Man könnte sagen, Susanne Raab hat alles richtig gemacht – wenn sie Generalsekretärin der ÖVP wäre.

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Susanne Raab bleibt dran. Konsequent prangert sie Parallelgesellschaften, den politischen Islam und andere Ungeheuerlichkeiten aus der muslimischen Welt an. Das beschert ihr persönlich in Umfragen zwar nicht unbedingt strahlende Sympathiewerte, hält aber das Leibthema ihrer Partei für den Wiener Wahlkampf am Köcheln. Man könnte sagen, Raab hat alles richtig gemacht – wenn sie Generalsekretärin der ÖVP wäre.

Die Newcomerin aus Oberösterreich ist aber Integrationsministerin. Als solche hat sie ein politisches Feld zu beackern, das – wie die türkis-grüne Regierung in ihr eigenes Programm geschrieben hat – Querschnittsmaterie ist. Einseitige Fixierung ist da fehl am Platz.

Das bedeutet nicht, dass die Ressortchefin autoritäre und radikale Tendenzen in der Migranten-Community ignorieren soll. Tatsächlich taugt die Ideologie des Islamismus dazu, Menschen von der Gesellschaft abzuschotten und ihnen letztlich Aufstiegschancen zu nehmen – wobei im Fall der türkischstämmigen Bürger Einfluss aus dem Mutterland eine unheilvolle Rolle spielt. Die Ministerin hat da scharf hinzuschauen.

Paradebeispiel für Vererbung von Ungleichheit

Doch Raab sollte nicht so tun, als hinge Integration allein von kultureller und religiöser Prägung ab. Um bei Menschen mit türkischen Wurzeln zu bleiben: Diese Gruppe hinkt in den gesellschaftlichen Ranglisten – vom Bildungserfolg bis zum Einkommen – nicht erst hinterher, seit der islamistische Autokrat Recep Tayyip Erdoğan am Bosporus regiert. Der auch nach der dritten Zuwanderergeneration immer noch beträchtliche Rückstand ist vor allem damit zu erklären, dass "Österreich ein Paradebeispiel dafür ist, wie soziale Ungleichheit vererbt wird" (Heinz Faßmann vor seinem Antritt als Bildungsminister) – griffig nachzulesen auch im neuen Buch der Insiderin Melisa Erkurt.

Gerade die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf dieses altbekannte Problem geworfen. Es liegt auf der Hand, dass von jenen Schulkindern, die im Homeschooling mangels Unterstützung der Eltern, eines tauglichen Internetzugangs oder anderer Ausstattung nicht mitkamen, viele Migrationshintergrund haben. Eine Integrationsministerin sollte sich zur Anwältin der benachteiligten Kids machen. Doch abgesehen von einem Auftritt bei einer Pressekonferenz, wo sie neben Faßmanns zweiwöchiger Sommerschule dreistündige Elternkurse präsentierte, hat sich Raab hier bisher nicht hervorgetan.

Trost in Heilsversprechen

Oder, eine Altersgruppe höher: Der Wirtschaftseinbruch hat die Arbeitslosigkeit unter den in Österreich ansässigen Ausländern vom eh schon höheren Niveau aus weitaus rasanter ansteigen lassen als bei den Einheimischen. Auch da könnte die Integrationsministerin die Initiative ergreifen und den Regierungskollegen in den Ohren liegen, bis die Koalition entschlossen gegensteuert. Schließlich kann gerade die soziale Notlage Menschen dazu animieren, Trost in den Heilsversprechen ebenjener Ideologie zu suchen, die Raab für die Wurzel allen Übels hält.

Der eingeengte Tunnelblick blendet nicht nur die sozialen und ökonomischen Zusammenhänge aus, die Integration untergraben, sondern ist auch atmosphärisch schädlich. Viele Muslime werden sich in Raabs Diskurs ausschließlich als Problemverursacher wiederfinden, obwohl sie nichts mit Islamismus am Hut haben. Das fördert erst recht wieder jenes Phänomen, das die forsche Ministerin zu bekämpfen vorgibt: Abschottung. (Gerald John, 20.8.2020)