Alle großen Tech-Unternehmen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus dem Nichts hochgeschossen sind, haben einen eigenen Gründungsmythos. Eine Erzählung über die Ursprünge also, die teils auf Wahrheit und teils auf Fiktion aufbaut. Facebooks Geschichte mit Mark Zuckerberg als Kapuzenpulli-Genie, das bei den Mädchen nicht gut ankommt und deshalb die Plattform gründet, wurde sogar von Hollywood verfilmt.

Bei Airbnb geht die Story so: Die Designstudenten Brian Chesky und Joe Gebbia, die sich in San Francisco eine Wohnung teilten, wollten 2007 Schlafplätze auf Luftmatratzen bei sich untervermieten. Anlässlich einer Designkonferenz und überbuchter Hotels in der Stadt sollen die beiden auf die Idee gekommen sein. Sie vermieteten die Betten über die Website airbedandbreakfast.com. Weil die Schlafplätze nachgefragt wurden, nahmen sie noch einen dritten Bekannten, Nathan Blecharczyk, auf, der ihnen half, die Idee weiterzuentwickeln.

Mehrere Anläufe, eine Website zum Laufen zu bringen, die Zimmervermieter und Gäste zusammenbringt, scheiterten an fehlendem Interesse. Die Technik wurde verbessert, Chesky, Gebbia und Blecharczyk besuchten die Vermieter persönlich, halfen ihnen, ihre Annoncen zu verschönen. 2009 änderten sie den Namen der Plattform auf "Airbnb". Das Unternehmen zog das erste Kapital, 600.000 US-Dollar, von einem Investor an Land und begann zu wachsen.

Übernachten bei Freunden

Von dem alten Airbnb-Motto "Übernachten bei Freunden" ist heute nichts mehr übrig. Airbnb bietet inzwischen weltweit sieben Millionen Unterkünfte in mehr als 100.000 Städten an. Im vergangenen Jahr schliefen im Schnitt jede Nacht zwei Millionen Menschen irgendwo in einer Airbnb-Unterkunft. Die meisten Vermieter sind professionelle Gastgeber, die laufend Wohnungen vermieten.

Mitten in der Pandemie bereitet Airbnb den nächsten Meilenstein für das Unternehmen vor: Am Mittwoch hat das kalifornische Unternehmen den Börsengang angemeldet. Über die Zahl der Aktien, die ausgegeben werden, und den Preis ist noch nichts bekannt.

Auf den ersten Blick wirkt das Unterfangen aberwitzig: Die Weltwirtschaft macht die schwerste Krise seit 1945 durch, die US-Wirtschaft ist im zweiten Quartal um ein Drittel geschrumpft. Airbnb selbst hat noch im Frühling wegen der Krise ein radikales Sparprogramm aufgesetzt. Im Mai gab das Unternehmen bekannt, sich von 1900 Mitarbeitern, jedem vierten Beschäftigten, trennen zu wollen. Als Folge der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach Unterkünften laut AirDNA, einer Firma, die die Buchungslage von Online-Plattformen auswertet, um 90 Prozent eingebrochen. Der schon 2019 angekündigte Börsengang wurde abgeblasen.

Airbnb ist in allen europäischen Großstädten wie Paris präsent. Der Konzern steht dabei öfter in der Kritik, unter anderem weil Airbnb-Wohnungen dem Markt entzogen sind und so die Mieten hochtreiben sollen.
Foto: AFP

Warum schwenkt Airbnb nun aber erneut um und wagt den Börsengang ausgerechnet jetzt? Zunächst hat sich die Lage für Airbnb deutlich verbessert: Im Juni und Juli soll sogar das Vorjahresniveau bei Buchungen erreicht worden sein. Menschen verreisen wieder, und offenbar wollen viele das höhere Ansteckungsrisiko in Hotels vermeiden und setzen stattdessen auf private Unterkünfte.

Hinzu kommt laut New York Times interner Druck von Mitarbeitern, die einen Börsengang fordern: Airbnb hat seine Angestellten in der Vergangenheit auch mit Aktienpaketen bezahlt. Der Handel mit diesen Aktien ist laut Verträgen bis zum Börsengang nicht gestattet, weshalb sogar ein Schwarzmarkt unter Angestellten entstanden sein soll. Viele Aktienpakete wurden befristet ausgeben, mit der Klausel, dass sie im Herbst 2020 verfallen.

Verrückte Börsenwelt

Ein gewichtigeres Argument dürfte aber die allgemeine Entwicklung an den Börsen sein. Trotz des Kollapses der US-Wirtschaft haben sich die Märkte fulminant erholt. Der S&P 500, ein Index der 500 größten börsennotierten Unternehmen in den USA, hat am Dienstag ein Allzeithoch erreicht. Angetrieben wird diese Entwicklung – und hier dürfte der springende Punkt für Airbnb sein – von den großen Technologieunternehmen Apple, Amazon, Facebook, Alphabet (Google) und Microsoft. Der Wert dieser fünf Unternehmen zusammen entspricht einem Fünftel des Gesamtwertes des S&P.

Die Umsätze der Tech-Konzerne haben sich trotz Krise als stabil erwiesen, bei Amazon und Apple gab es sogar ein Plus. Das hat den Anlegern Appetit gemacht, zumal viele kleinere Unternehmen die Wirtschaftsmisere voll spüren. Apples Börsenwert stieg diese Woche sogar auf zwei Billionen US-Dollar. Das ist die höchste Bewertung für ein US-Unternehmen.

Diesen Effekt auf die Märkte hat auch die US-Notenbank Fed verstärkt. Im Versuch, die Wirtschaft zu stabilisieren, kauft die Fed seit März mit von ihr selbst erzeugtem Geld US-Staatsanleihen. Das drängt Investoren aus dem Anleihenmarkt in die Aktienmärkte und beflügelt diese natürlich.

Ob Airbnbs Wette aufgeht, bleibt freilich fraglich. Zunächst scheinen Investoren sehr wohl genau hinzusehen und zu differenzieren. Uber-Aktien haben seit dem Börsengang des Konzerns 2019 ein Drittel an Wert verloren. Hinzu kommt, dass der Markt extrem volatil ist. Die Pandemie ist ja alles andere als vorbei. Überraschend schlechte Daten vom US-Arbeitsmarkt am Donnerstag haben zu einem kleinen Kursverfall an der Wall Street geführt.

Airbnb ist in allen europäischen Großstädten wie Paris präsent. Der Konzern steht dabei öfter in der Kritik, unter anderem weil Airbnb-Wohnungen dem Markt entzogen sind und so die Mieten hochtreiben sollen. (András Szigetvari, 21.8.2020)