Ein gebürtiger Kosovare, daheim in Deutschland, erfährt sein Zuhause dennoch als "Exil".

Alamode Film

Eine tote Ratte an der Gartentür – das ist das erste deutliche Zeichen, dass im Leben von Xhafer etwas nicht stimmt. Jemand hat sie dort hinterlassen, als Zeichen für ihn. Auch als einen bewusst gesetzten Auslöser, denn Xhafer hat ein Problem mit Ratten, da weiß also jemand etwas sehr Persönliches von ihm. Dass ein Kollege namens Urs im Betrieb ein schäbiges Spiel mit ihm spielt, ist dann der nächste Schritt. Xhafer, leitender Angestellter in einer erfolgreichen Pharmafirma, bekommt E-Mails mit wichtigen Informationen nicht, er stellt natürlich Zusammenhänge her. Der naheliegende Versuch, die Sache mit Urs bei einem Bier unter Männern zu klären, scheitert an der Unzugänglichkeit des offenkundig feindseligen Kollegen.

Mehr als ein Mobbing-Thriller

Es dauert keine 20 Minuten, und Exil von Visar Morina zeigt alle Anzeichen eines brillanten Psychothrillers, der auf den Korridoren und in den Besprechungszimmern einer deutschen mittelständischen Firma seinen Schauplatz hat. Es bräuchte nicht unbedingt den Umstand, dass Xhafer im Kosovo geboren wurde. Exil wäre auch als konventioneller Mobbing-Thriller denkbar und sicher sehr spannend. Zu einem Schlüsselfilm für das heutige Deutschland und vergleichbare europäische Einwanderungsgesellschaften – also auch Österreich – wird er aber erst durch den Umstand, dass Xhafer zwar in jeder Hinsicht gut "integriert" wirkt, dass es aber eine Differenz gibt, bei der man sich sofort zu fragen beginnt, ob sie eher subjektiv oder objektiv besteht. Diese Spannung arbeitet Morina mit einer herausragenden erzählerischen Sicherheit durch.

Kroatisch oder Albanisch?

Da ist zum Beispiel die Sache mit der Putzfrau. Sie ist auch aus dem Kosovo. Xhafer spricht mit ihr in seiner Muttersprache. Ein Kollege meint, es wäre Kroatisch. Genauere Unterscheidungen wären etwas für Spezialisten. Xhafer aber ist ein Mann mit einer individuellen Geschichte, und die begann im Kosovo. Inzwischen gibt es für ihn eigentlich nicht mehr viele Gründe, das hervorzuheben: Er lebt mit einer deutschen Frau und drei Kindern in einem geräumigen Eigenheim, er hat einen interessanten Beruf mit einem großen Verantwortungsbereich. Er spricht auch ohne einen auffälligen Akzent Deutsch. Und dennoch ist da etwas, was sich nicht leicht benennen lässt, etwas kaum Merkliches wie der Schweißfilm, den er ständig im Nacken trägt. Etwas, das genau auf der Grenze zwischen Wahrnehmung und Tatsachen liegt. Man könnte auch sagen: zwischen Realismus und Einbildung. Es ist diese Grenze, die Visar Morina mit Exil zu seiner erzählerischen Richtschnur macht.

KinoCheck Indie

In einem Exil ist man, wenn man nicht zu Hause ist – im Grunde ist man also das ganze Leben im Exil, sobald man die schützende Unmittelbarkeit der frühen Kindheit verlassen hat. Und Visar Morina, dessen Lebenslauf (geboren 1979 in Priština, seit vielen Jahren schon in Deutschland) mit dem von Xhafer wohl eine strukturelle Parallele aufweist, spielt bewusst mit den Facetten dieses Begriffs "Exil". Wenn es hart kommt, ist man für sich selbst vielleicht das letzte Exil, dann ist der Exodus nur noch in die Einsamkeit der Individualität möglich. Und damit auch in psychische Probleme.

Kinematografisch spannend

Die Verbindung mit der Putzfrau Hatiqe ist für Xhafer zwar "Heimat", also eine Pause vom Exil, wird bald aber auch zu einer Erpressung. Eine Pointe bekommt die Verwechslung von Kroatisch und Albanisch noch dadurch, dass Mišel Matičević die Hauptrolle spielt: ein gebürtiger Berliner mit Herkunftsgeschichte aus Kroatien, bekannt durch die Rolle des Armeniers in Babylon Berlin, sehr sehenswert aber zum Beispiel auch in Im Schatten (2010) von Thomas Arslan. Bis in kleinere Nebenrollen ist Exil exzellent besetzt: Rainer Bock als Urs ist hervorzuheben, Sandra Hüller spielt Nora, die Ehefrau, und Thomas Mraz macht aus dem Büronachbarn eine tragische Figur nahezu im Vorbeigehen.

Aber Matičević trägt den zweistündigen, psychologisch wie politisch wie kinotheoretisch ungeheuer spannenden, intelligent gestalteten Film nahezu im Alleingang. Im Exil eben, geführt von einem Regisseur, der mit seinem zweiten Film nun schon zu den größten Hoffnungen des europäischen Kinos zählt, und mit seinem Meisterwerk eine Gesellschaft, die gerade erst zu lernen beginnt, mit Differenz umzugehen, herausfordert. (Bert Rebhandl, 18.8.2020)