Zwei Gründungsväter der Salzburger Festspiele im Gespräch: Max Reinhardt (ursprünglich Maximilian Goldmann) und Hugo von Hofmannsthal auf der Terrasse von Schloss Leopoldskron.

Foto: Archiv der Salzburger Festspiele

Ende Juli war Schloss Leopoldskron, einst Refugium des Festspiel-Mitbegründers Max Reinhardt, Schauplatz einer Schenkung, die mediale Aufmerksamkeit generierte. Der Salzburger Schmuck- und Antiquitätenhändler Franz Wagner stiftete der US-amerikanischen Bildungsorganisation "Salzburg Global Seminar" als Eigentümer der historischen Liegenschaft einen Schreibtisch samt zugehörigem Sessel.

Das vom Architekten Otto Prutscher (1880–1949) entworfene Ensemble habe Reinhardt gehört und werde die nach ihm benannte Suite zieren, die demnächst renoviert wird. Die Möbel kehren "heim" oder "zurück" titelten die Salzburger Nachrichten und der ORF eifrig. Dabei hatte Wagner noch erklärt, dass sie ursprünglich aus seiner Wiener Wohnung stammten. An der Reinhardt’schen Aura ändere das ja nichts, ist er überzeugt.

Anlässlich seines 50-Jahr-Firmenjubiläums und der Geburtsstunde der Festspiele, die am 22. August vor 100 Jahren schlug, wollte er Salzburg etwas "geben", das nicht in ein Depot verräumt, sondern gewürdigt würde, beschreibt Wagner. Im Wiener Handel wurde er fündig und investierte knapp 20.000 Euro.

Der von Architekt Otto Prutscher entworfene Schreibtisch soll einst Max Reinhardt gehört haben. 2018 blieb er im Dorotheum noch unverkauft, jetzt ging er als Schenkung an den gegenwärtigen Eigentümer von Schloss Leopoldskron.
Foto: Dorotheum

Im Mai 2018 hatten die Prutscher-Entwürfe im Dorotheum noch vergeblich um die Gunst des Käuferpublikums gebuhlt: Die Schätzwerte für den Schreibtisch (13.000 bis 20.000 Euro) und den Sessel (5000 bis 8000 Euro) waren wohl zu ambitioniert. STANDARD-Recherchen zufolge dürfte der Einbringer die Objekte ein Jahr zuvor bei Heritage Auctions in den USA ersteigert haben: Der Kaufpreis für den Schreibtisch belief sich auf 2750 Dollar, jener für den Sessel auf 1250 Dollar.

"Herrenzimmer"

Die Katalogangaben hatte das Dorotheum ungeprüft übernommen, auch die falschen zur Datierung "um 1910" und zum Tischler "T. (sic) Pfaffenbichler". Unter dem Schlagwort "Prutscher" wird man in der öffentlich zugänglichen Sammlungsdatenbank des Museums für angewandte Kunst (MAK) schnell fündig: In Form eines historischen Fotos aus dem Nachlass von Otto Prutscher, das ein "Herrenzimmer" aus der Zeit von "1925 bis 1930" mit dem zweifelsfrei identifizierbaren Schreibtisch zeigt. Auf der Rückseite der Aufnahme hatte Prutscher die Handwerker benannt: etwa den renommierten Kunsttischler Jakob Soulek, Josef Pfaffenbichler war für die Schnitzereien zuständig gewesen.

Hinweise zu einem etwaigen Auftraggeber oder Käufer fehlen, ebenso wo und in welchem Zusammenhang die Fotografie entstand. Jedenfalls nicht im Leopoldinischen Trakt der Hofburg, wo Max Reinhardt im zweiten Stock Logis bezogen hatte, nachdem er 1924 die Direktion des Josefstädter Theaters übernommen hatte. 1933 mussten er und einige Nachbarn ihre Quartiere räumen, schildert die Kunsthistorikerin Anna Stuhlpfarrer, die zur Geschichte der Hofburg nach 1918 forschte und publizierte.

Ein historisches Foto aus dem Bestand des Museums für angewandte Kunst zeigt ein "Herrenzimmer" aus der Zeit von 1925 bis 1930 mit dem Schreibtisch. Wo die Aufnahme entstand, ist unbekannt, jedenfalls nicht in einem der Reinhardt-Domizile.
Foto: MAK

Zentrum einer Leidenschaft

Denn stattdessen sollte Engelbert Dollfuß dort eine Amtswohnung beziehen. Dazu kam es laut Stuhlpfarrer letztlich nicht: Reinhardts Mietervertrag wurde im August 1933 aufgelöst und von ihm aus dem Hofmobilienbestand gemietete Möbel retourniert.

Geht es um den Connaisseur Reinhardt und seine Sammelleidenschaft, hatte Wien allenfalls als Jagdrevier eine Rolle gespielt. Denn das Zentrum seiner Begeisterung war über Jahrzehnte Schloss Leopoldskron, das er im Frühjahr 1918 erwarb, später kamen umliegende Liegenschaften dazu.

Die aufwendige Renovierung und vor allem die prachtvolle Ausstattung mit all den für das im 18. Jahrhundert erbaute Schloss zeittypischen Antiquitäten aller Gattung für die Innenräume und die Gartenanlage verschlang ein Vermögen. Am Ende bescherte ihm diese üppig betriebene Inszenierung als Gesamtkunstwerk hohe Schulden.

Ein Aspekt, der seinen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft verborgen blieb. Leopoldskron und die Festspiele waren eine symbiotische Verbindung, auch dann noch, als die Nationalsozialisten im Frühjahr 1938 an die Macht kamen und das Schloss arisierten. Ein unrühmliches Kapitel zu dem Johannes Hofinger, Historiker mit Schwerpunkt Salzburger Zeitgeschichte, akribisch forschte.

Diese historische Aufnahme vom Arbeitszimmer Max Reinhardts auf Schloss Leopoldskron belegt eine barocke Ausstattung. Der Sessel wurde 2019 vom Jüdischen Museum Wien angekauft.
Foto: Michael Heltau

Das Ergebnis erschien jüngst im Verlag Anton Pustet: "Die Akte Leopoldskron" gewährt überaus detailreichen Einblick in die zeitlich von 1918 bis in die 1950er-Jahre reichenden Vorgänge. Ebenso werden unterhaltsame, von Reinhardts Sekretärin Gusti Adler überlieferte Anekdoten in Erinnerung gerufen. Etwa die zähen Verhandlungen mit Hermann Bahr, der damals in Schloss Arenberg bewohnte, vor dem wiederum ein barocker Herkules stand, den der Regisseur partout als "point de vue" für seine Allee erkor.

Reinhardt bekam seinen Willen, auch im Falle einer Madonna, die er an der Fassade eines Gebäudes in der Bäckerstraße in Wien entdeckt hatte. Sie schien ihm wie geschaffen für die Halle im Erdgeschoß des Schlosses, wo sie oberhalb des Kamins eine eigene Nische bekommen sollte. Der Kunsthändler Nebehay war dabei zu Diensten. Dass das Gebäude in der Bäckerstraße einst ein Freudenhaus war, bekamen die Gäste später zum Smalltalk kredenzt.

Erbstreit um Leopoldskron

Bis heute hat sich auf Schloss Leopoldskron ein Großteil der von Max Reinhardt eigens zur Ausstattung erworbenen Objekte und Kunstwerke erhalten. Denn im Anschluss an die Arisierung im April 1938 war den Nationalsozialisten an der Aufrechterhaltung der repräsentativen Ausstattung gelegen.

Reinhardt weilte damals aus beruflichen Gründen schon in den USA. Über Vermittlung von Stephanie von Hohenlohe, die sich mit dem Segen Hitlers und Görings im Schloss einquartiert hatte, gelang es Helene Thimig 1939 eine Ausfuhr für einige als ihr Eigentum deklarierte Gegenstände, darunter Möbel, Porzellan und persönliche und Aufzeichnungen, zu erwirken.

Johannes Hofinger, "Die Akte Leopoldskron", 24,– Euro / 216 Seiten, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2020.
Cover: Verlag Anton Pustet

Aufgrund massiver finanzieller Schwierigkeiten musste sich das Ehepaar im Exil von einigen Habseligkeiten trennen. Dazu gehörten offenbar die Prutscher-Möbel. Im Dezember 2000 gelangten Teile der Ausstattung des sogenannten "Herrenzimmers" bei Sotheby’s zur Auktion. Laut Katalogangaben hatte sie der Vater des Verkäufers noch von Max Reinhardt erworben, der 1943 in New York verstarb.

Seine Witwe Helene Thimig kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Österreich. Der Restitution von Schloss Leopoldskron folgte ein Erbschaftsstreit mit Reinhardts Söhnen aus erster Ehe, der 1956 mit dem Verkauf der Liegenschaft samt noch vorhandenem Inventar endete. In Thimigs Besitz verblieben am Ende einige Möbel, Antiquitäten und Erinnerungsstücke, die sie ihrem Universalerben Michael Heltau hinterließ: darunter Barockmöbel aus Reinhardts Arbeitszimmer im Schloss Leopoldskron.

Der Sessel fand vergangenes Jahr, dank Finanzierung des Freundevereins, eine neue Heimat im Jüdischen Museum Wien. Sein öffentliches Debüt wird er ab Mai 2021 in der Ausstellung Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele geben. (Olga Kronsteiner, 22.8.2020)