Wenn ein Virus den Körper schwächt, kommt oft noch eine bakterielle Infektion dazu.

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Als wäre eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 nicht bereits genug: Wer an Covid-19 erkrankt, hat bei einer längeren Behandlung im Krankenhaus ein erhöhtes Risiko für eine sogenannte Superinfektion mit Bakterien.

"Viele Covid-19-Patienten erhalten zusätzlich eine antimikrobielle Therapie, sodass das Auftreten einer Resistenz prinzipiell möglich ist. Es hängt natürlich auch sehr davon ab, wie die Resistenzlage in dem betreffenden Land bzw. Krankenhaus prinzipiell ist", sagt Florian Thalhammer, Universitätsklinik für Innere Medizin der Med-Uni Wien.

Resistenz bedeutet, dass ein Antibiotikum dem jeweiligen Bakterium nichts mehr anhaben kann. Es macht die Behandlung gerade auch von Covid-19-Patienten nicht einfacher, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Antibiotika eine sichere Waffe gegen krankmachende Bakterien waren.

Antibiotika wurden in der Vergangenheit und werden auch heute zu oft verschrieben und von Patienten falsch eingenommen. Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Bakterien überleben und schnell und trickreich jene Stellen verändern, an denen sie das Antibiotikum angreift. So werden sie resistent. Immer mehr Bakterienstämme sind sogar multiresistent.

Hotspot Krankenhaus

Wie groß das Risiko eines Covid-19-Patienten ist, sich im Krankenhaus eine bakterielle Infektion einzufangen, hängt von mehreren Größen ab. "Je länger ein Patient im Krankenhaus und insbesondere auf der Intensivstation mit Sauerstoff versorgt oder sogar invasiv beatmet werden muss, desto größer ist sein Risiko hierfür", sagt Elisabeth Presterl, Leiterin der Universitätsklinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle an der Med-Uni Wien.

Insbesondere wenn er zusätzlich noch durch eine Grunderkrankung belastet ist. Allerdings stellen nicht nur Bakterien, sondern auch Pilze wie der etwa Aspergillus fumigatus ein Risiko dar. "So sind beispielsweise auch Aspergillosen in der Lunge bei Covid-19-Patienten beschrieben", berichtet Thalhammer.

Antibiotika wirkungslos

In der Mehrzahl der Fälle geht das Hauptrisiko derzeit aber von multiresistenten Bakterien aus. In etwa 85 Prozent der Fälle bringen sie die Patienten in deren Darm mit in die Klinik. "Diese multiresistenten Bakterien sind häufig Relikte von Fernreisen etwa nach Indien", so Presterl. Solange die Betroffenen gesund waren, bedeuteten die Keime keine Gefahr für sie.

Liegen sie aber im geschwächten Zustand im Krankenhaus, können die Bakterien eine bakterielle Sekundärinfektion verursachen. "In den restlichen etwa 15 Prozent der Fälle infizieren sich Patienten mit Krankenhauskeimen, also mit Bakterien, die bereits im Krankenhaus vorhanden sind", sagt Thalhammer.

"Sie können aufgrund von Hygienemängeln über Katheter in den Körper des Patienten gelangen, etwa bei einer Nierenersatztherapie, über den Tubus bei extrakorporalen intensivmedizinischen Maßnahmen wegen eines Lungenversagens oder über Infusionsschläuche bei der Ernährung direkt ins Blutgefäßsystem." Man spricht dann von einer nosokomialen Infektion. In diesen Fällen hilft nur eines: eine ganz individuell zusammengestellte Antibiotikatherapie.

Zunehmende Resistenzraten

Zwar ist die Zahl an Infektionen mit dem ziemlich problematischen grampositiven Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) vergleichsweise niedrig. "Aber die Rate an mehrfach resistenten Enterobakterien steigt seit Jahren langsam an", sagt Thalhammer.

Wie die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) schreibt, sind die zunehmenden Resistenzraten gegenüber Drittgenerations-Cephalosporinen sowie Carbapenemen eine besonders besorgniserregende Entwicklung, die die Versorgung von Kranken in Zukunft zunehmend gefährden wird.

Die Drittgenerations-Cephalosporine werden insbesondere bei schweren Infektionen in Krankenhäusern eingesetzt. Wie Penicillin gehören sie zu den Beta-Laktam-Antibiotika, haben aber ein viel breiteres Wirkungsspektrum als diese. Pseudomonas aeruginosa ist gegen Carbapenem resistent; gramnegative Klebsiellen und Escherichia-coli-Bakterien gegen Beta-Lactam-Antibiotika, und das grampositive Enterococcus faecium gegen das Antibiotikum Vancomycin.

Sie stellen deshalb zunehmend ein Problem insbesondere in Spitälern dar. Diese Bakterien sind gefährlich, denn sie können Lungenentzündungen, Wund- und Harnwegsinfektionen, schwere Magen-Darm-Infektionen sowie eine Sepsis, also eine Blutvergiftung, verursachen.

Die letzten Bastionen

"Erfreulicherweise wurden in den letzten Monaten neue Betalaktam/Betalaktamasehemmer-Kombinationen eingeführt bzw. kommen diese demnächst auf den Markt, sodass sich die therapeutischen Optionen wieder vergrößern", berichtet Thalhammer. Versagen jüngere Antibiotika, gibt es noch Reserveantibiotika wie Colistin.

Nachteile: teurer, weniger wirksam und nebenwirkungsreicher als moderne Antibiotika. Wirkt auch das Colistin nicht, hilft nur noch eines: zu schauen, ob geschickt kombinierte Antibiotika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen den Erregern etwas anhaben können. Bakterielle Infektionen können aber auch unbehandelbar werden.

Während zwischen 1980 und 2009 mehrere neue Antibiotika-Klassen wie die Makrolide, Cephalosporine und Fluorchinolone auf den Markt kamen, waren es in den vergangenen zehn Jahren nur Modifikationen von bereits vorhandenen, aber inzwischen gegen viele Erreger unwirksamen Antibiotika. Eine unbefriedigende Situation. Insbesondere wenn man sieht, dass die Grundlagenforschung hierzu vorhanden ist.

Vielversprechende Wirkstoffe

Immer wieder finden Forscher vielversprechende Wirkstoffe, deren Entwicklung und klinische Testung jedoch extrem teuer sind. Die großen finanzstarken Pharma-Player haben sich aber bereits vor ein paar Jahren weitestgehend aus der Antibiotikaentwicklung zurückgezogen und sich finanziell lukrativeren Medikamenten zum Beispiel zur Therapie von Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck zugewandt.

Wenigstens haben mehrere Pharmagiganten wie Roche, Merck und Johnson & Johnson gemeinsam einen Milliarden-Fonds, den AMR Action Fond, gebildet, der den etwa zwei Dutzend kleineren Antibiotika-entwickelnden Firmen bei der Finanzierung teurer klinischer Studien unter die Arme greifen soll.

Zugleich ist mit Antibiotika immer weniger zu verdienen. Aber ohne wirksame Antibiotika würden wir Menschen an den meisten bakteriellen Infektionen sterben – wie in den Zeiten vor Penicillin, das ab 1942 als erstes Antibiotikum eingesetzt wurde.

Neue Kandidaten

Erst kürzlich haben Wissenschafter der US-amerikanischen Princeton-Universität eine neue Wirksubstanz, das Irresistin-16, entdeckt. Das neuartige Antibiotikum macht zweierlei: Es durchlöchert die Außenmembran von Bakterien und blockiert in deren Inneren eine lebensnotwendige Stoffwechselreaktion.

Die Kombination zweier Wirkmechanismen hat zur Folge, dass die Bakterien nicht resistent werden können. Der neue Wirkstoff ist aber noch in anderer Hinsicht etwas Besonderes: Er bekämpft sowohl gramnegative Bakterien wie Neisserien als auch grampositive Bakterien wie Enterokokken und Staphylokokken.

Ein weiterer Lichtblick sind Ergebnisse aus den USA und der Schweiz bezüglich zweier neuer Antibiotika-Substanzklassen: das natürliche Darobactin und das synthetische OMPTA. Beide wirken gegen dasselbe Protein in der Hülle gefährlicher gramnegativer Bakterien. Der Clou: Es handelt sich um ein Protein, das die Bakterien nur schwer verändern können, weshalb eine Resistenzbildung zunächst nicht zu befürchten ist.

Auch aus Deutschland gibt es neue Ergebnisse. Forscher des Helmholtz-Instituts für pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben bei Bodenbakterien eine neue natürliche Antibiotikastoffklasse, die Cystobaktamide, entdeckt. Sie sollen gegen gramnegative Bakterien wie Klebsiella pneumoniae wirksam sein.

Anti-Virulenz-Prinzip

Statt auf neue Antibiotika setzen andere Forscher auf das Anti-Virulenz-Prinzip. Das heißt, Antikörper sollen sogenannte Virulenzfaktoren blockieren. Diese Virulenzfaktoren machen die Bakterien erst gefährlich und ermöglichen die Infektion eines Organismus. Ohne diese Waffen sind die Bakterien wehrlos, und das Immunsystem kann sie erfolgreich bekämpfen.

Ein erster Antikörper gegen ein wichtiges Toxin des gefährlichen Durchfallerregers Clostridium difficile wurde bereits zugelassen. Weitere Antikörper werden derzeit klinisch getestet. Vorteil der Antivirulenz: Das Risiko einer Resistenzbildung bei der Antivirulenz ist viel kleiner als bei Antibiotika.

Der Nachteil: Antikörper richten sich nur gegen eine bestimmte Erregerstruktur. Das zögert eine Therapie hinaus, weil der Erreger zuerst bekannt sein muss. Eine denkbare Lösung könnte es sein, die Antivirulenztherapie mit Antibiotika zu kombinieren. Ein anderer Ansatz sind Bakteriophagen. Das sind Viren, die an der Oberfläche "ihrer" Bakterien andocken und sie zerstören. Allerdings können Bakterien auch gegen Phagen resistent werden. (Gerlinde Felix, CURE, 26.10.2020)