Bis zu drei Jahre Haft drohen einem 22-Jährigen, der sich mit Gewalt Zutritt zu einer Wohnung verschafft hat.

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Wien – Im ersten Moment könnte man meinen, Verteidiger Philipp Wolm will Richterin Claudia Zöllner provozieren, wenn er im Eröffnungsplädoyer über seinen Mandanten Michael B. spricht. "Er hat sich wirklich verbessert und steht erstmals wegen eines Vergehens vor Gericht", lobt er den 22-Jährigen. Wolm meint das aber ernst, denn juristisch begleitet er B. schon, seit dieser mit 14 erstmals zu einer teilbedingten Gefängnisstrafe wegen Raubs verurteilt wurde – zwei weitere einschlägige Vorstrafe folgten 2015. Nun muss er sich wegen Hausfriedensbruchs verantworten.

Es geht um einen Vorfall im September 2019. B. hatte sich mit seiner damaligen Freundin und deren Schwester gewaltsam Zutritt zu einer Wohnung verschafft, indem er die Hausherrin an der Eingangstür mit dem Ellbogen zur Seite drückte. Anschließend beschimpfte und bespuckte er den Hausherrn – der 15 Jahre lang sein Freund gewesen ist.

Letzte Verbindung zu früherem Leben

"Er war der Einzige aus meinem früheren Freundeskreis, mit dem ich nach meiner Haftentlassung noch Kontakt hatte", erklärt der Angeklagte bezüglich Gerald Fesztera (Name geändert, Anm.), dem Wohnungsinhaber. Fesztera und seine Frau wussten die Freundschaft eher weniger zu schätzen.

"Meine Freundin hat 2019 plötzlich Briefe vom Gericht bekommen, dass sie Mahnschreiben für Internetbestellungen ignoriert hat und jetzt ihre Schulden zahlen muss. Sie hat aber nie etwas bestellt." Es stellte sich dann heraus, dass das Ehepaar Fesztera Name und Anschrift der Freundin des Angeklagten als Rechnungsadresse verwendet hat, sich die Waren aber nach Hause liefern ließ.

"Freunde" plötzlich unerreichbar

"Meine Freundin hat mehr Geld, und die beiden sind Sozialschmarotzer. Weihnachten 2018 waren wir zum Beispiel bei ihnen und sind auf einer Couch gesessen, die auf den Namen meiner Freundin bestellt wurde", erinnert er sich. Frau Fesztera sei deswegen auch bereits verurteilt worden. Der "Freund" und seine Gattin seien für ihn aber plötzlich nicht mehr erreichbar gewesen, die Handynummer wurde gewechselt, Versuche, über soziale Netzwerke zu kommunizieren, scheiterten.

Schließlich bekam auch B. selbst ein Mahnschreiben für einen nie getätigten Onlinekauf. Eine kurze Recherche beim Anbieter bestätigte den Verdacht: Familie Fesztera hatte diesmal in seinem Namen eingekauft. "Da war mir klar, wir brauchen eine Aussprache!", schildert der Angeklagte.

Zu dritt fuhr man also los und klingelte. "Wen hat die Frau durch den Türspion sehen können?", will Richterin Zöllner wissen. "Alle drei", glaubt B., das Opfer hatte bei der Polizei ausgesagt, sie habe nur die Schwester der Freundin gesehen und deshalb die Tür geöffnet. "Was haben Sie dann gemacht?", fragt Zöllner. "Sie hat die Tür halb geöffnet gehabt, ich habe sie aufgedrückt und sie zur Seite geschoben, dann sind wir alle drei hineingegangen."

Hoffen auf Erklärung

B. wollte von seinem Freund nämlich eine Erklärung. "Es hat mich emotional so getroffen, dass er nach 15 Jahren Freundschaft so etwas macht." Der Angeklagte knallte seinem Jetzt-nicht-mehr-Freund das Gerichtsschreiben auf den Tisch, schimpfte und spuckte ihn an. "Ich will wissen, warum?", forderte er das Gegenüber auf. Der schwieg. "So asozial", ärgert sich B. heute noch. Die ganze Aktion habe nur wenige Minuten gedauert, anschließend habe man den Freund bei der Polizei wegen Betrugs angezeigt.

Der Angeklagte gibt zu, dass das Ehepaar möglicherweise Angst hatte und Schlimmeres befürchtete, aber: "Ich bin wirklich ganz anders als früher." Auch Verteidiger Wolm streut ihm Rosen: Nach den verkorksten Teenagerjahren habe sein Mandant sich erfangen. "Er ist quasi ein Sozialprojekt von mir. Er hat in Haft eine Lehre abgeschlossen und sich von seinem Umfeld gelöst."

Auch Staatsanwältin fühlt mit

Sogar die Staatsanwältin gibt zu, dass B.s Handlung "menschlich verständlich" sei, nichtsdestotrotz aber illegal. Zöllner schließt sich der Einschätzung an. "Es ist sehr, sehr nachvollziehbar, auch für mich." Im Endeffekt sei ja auch wenig passiert, niemand sei verletzt worden. Trotz der massiven Vorstrafenbelastung B. verurteilt sie ihn zu acht Monaten bedingt.

"Auch wenn das ungewöhnlich ist, aber Sie waren wirklich sehr ehrlich. Und ich bin wirklich die Letzte, die Ihnen in Ihr Leben hineinpfuscht", erläutert sie noch, dass sie von einer positiven Zukunft ausgeht. "Danke, Sie sind die erste Richterin, die mich fair behandelt!", ist B. entzückt. (Michael Möseneder, 21.8.2020)