Frage zwei: Wie ist das mit Socken und Schuhen. Ja, es stimmt: Das Anziehen nasser Socken (oder trockener Socken mit nassen Füßen) kann ein Thema sein – in der Wechselzone beim Triathlon. Weil es dauert, Socken so faltenfrei auf einen nassen Fuß zu bekommen. Denn die scheuern die nasse, aufgeweichte Haut dann in Windeseile auf. Außerdem sind da doch immer Steinchen, Halme oder Dreck an der Fußsohle … Und das Herumgehopse beim Anziehen … Jo eh. Aber: Wer sagt, dass man sich nicht hinsetzen darf?

Das ist ja kein Wettkampf. Und sogar dort … und so weiter.

Foto: thomas rottenberg

Kurz gesagt, und egal ob mit oder ohne Schwimmstopps: Wer will, der kann – und wer nicht will, muss ja nicht. Auch ohne Ausreden. Oder die pauschale, alle Jahre wiederkommende Behauptung, dass Laufen bei Hitze grundsätzlich falsch, ungesund oder gefährlich sei: Ist es nicht – wenn man ein paar Dinge beachtet. Dinge, die gemeinhin unter "eh klar" fallen sollten.

Foto: thomas rottenberg

Ein kleiner Nachtrag:

Man kann das Thema Laufen bei Hitze natürlich auch medizinisch fundiert abhandeln. Auch das ist gut und richtig und wichtig.

Deshalb habe ich das auch schon mehrfach getan.

Zuletzt im Sommer 2018. Damals bat ich Robert Fritz von der Wiener Sportordination, zu erklären, was beim Sommerlaufen im Körper passiert, was Schwitzen ist und kann, was man im Sommer anders als in kühleren Perioden machen soll – und wieso Sport im Hochsommer weder No Go noch ungesund sein muss.

Fritz' Expertise – inklusive seiner "zehn Sommerlaufgebote" – können Sie hier nachlesen.

Das Wort "altersweise" für Nicht- oder Wenigerlaufen werden Sie darin jedoch nicht finden.

(Thomas Rottenberg, 19.8.2020)

Foto: © www.sportordination.com