Gesundheitsminister Anschober bei der Pressekonferenz am Mittwoch.

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Nein, das Gesundheitssystem ist während der Coronavirus-Krise nicht zusammengebrochen. Auch wenn Personal an seine Grenzen stieß und Schutzkleidung knapp wurde, trat der Worst Case nicht ein: Es gab stets genügend leerstehende Intensivbetten, kein Covid-Patient musste weggeschickt werden.

Doch das hatte auch Nebenwirkungen: Behandlungen wurden nicht durchgeführt, Ordinationen waren geschlossen, Menschen mit psychischen Problemen oder Krebserkrankungen konnten nicht adäquat betreut werden. Nun wurden am Mittwoch erstmals Zahlen präsentiert, die zeigen, wie sehr die Grundversorgung im Lockdown gelitten hatte.

Daten nur vorläufig

Das Gesundheitssystem mit aller Kraft schützen, das sei einer der wichtigsten Gründe für die Erlassung der Corona-Maßnahmen gewesen, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Präsentation. "Wir haben große Reserven eingeplant und sind nie auch nur an die Grenzen der Kapazitäten gekommen", so das Resümee.

Dennoch habe es Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich gegeben. Diese wurden nun in einer ersten, vorläufigen Studie untersucht, genauere Untersuchungen stehen noch aus. Die vorliegenden Daten beziehen sich lediglich auf den stationären Bereich, erklärte Karin Eglau von der Gesundheit Österreich GmbH bei der Präsentation. Bis zum Jahresende soll zusätzlich eine Studie zu den gesundheitlichen Folgen der Corona-Maßnahmen durchgeführt werden, kündigte Anschober an.

20 Prozent weniger Krebsbehandlungen, ausgesetzte Chemos

Untersucht wurde die Versorgung in Krankenhäusern im stationären Bereich von März bis Mai. In der Akutversorgung habe sich gezeigt, dass weniger Patienten in die Krankenhäuser kamen, obwohl das Angebot durchgehend zur Verfügung gestanden habe. Bei Herzinfarkten habe es um 25 Prozent weniger Aufenthalte gegeben, bei Unfällen sogar um 50 Prozent weniger. Als Ursache nannte Eglau vor allem die Angst der Patienten vor einer Infektion mit dem Coronavirus im Krankenhaus, aber auch, dass weniger gefährliche Sportarten durchgeführt wurden und der Autoverkehr zurückgegangen ist.

Spitalsaufenthalte wegen Schlaganfällen hingegen seien nur minimal zurückgegangen, so Eglau, das sei im internationalen Vergleich ungewöhnlich. "Warum, das wissen wir nicht", so Eglau.

Bei den Krebsbehandlungen sind die Aufenthalte um 20 Prozent zurückgegangen, weil viele Untersuchungen verschoben wurden, aber eben auch, weil diese Patienten zur Risikogruppe gehören und sich deshalb möglicherweise nicht ins Krankenhaus getraut haben, so Eglau. "Man wird den Menschen wieder das Vertrauen in die Spitäler geben müssen", so die Empfehlung der Gesundheitsexpertin.

Bei Brustkrebsoperationen zog sich der Rückgang sogar bis in den Mai hinein. Man gehe davon aus, dass einige Diagnostiken verschoben wurden, so Eglau, "und wir wissen, dass Mammografien verschoben wurden". Außerdem seien Chemotherapien und Bestrahlungen reduziert und sogar ausgesetzt worden. Die Auswirkung davon werden sich erst im nächsten Jahr zeigen. Es könne aber sein, dass Krebserkrankungen durch eine verspätete Diagnose, erst in einem fortgeschrittenerem Stadium erkannt werden, so Eglau.

Kinder weniger behandelt, Psychiatriebetten waren reserviert

Die Behandlungen von Kindern sind um die Hälfte zurückgegangen, und bei Entbindungen habe sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer um einen halben Tag verkürzt. Besonders deutlich sei die Reduktion der stationären Aufenthalte auch im psychosozialen Bereich gewesen, so Eglau. 50 Prozent weniger Patienten seien in diesem Bereich in die Spitäler gekommen – gerade jene mit Angststörungen. Man wisse von Experten, so Eglau, dass Betten aus dem psychiatrischen Bereich für Covid-Patienten reserviert worden seien. "Man wird sehen, welche Auswirkungen das haben wird."

Tatsächlich erreichte man die allerhöchste Zahl von Covid-Erkrankten im Spital Anfang April, da waren das 829. Weitere 245 Menschen lagen auf der Intensivstation. Derzeit sind 120 Personen wegen Covid hospitalisiert, davon 20 intensivmedizinisch. 750 Intensivbetten sind nach wie vor frei, dazu sind über 7.600 Normalbetten frei.

Zahlreiche Beschwerden

Entsprechend in allen Bundesländern gestiegen sind in der Zeit der Corona-Maßnahmen auch die Beschwerden von Patienten bei der Patientenanwaltschaft, berichtete Margot Ham-Rubisch. Im ambulanten Bereich sei es hier vor allem um Absagen bereits terminisierter Behandlungen gegangen. Im niedergelassenen Bereich wiederum hätten sich Patienten vor allem über nicht koordinierte Ordinationsschließungen, massive Einschränkungen der Ordinationszeiten und fehlende Informationen über praktizierende Ärzte beschwert.

Das sei problematisch, so Ham-Rubisch: "Es kann nicht sein, dass in Österreich nach Belieben ärztliche Ordinationen geschlossen werden", der Versorgungsauftrag dürfe auch im Lockdown nicht außer Kraft gesetzt werden. Sie fordert daher eine bessere Informationspolitik durch die Ärztekammer und tagesaktuelle Listen mit offenen Ordinationen, sollte es zu einem neuerlichen Lockdown kommen. (jop, elas, 19.8.2020)