Menschenleerer Newsroom: drehbares Pult und selbstfahrende Robocams im neuen Studio von Servus TV.

Foto: Hertha Hurnaus

Es ist 19.20 Uhr. Der News-Jingle wie jeden Abend. Die Einspielung der wichtigsten Themen aus aller Welt. Reisewarnung für Kroatien, Urlauber sollen heimkommen, US-Außenminister Pompeo in Wien. Und dann die Kamerafahrt quer durchs Studio, von rechts nach links im Uhrzeigersinn, beginnend mit einer Totalen, Servus Nachrichten, eine digitale Einblendung in leuchtenden Versalien, scheinbar über dem Rednerpult schwebend, ein Zoom in die Mitte des Studios, und dann in einer Einstellung von Kopf bis Knie endend, in einer sogenannten Amerikanischen, der Schwenk auf die heutige Moderatorin, Katrin Prähauser: "Schönen guten Abend!"

In den nächsten 15 Minuten bleibt nichts dem Zufall überlassen. Jede Anmoderation, jeder Kommentar, jede Begrüßung potenzieller Studiogäste, die Übergabe an Wetterfrosch Matthias Merkel zwölf Minuten nach Sendungsbeginn, ja sogar das Ende der Sendung mit dem scheinbar informellen Verlassen des Moderationsplatzes ist optisch und technisch perfekt durchchoreografiert.

Dass sich im neuen TV-Studio von Servus TV in Mateschitz’ Medienimperium kein einziger Kameramann mehr aufhält und die Moderatorin in einem fast menschenleeren Raum arbeitet, ist für den Zuschauer im Wohnzimmer nicht zu erfassen.

Per Knopfdruck auf Sendung

"Früher stand hinter jeder Kamera ein Kameramann, und man war in ständigem Blickkontakt zueinander", sagt Katrin Prähauser im Interview mit dem STANDARD. "Heute fahren die Kameras von alleine, und der Kameramann sitzt im Regieraum, wo er nur noch Feinjustierungen aus der Ferne vornimmt. Die einzigen Leute im Studio sind der Lichttechniker, der Aufnahmeleiter und die Visagistin. Es war eine vollkommen neue Studiosituation, auf die man sich erst einstellen musste. Aber dafür können wir – quasi per Knopfdruck – jederzeit auf Sendung gehen und liefern gleichbleibende Qualität."

Hinter dem neuen Studio neben der Salzburger Red-Bull-Arena, das nach Auskunft von Servus TV und seiner Planer zu den derzeit modernsten TV-Studios der Welt zählt, steckt das Wiener Architekturbüro Veech X Veech. In der allgemeinen Öffentlichkeit kaum bekannt, zählen Stuart A. Veech aus Chicago und Mascha Veech-Kosmatschof aus Moskau zu den wenigen Experten weltweit, die sich auf die Gestaltung von Newsrooms und ganzer Rundfunk-Zentralen spezialisiert haben.

Millimetergenau

Broadcast-Enviromnent nennt sich das im Fachjargon. Das neue Studio von Servus TV, das im Februar, nur wenige Wochen vor dem Corona-Lockdown, in Betrieb genommen wurde, ist nach Projekten für den ORF und für den arabischen Sender Al Jazeera mit Studios in Doha und im Londoner Shard Tower der jüngste Wurf von Veech X Veech.

"Klassisch betrachtet ist Architektur die Gestaltung unserer realen Wohn- und Lebensräume", sagen die beiden. "Doch im Zeitalter der Digitalisierung und immer neuerer Kommunikationstechnologien verlagert sich unser Aufgabenfeld mehr und mehr in die virtuelle Welt."

Die Gestaltung von Medienräumen ist dabei eine besonders komplexe Bauaufgabe – gilt es doch, Licht, Akustik und Medientechnik unter zeitlich und räumlich beengten Verhältnissen aufeinander abzustimmen und in eine architektonisch passende und für die breite Masse ansprechende Form zu gießen.

"Wie verhalten sich matte und glänzende Oberflächen im digital übertragenen Bild? Welche Spiegelungen sind visuell anregend, und welche sollte man lieber vermeiden? Und wie stimmt man Licht, Geometrien und Oberflächenmaterialien aufeinander ab, sodass es in der Wiedergabe der Bilder bei Spiegelungen und Überlagerungen gewisser Strukturen nicht zu Verfremdungen von Lichtfarbe und Lichttemperatur kommt? "All das", sagt Stuart A. Veech, "müssen wir in der Planung millimetergenau berücksichtigen."

Globus, Auto, Hohensalzburg

Dass es sich tatsächlich um Arbeit im Millimeterbereich handelt, beweist ein Blick auf die beiden LED-Videowalls im Hintergrund der Moderatorin, auf denen in den Sport- und Nachrichten-Sendungen sowie in den unterschiedlichen Talk-Formaten in den Abendstunden sogenannte Hintersetzerbilder gezeigt werden – mal ein dramatischer Globus, mal ein verschwommenes Formel-1-Auto, mal ein mozartkugelsüßer Blick auf die Festung Hohensalzburg.

Damit es zwischen den beiden mobilen LED-Walls im Vordergrund und der großen, gekrümmten LED-Wall im Hintergrund aufgrund der Spiegelungen nicht zu ungewollten Moiré-Effekten kommt, wurden die LED-Pixel mit 1,2 und 1,5 Millimeter Durchmesser unterschiedlich groß dimensioniert.

"Woher man so was weiß? Harte Arbeit, viele Simulationen und jahrelange Erfahrungswerte", sagt Veech. Für das 130 Quadratmeter große TV-Studio in Salzburg wurde zwischen Planungsende und Baubeginn sogar ein Mock-up im Maßstab 1:1 aufgebaut, um die räumliche Wirkung und die Geisterfahrten der vollautomatischen Robocams auf Herz und Nieren zu prüfen – bevor es finanziell ernst wird, aber darüber spricht man im Hause Red Bull nicht. Positives Ergebnis, grünes Licht für die Realisierung.

Drehbares Pult

"Eine absolute Neuerung, die es in dieser Form noch nirgendwo gibt", meint Alexander Guntersdorfer, Regisseur im neuen Studio, "ist das drehbare Moderationspult in der Mitte des Raumes. Die Kameras haben vorgegebene Fahrwege, durch die Drehung aber können wir den Moderator und die Studiogäste mal näher an die Linse bringen, mal etwas weiter in den Hintergrund drehen. Vor allem aber erlaubt uns die drehbare Bühne, mit nur einem Studio sehr viele unterschiedliche Konstellationen abzudecken."

Das Spektrum reicht von Moderationen über Experteninterviews bis hin zu kleinen Talkrunden, sitzend, stehend, langsam sich im Kreise drehend.

"Der neueste Trend", sagt Stuart A. Veech, der bereits an neuen TV-Projekten für TV Nova in Prag, für die BTV Media Group in Sofia sowie für einen deutschen Privatsender arbeitet, "sind TV-Studios mit Tageslicht und Bezug zum Außenraum. Hier kommen wegen der unterschiedlichen Wellenlängen zwischen künstlichem und natürlichem Licht noch riesige Herausforderungen auf uns zu."

Doch auch diese technischen Probleme, sagt der Architekt, von Betriebsgeheimnissen sprechend, sind in den Griff zu kriegen. Es ist 19.34 Uhr. Katrin Prähauser: "Ihnen noch einen schönen Abend und auf Wiedersehen!" (Wojciech Czaja, 22.8.2020)