Zwei Tage und Nächte lang wurde in der schwer zugänglichen Sillschlucht bei Innsbruck gefeiert.

Foto: privat

Innsbruck – Der erste Juli-Samstag dieses Jahres. Über den Dächern Innsbrucks schwirrt abends noch der Sommer. Mit Kühltaschen und Sonnenschirmen gewappnete Familien machen sich auf den Nachhauseweg. Sie kommen aus der Sillschlucht, dem Naherholungsgebiet vieler Innsbrucker. Nach einem halbstündigen Fußmarsch entkommt man hier dem Stadtgewusel. Die Sillschlucht ist ein idyllischer Ort. An den Flussbänken wird gegrillt, gebadet und gezeltet.

Den abziehenden Familien kommen an diesem lauen Samstagabend viele Jugendliche entgegen. Sie suchen nicht die Ruhe, sondern wollen feiern. Die Sillschlucht ist seit jeher auch als versteckter Partyort bekannt. Seit den Corona-Beschränkungen feiert sie ein Revival. Die Koordinaten, die zur Party führen, werden via Social Media verschickt. Es genügt aber, den fröhlich plappernden Kleingruppen, dem Klirren der Alkoholflaschen in Jutebeuteln und schließlich dem Wummern des Basses, das in der Schlucht immer lauter wird, zu folgen.

Abenteuerlicher Weg zur Party

Der Weg zum Rave ist lang. Über die Gleise der Brennerbahn, durch den Wald, den teils reißenden Gletscherfluss Sill entlang. Inzwischen ist es dunkel, zum Glück ist die Strecke mit Schildern aus Holz gekennzeichnet. Im Wald hängen vereinzelt solarbetriebene Laternen, zwischendurch zuckt ein Handylicht durch die Dämmerung.

Endlich angekommen eröffnen sich dem Publikum zwei Floors. Generatorbetriebene Soundanlagen hypnotisieren die Menge, der Bass massiert die Magengegend, die Stimmung ist euphorisch. Verschwitzte, zuckende Körper bewegen sich im Rhythmus der Musik, die Luft ist geschwängert von süßlichem Grasgeruch, die angestaute Feierlust wird endlich weggetanzt.

Es ist richtig viel los. Der Weg zum zweiten Floor ist steil, fixierte Seile helfen im Dunkeln beim Abstieg über rutschige Hänge. Manch einer scheint schon jetzt etwas wacklig auf den Beinen, die Dunkelheit erschwert das Fortkommen, man hilft sich gegenseitig.

Wie im Club, nur freier und offener

Auf dem zweiten Floor ist der Beat langsamer. Das Gelände ist erstaunlich groß, mitten auf der Lichtung thront das DJ-Pult vor einer leicht bewaldeten Felswand, davor wogt die Menge im Takt. Manche tanzen barfuß durch die Sägespäne, die den Boden bedecken. Es wird Bier und Prosecco getrunken, am Waldrand ziehen Feiernde vereinzelt Lines von den Displays ihrer Smartphones. Der mit einer bunten Lichterkette umwickelte Mann verticke Pillen, heißt es. Drogenkonsum muss man hier im Wald nicht verstecken. Es wird wohl nicht anders zugehen als im Club, nur sieht es dort eben keiner.

Es scheint, als sei heute die ganze Partyszene Innsbrucks in der Sillschlucht. Seine Bekannte sei mit ihrem Vater gekommen, erzählt einer schmunzelnd: "Ein alter Hippie." Anstehen oder bezahlen muss man für das Cluberlebnis nicht, es gibt auch keinen Türsteher, der für Ordnung oder Auswahl sorgt. "Viel zu viel los hier", meint eine Kennerin der Szene leicht genervt. Sie feiert schon seit Monaten jedes Wochenende in der Sillschlucht. Angefangen habe alles im kleinen Rahmen. An besagtem Samstag aber kommen hunderte Menschen, und es werden immer mehr.

Feiern mit allen Annehmlichkeiten

Das Setting wirkt professionell, die Veranstalter haben an alles gedacht: Pipi-Häuschen, Chill-out-Area, Nebelmaschine, Lasershow, Alkoholausschank. Zwischen den Bäumen hängen selbstgeknüpfte Traumfänger, von umgedrehten Regenschirmen baumeln bunte Stoffbänder.

Man trifft Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen. Gemeinsam wird durch die laue Sommernacht getanzt, leicht und unbeschwert, bis der Himmel hinter den Baumwipfeln pastellfarben wird und sich schließlich Sonnen- mit Laserstrahlen mischen. Gegen acht Uhr treten einige den Heimweg an, andere feiern weiter. Beim Verlassen der Schlucht kommt den Hinauswandernden die Polizei entgegen. Wie sich später herausstellt, musste ein Alkoholisierter von der Bergrettung geborgen werden. Dadurch und wegen Zwischenfällen auf den Gleisen, die zur vorübergehenden Sperre der Brennerbahn führten, flog die Party auf. Über 1000 Leute sollen an diesem Wochenende in der Sillschlucht geravt haben.

Seither patrouillieren an Wochenenden Magistrat und sogar der Polizeihubschrauber über der Schlucht. Die Behörden fahnden noch immer erfolglos nach den Veranstaltern, denen bis zu 15.000 Euro Strafe drohen sollen. Die Partyszene feiert indes anderswo. (Maria Retter, 19.8.2020)