Ein Mann wirft zuerst seinen Helm, dann sich selbst in die Kabine eines kleinen Propellerflugzeugs. "Operation Flieger auf Kurs", vermeldet das Display. Ziel: die französische Küstenstadt Lorient. Dort angekommen, wirft sich der Unerkannte aus dem Flieger, öffnet seinen Fallschirm und legt eine Punktlandung hin. Als er seinen Helm abnimmt, wird klar: Es ist Adrian Grbic, der nun seinen Gleiter einsammelt, ihn über die Schulter schmeißt und wenig später voller Stolz ein Trikot mit der Rückennummer 27 präsentiert.
Mit einem spektakulären Video präsentierte der FC Lorient Grbic Anfang Juli als neuen Stürmer. "Vor solch einer Aktion hätte ich etwas zu viel Bammel", gibt der 24-Jährige im Gespräch mit dem STANDARD zu.
Der Skydiver war in Wirklichkeit ein Stunt-Double. Das ist verwunderlich, in seiner Karriereplanung meidet Grbic das Risiko nämlich kein bisschen.
Weil er in Altach keine Spielzeit bekam, wechselte Grbic im Sommer 2019 zu Clermont Foot. Den Verein muss man nicht kennen: Es handelt sich um einen beschaulichen, zweitklassigen Klub aus Frankreich. "Ich zweifelte stark, ob die Liga gut genug ist", sagt Grbic zum ungewöhnlichen Transfer. Doch das Risiko machte sich bezahlt: In 28 Spielen traf er 17 Mal und weckte Begehrlichkeiten. Lorient, der Aufsteiger aus der Zweiten Liga, ließ sich die Grbic-Verpflichtung satte neun Millionen Euro kosten. Damit ist der gebürtige Wiener gemessen an der Ablösesumme hinter Marko Arnautovic der zweitteuerste Stürmer, den Österreich je hatte.
Euphorie
Grbic wuchs im 23. Bezirk in Wien auf. "Ich war verrückt nach Fußball", sagt Grbic. Weil der kleine Adrian so euphorisch war, brachte ihn seine Mutter einst zu einem offenen Probetraining bei Rapid. Von 30 Kindern war Grbic eines der drei besten, er landete im Jugendkader. Über acht Jahre lang war es der Opa, der sich laut Grbic für die Karriere des Enkerls "aufopferte", indem er ihn zu jedem Training fuhr. "Ohne ihn stünde ich nicht da, wo ich jetzt bin", sagt Grbic.
Nach unzähligen Kilometern im Auto wollte sich Grbic professionalisieren. Er ging mit knapp 16 Jahren zum großen VfB Stuttgart. Dort hatte er drei sehr gute Jahre im Jugendfußball, gefolgt von einer durchwachsenen Saison. Die Profis stiegen aus der Bundesliga ab, Grbics Weg in die Kampfmannschaft war verbaut.
Also kehrte er zurück nach Österreich. Nach einem Leihjahr beim FAC kam er in Altach unter. "Für mich war klar, dass der Bursche in die Höhe geht", sagt Klaus Schmidt. Der 52-Jährige verhalf Grbic als Trainer zum Bundesliga-Debüt. Schmidt gefiel vor allem die Schusstechnik, sie sei ihm "vom Himmel in den Schoß gefallen".
Menschlich beschreibt er Grbic als einen "smarten Typen, der eine klare Ansprache und Kritik verträgt". Was ihm wichtig sei: "Er braucht etwas Zuspruch."
Tapetenwechsel
Diesen sollte er in Altach nicht allzu lange bekommen. Schmidt musste im Sommer 2018 gehen, Grbic hatte ein Angebot von Rapid, Altach wurde aber nicht schwach. Mit dem Versprechen auf Einsatzminuten entschied sich Grbic für einen Verbleib. Doch nach einem ÖFB-U21-Lehrgang zerstritt er sich mit der Führungsebene, die im Winter einen neuen Stürmer holte. Damit war Grbics Zukunft besiegelt: Es sollte ein Tapetenwechsel her.
Es ging zu Clermont, ein Jahr später befindet sich Grbic in einer von Europas Top-5-Ligen. Am Sonntag bestreitet er gegen RC Strasbourg sein erstes Pflichtspiel für Lorient. "Es ist gefühlt das einzige Land, in dem kein Österreicher eingeschlagen hat", sagt Grbic, der die unglücklichen Frankreich-Abenteuer eines Philipp Hosiner (Rennes) oder Roland Linz (Nizza) kennt. "Das ändert sich hoffentlich jetzt."
Mit guten Leistungen will er sich auch für das ÖFB-Team empfehlen. Teamchef Franco Foda beobachtet Grbic schon länger. "Solange mein Körper mitmacht, will ich am liebsten jeden dritten Tag ein Spiel bestreiten. Gerne auch in der Länderspielpause im September. Es motiviert mich, dass ich ein Thema beim ÖFB bin." Hinter Arnautovic gab es zuletzt wenige ÖFB-Stürmer, die zu Höhenflügen ansetzten. In der technisch versierten und gleichzeitig robusten Ligue 1 soll Grbic dies gelingen. Ex-Coach Schmidts Prognose: "The sky is the limit." (Lukas Zahrer, 19.8.2020)