Höhlenforscher erkunden eine der leichter zugänglichen (weil auf der Erde gelegenen) Lavaröhren. Deren wesentlich größere Gegenstücke auf Mond und Mars könnten für künftige Kolonisierungsprojekte wichtig werden.
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Mit Atemluft vollgepumpte Höhlensysteme, die puebloartige Städte und einen üppigen gentechnisch gezüchteten Dschungel beherbergen: So sehen die Mondkolonien in der "Luna"-Trilogie des britischen Science-Fiction-Schriftstellers Ian McDonald aus. Ganz anders als die klassischen Kuppelbauten, die man sich in der Frühzeit des Weltraumzeitalters ausgemalt hat – aber keineswegs unrealistisch, wie eine neue italienische Studie bestätigt.

Die Kavernen, auf die auch Weltraumvisionäre aus der Wissenschaft schon länger ihre Aufmerksamkeit gerichtet haben, sind Lavaröhren. Es ist eine natürliche Architektur, die sich selbst baut: Fließt bei einem Vulkanausbruch dünnflüssige Lava einen Hang mit geringer Steigung hinab, erstarrt sie an den kühlen Rändern, während sie im Inneren weiterströmt. So bildet sich eine geschlossene Röhre, die am Ende als Hohlraum zurückbleibt, wenn der letzte Rest der Lava durchgeflossen ist.

Schutz in der Röhre

Man kennt solche Röhren aus einigen vulkanisch aktiven Regionen der Erde sehr gut. Für die Raumfahrt der Zukunft ist aber relevant, dass es sie auch auf dem Mond und dem Mars gibt: also den beiden Himmelskörpern, die immer noch die Wunschziele 1 und 2 einer interplanetaren Kolonisierung sind. Und aufgrund der geringeren Schwerkraft sind die lunaren und marsianischen Lavaröhren um einiges größer als die irdischen – was sie nutzbar machen könnte.

Eine "Game of Thrones"-artige Feudalgesellschaft sorgt in Ian McDonalds "Luna"-Romanen für Spannung und Intrigen. Sie steht allerdings auf einem streng naturwissenschaftlichen Fundament.
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Was diese Hohlräume so attraktiv macht, ist ihre Schutzfunktion. Nicht genug damit, dass man auf der Mondoberfläche dem Vakuum ausgesetzt wird, ist dieses Vakuum leider auch alles andere als leer: Zum allgegenwärtigen Schauer hochenergetischer Teilchen der Kosmischen Strahlung können auch noch Mikrometeoriten kommen, die jeden Schutzanzug durchschlagen würden. In den Lavaröhren wären Kolonisten gegen solche mikroskopischen, aber dennoch tödlichen Gefahren gefeit. Außerdem würden die Tag- und Nachttemperaturen im Röhreninneren nicht so stark schwanken wie an der Oberfläche. Infrastruktur ließe sich dort also um einiges leichter aufbauen (zumindest sobald man erst einmal einen Zugang zu den Höhlen gefunden hat).

Irdische Verhältnisse als Ausgangspunkt

Im Herbst 2019 richtete die Europäische Weltraumagentur ESA einen Aufruf an Universitäten und Forschungsunternehmen, Ideen für die Erkundung der Höhlensysteme auf dem Mond auszuarbeiten. Der Speläologe Francesco Sauro von der Universität Bologna und der Geologe Riccardo Pozzobon von der Universität Padua gehören zu denen, die dem Aufruf gefolgt sind. Sie erstellten eine Einschätzung, ob außerirdische Lavaröhren überhaupt ein lohnendes Ziel wären. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal "Earth-Science Reviews" veröffentlicht.

Zunächst widmeten sich die Forscher Lavaröhrensystemen auf der Erde, etwa in Australien, vor allem aber auf vulkanischen Inseln wie Island, Hawaii, den Kanaren oder den Galapagos-Inseln. Von Interesse waren dabei Ausmaße und Morphologie der Systeme und ganz besonders die sogenannten Skylights. Das sind Stellen, an denen das Röhrendach eingestürzt ist und Zugang zum System gewährt. Außerdem maßen die Forscher das Verhältnis kollabierter Röhren zur Gesamtgröße des jeweiligen Systems.

Verwandte Strukturen

Diese Daten verglichen sie mit solchen über die Oberflächen von Mond und Mars, die von Satelliten und Sonden stammen. Stereoskopische Bilder, gravimetrische Messungen und Radaruntersuchungen zeigen beispielsweise in den Marius Hills im Oceanus Procellarum des Mondes geradlinig verlaufende Hohlräume und Stellen, an denen solche Höhlen kollabiert sind. Alles in allem würden die gesichteten Formationen stark denen ähneln, die man auf der Erde kennt.

Sie sind nur deutlich größer. Ihr Durchmesser liegt nicht bei im Schnitt zehn bis 30 Metern wie auf der Erde, sondern ist 100 bis 1.000 Mal größer. Die geringere Schwerkraft hat sich hier doppelt ausgewirkt: Erst auf den Vulkanismus, der die Röhren erschaffen hat. Und danach auf ihre Statik – trotz ihrer riesigen Dimensionen bleiben sie laut den Forschern deutlich innerhalb des Bereichs der Stabilität. Da, wo es tatsächlich zu Einstürzen gekommen ist, dürften größere Meteoriten einschlagen haben. Künftige Raumfahrer könnten durch diese Skylights einigermaßen bequem ins Höhlensystem absteigen.

Jede Menge Platz

Pozzobon merkt mit Blick auf seine Universitätsstadt an, dass man in den voluminöseren Röhren das gesamte Stadtzentrum von Padua unterbringen könnte (das größenmäßig übrigens mit Linz vergleichbar ist). Daneben würden dann sogar die prächtigen Mondstädte aus McDonalds "Luna"-Romanen verblassen.

Der Weg dahin ist allerdings noch weit. Obwohl die Nutzbarkeit von Lavaröhren auf Mond und Mars in der Planetenforschung mittlerweile seit Jahrzehnten diskutiert wird, fehlt es bislang an Ausrüstung und Manpower, um eine tatsächliche Erkundung zu starten. Alle internationalen Weltraumagenturen zusammengerechnet, haben laut Sauro und Pozzobon bislang ganze 36 Astronauten Training im Höhlenklettern erhalten, zehn sind in praktischer geologischer Feldforschung ausgebildet. Da ist noch Luft nach oben, denn die Höhlensysteme des Mondes halten die italienischen Forscher für ein über alle Maßen lohnendes Ziel für Erkundung und eine mögliche Besiedelung. (jdo, 29.8.2020)