Der Wind weht dicken Rauch Richtung Osten, der Brand knistert sich durchs dürre Gras. Dani Rachmim, der seit 45 Jahren hier im Kibbuz wohnt und jeden Acker auswendig kennt, sprintet zum Brandherd. Abrupt bleibt er stehen, flucht leise und zeigt auf einen verkohlten Hydranten. Die Schläuche, die das umgrenzende Anbaugebiet mit Wasser versorgen, sind geschmolzen, müssen schleunigst ersetzt werden, damit nichts verdorrt.

Seit Wochen schicken Terroristen aus Gaza jeden Tag Brandballons Richtung Israel, meist nachmittags, wenn der Wind vom Meer ins Land weht. Der Kibbuz Nahal Oz, der sein Geld mit dem Anbau von Kartoffeln, Weizen und Karotten verdient, liegt direkt vor dem Grenzzaun. Dass das heutige Feuer keinen größeren Schaden angerichtet hat, liegt auch daran, dass der Kibbuz aus früheren Brandattacken gelernt hat. "Nichts brennt so gut wie Weizen", sagt Roni Baruch, der Landwirtschaftsmanager des Kibbuz. "Darum schneiden wir ihn jetzt schon, wenn er noch grün ist, und verkaufen ihn als Viehfutter." Futterweizen bringe pro Kilo zwar weniger Geld, dafür werde aber ein Totalausfall durch Brand verhindert.

Einer der Brände, die durch Feuerballons ausgelöst wurden.
Foto: AFP / Jack Guez

So schlimm die Feuerballons auch sind – unter vorgehaltener Hand sagt man im Kibbuz: Besser das als Raketen. Auch sie gab es in der Region zuletzt. Im Kibbuz hört man sowohl die Aggression aus Gaza als auch die israelische Reaktion. "Der Lärm weckt uns mitten in der Nacht", sagt Kibbuz-Sprecher Rachmim.

Psychische Belastung

In manchen der 480 Kibbuzniks wecke er das Trauma des letzten Gaza-Kriegs. Allen Kibbuzim in Grenznähe steht eine zentrale psychosoziale Station offen, nicht nur akut, sondern auch für begleitende Therapie. "Gäbe es die Psychologen nicht, wüsste ich nicht, wer noch hier leben würde", meint Rachmim.

Trotzdem wächst der Kibbuz. Seit dem Gaza-Krieg 2014 hat sich die Bevölkerungszahl sogar verdoppelt, "und zwar nicht trotz des Kriegs, sondern wegen des Kriegs", sagt Rachmim. Wer hierherzieht, tut es aus Überzeugung, aus Solidarität mit den Kibbuzniks. Manche übernehmen sich dabei, halten dem Dauerstress nicht stand, ziehen wieder weg. "Wir verurteilen niemanden deswegen", sagt Dani, Menschen reagierten eben unterschiedlich.

Zwei seiner drei Kinder lebten hier, seien glücklich und nun selbst Eltern. Die jüngste Tochter hingegen litt unter Albträumen, sie lebt nun anderswo. "Vielleicht ist sie die einzige von uns, die normal ist", sagt Dani. Es ist nicht als Scherz gedacht.

Während die Bewohner in der nahen Stadt Sderot, die ebenfalls dem Beschuss ausgesetzt ist, stramme Regierungsfans sind, ist Nahal Oz eher links geprägt. "Wir wollen Frieden mit den Palästinensern", sagt Dani. Allein schon deshalb, weil "was in Gaza passiert, auf irgendeine Weise auch uns betrifft". Ein Beispiel: Wenn Israel in Reaktion auf die Brandballons die Spritlieferungen nach Gaza stoppt, in Gaza deshalb der Strom rationiert wird und die Kläranlagen nicht mehr arbeiten, "dann landet der Dreck bei uns am Strand". Es gibt auch persönliche Kontakte mit Gaza: Mehrere der Kartoffelernter im Kibbuz sind per Spezialerlaubnis eingereist.

Ägyptische Verhandler

Ob die Eskalationsspirale noch zu stoppen sein wird, ist offen. Die Hamas-Regierung in Gaza schickte ägyptische Verhandler mit Forderungen nach Jerusalem, die man dort kolportierterweise als unannehmbar empfand. Man verlange nichts, was nicht schon vor zwei Jahren mit Israel akkordiert worden wäre, heißt es hingegen in Gaza. Konkret geht es um zugesagte israelische Gelder für Infrastruktur, die bisher ausgeblieben sind. Und solange die Forderungen nicht erfüllt sind, so die Hamas, werde man eben weiter angreifen. (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 21.8.2020)