Der Wiener Künstler Reinhold Zisser leitet die Notgalerie in der Seestadt Aspern, die derzeit zerlegt und Stück für Stück an Interessenten verteilt wird. Manchmal übernachtet er auch in der ehemaligen Notkirche.

"Es war eine schöne, erholsame Nacht. Mit dem Surren und Zirpen von Gelsen und Grillen, mit dem Sausen des Windes, der hier mehr ist als nur eine kühle Brise, und vor Mitternacht noch, wenn die U-Bahn in die letzte Kurve vor der Endstation einfährt, hört es sich an, als würde der Silberpfeil die nächtliche Ruhe mit einem Messer zerschneiden.

Aufgewacht bin ich um halb acht, einfach nur durch die ersten U-Bahnen und die warmen Sonnenstrahlen, die um sieben Uhr meine Füße erreicht haben. Ich bin froh, dass ich hier in der Hängematte schlafe, denn auf dem Areal gibt es nicht nur sehr viele Wildhamster, sondern auch ziemlich große Wespenspinnen.

Reinhold Zisser lebt in der Notgalerie zwischen Wildhamstern und Wespenspinnen.
Foto: Lisi Specht

"Hier zu wohnen ist eine große Besonderheit. Das ist ein Kunstprojekt auf Zeit, das sich nun langsam dem Ende neigt und in den kommenden Wochen Stück für Stück abgebaut wird, bis es schließlich ganz verschwunden sein wird. Das Ganze nennt sich Notgalerie und ist eine temporäre Location, die in den letzten Jahren für Ausstellungen und diverse Events genutzt wurde.

Die Notgalerie steht in der Seestadt Aspern, nicht weit von der U2-Station Aspern Nord entfernt. Man weiß bei solchen Projekten nie, ob es sich um Kunst im öffentlichen Raum handelt – oder um Stadtmarketing, um ein neues Projekt zu pushen und zu promoten.

In den kommenden Jahren wird hier die Seestadt-Einkaufsstraße aus dem Erdboden gestampft. Dann wird hier, wo ich jetzt bin, ein Bipa stehen. Irgendwo muss man ja seine Ohrenstäbchen kaufen."

"Unglaublich, wie wenig man zum Wohnen braucht", sagt Reinhold Zisser.
Fotos: Lisi Specht

"Die Geschichte dieses Gebäudes reicht in die Nachkriegszeit zurück. Es wurde 1946 als Notkirche in Döbling aufgestellt. Eine einfache Holzbaracke, die bis 1969 in Betrieb war. Zum Glück konnte die Kirche vor der Zerstörung gerettet werden und übersiedelte als Behelfskirche in die Lobau, wo sie bis 2000 im Einsatz war."

In der Notgalerie hat er Hängematte, Stehlampe, zwei Klappstühle, Kühlschrank...
Fotos: Lisi Specht

"Ich selbst habe das Haus, als ich im März 2015 mit dem 96A zum Spazierengehen unterwegs war, durch Zufall entdeckt, versteckt hinter Stauden und Gestrüpp. Das Haus gehörte einem bekannten Wiener Bäcker mit vielen, vielen Filialen.

Ich habe es die ersten zwei Jahre besetzt und als temporären Ausstellungsraum genutzt. 2017 war klar, dass der Bäcker das Grundstück bebauen will. Ich hatte genau eine Woche Zeit, um das Bauwerk zu retten. Ich war mit den Nerven fertig und habe damals die Welt und den Bäcker verflucht. Zum Glück ist es gelungen, das Haus zu retten und in insgesamt 15.000 durchnummerierten Einzelteilen für drei Jahre in die Seestadt Aspern zu übersiedeln."

...Garderobe, Feuerschalen-Waschbecken und Gartenschlauchdusche.
Fotos: Lisi Specht

"Unglaublich, wie wenig man zum Wohnen braucht. Ich habe eine Hängematte, eine Stehlampe, die ich auf der Straße gefunden habe, zwei eiserne Klappstühle von meiner Oma, einen Kühlschrank, eine Garderobe, eine Feuerschale, die ich als Waschbecken nutze, und eine Gartenschlauchdusche unten in der Wiese. In der warmen Jahreszeit ist das vollkommen ausreichend.

Vor allem aber bin ich in der Lage, dieses Haus selbst abzubauen und auch wieder aufzubauen. In Teilen, die ich mit der U-Bahn transportieren kann, wo keines mehr wiegt als 20 Kilogramm. So eine Erfahrung macht das Bauen und Wohnen am Körper spürbar. Unterstützt haben mich studio-itzo und Christoph Mayer."

"Die Geschichte dieses Gebäudes reicht in die Nachkriegszeit zurück. Es wurde 1946 als Notkirche in Döbling aufgestellt. Eine einfache Holzbaracke, die bis 1969 in Betrieb war. Zum Glück konnte die Kirche vor der Zerstörung gerettet werden und übersiedelte als Behelfskirche in die Lobau, wo sie bis 2000 im Einsatz war."
Fotos: Lisi Specht

"Hier zu wohnen ist ein schönes Gegengewicht zu meinem richtigen Zuhause. Ich wohne in einem alten Reihenhaus in der Donaustadt, in der Nähe vom SMZ Ost. Ich fühle mich wohl dort – auch wenn ich immer der Letzte bin, der die Hecke schneidet.

Wohnen ist für mich eine Balance zwischen Erhalten und Loslassen. Wohnen ist der Moment, wo das, was passiert, intim wird und nicht mehr repräsentativ ist. Wohnen ist dort, wo die Dinge nur noch für mich selbst einen Sinn ergeben." (Protokoll: Wojciech Czaja, 24.8.2020)